Während sich der bald 82-jährige Berlusconi mit absurden Versprechen durch den Wahlkampf lächelt, appelliert sein Koaltionsparter, der „Lega“-Chef Matteo Salvini, an den lieben Gott.
Salvini, bekannt durch wüste rassistische Ausfälle, hält eine Bibel und einen Rosenkranz in der Hand. Dann beginnt er zu schwören. So funktioniert der italienische Wahlkampf.
„Ich schwöre, meinem Volk treu zu sein, ihm mit Ehrlichkeit und Mut zu dienen und die Verfassung zu respektieren.“
Es regnete am letzten Sonntag auf dem Mailänder Domplatz. Matteo Salvini, der Anführer der rechtspopulistischen, fremdenfeindlichen und europakritischen Lega schwenkt vor 15’000 Anhängern den Rosenkranz. „Ein Pater hat ihn mir geschenkt.“ Es wurde viel geschworen und versprochen während dieser Wahlkampagne.
„Wir werden gewinnen“ und an Ostern eine neue Regierung haben, rief er in die Menge. Ostern werde sowohl für Gläubige als auch für nicht Gläubige zur „wahren Ostern der Wiederauferstehung“. Mario Delpini, der Erzbischof von Mailand, reagierte trocken: Salvini solle sich um Politik und nicht um Religion kümmern.
Salvinis Lega will zusammen mit Berlusconis „Forza Italia“ und den postfaschistischen „Fratelli d’Italia“ zurück an die Macht. Und die Chancen stehen gar nicht so schlecht.
Linkes Aufbäumen
Szenenwechsel: Auch auf der Römer Piazza del Popolo regnete es am vergangenen Sonntag. 20’000 Linke waren gekommen. Sie sangen „Bella ciao“ und protestierten gegen Rassismus und Rechtspopulismus. Mit ihnen kam die gesamte linke Korona. Sie, die seit Monaten zerstritten ist und sich nichts schenkt, demonstrierte drei Stunden lang Einigkeit und Minne. Alle waren sie da: Matteo Renzi, Ministerpräsident Paolo Gentiloni, die Gewerkschaftsführerin Susanna Camusso, Ex-Bürgermeister Walter Veltroni, der dissidente Paolo Grasso, der Apparatschik Pierlugi Bersani.
Es war ein letztes linkes Aufbäumen vor den Wahlen. Doch als der Aufmarsch zu Ende ging, begann der Streit von neuem – und es regnete noch immer. Meinungsumfragen versprechen der Linken nichts Gutes. Sie steht buchstäblich im Regen.
Das kurze Gedächtnis der Italiener
Gemäss den letzten Erhebungen kommt das von Silvio Berlusconi angeführte Rechtsbündnis auf 35 bis 39 Prozent der Stimmen. Das würde knapp nicht reichen, um die Regierung zu stellen. Laut dem neuen Wahlgesetz, das kaum ein Italiener versteht, bräuchte es gut 40 Prozent der Stimmen, um regieren zu können. Die Frage ist: Wird Berlusconi die restlichen Prozente noch schaffen – er, der immer mehr gegen Migranten wettert und selbst den Neofaschisten schmeichelt?
Doch die wichtigste Frage, die viele umtreibt, ist die: Haben die Italienerinnen und Italiener vergessen, was ihnen Berlusconi während 20 Jahren eingebrockt hat? Er hat das Land der Lächerlichkeit preisgegeben und es fast in den Staatsbankrott geführt. Verbrieft sind seine Lügen, seine falschen Versprechen, seine Frauengeschichten. Mehrmals wurde er verurteilt. Vier Mal war er Ministerpräsident und hat für sein Imperium viel und für sein Land fast nichts getan. Dann 2011 wurde er mit Schimpf und Schande davongejagt und durfte kein politisches Amt mehr ausüben. Und jetzt soll er eine fünfte Chance kriegen? Hat das italienische Volk ein derart kurzes Gedächtnis?
Inkompatible Chefs
Doch selbst wenn es Berlusconis Rechtsallianz knapp schaffen sollte: eine stabile Regierung wäre es nicht. Denn der Forza-Italia-Chef und der Lega-Anführer scheinen inkompatibel zu sein. Zwar treten sie jetzt vor den Wahlen vereint auf, so an diesem Donnerstag in Rom. Doch sie mögen sich nicht. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Lega eine Berlusconi-Regierung stürzt.
Doch sogar die Lega selbst ist zerstritten. Salvinis harter Kurs gefällt nicht allen. Roberto Maroni, früherer Minister, Lega-Gouverneur der Lombardei und ein Schwergewicht in seiner Partei, sagt: „Salvinis Lega ist nicht mehr meine Lega.“
Was Berlusconi und Salvini eint, ist ihr immer grotesker werdender Populismus. Ihre wirtschaftspolitischen Vorstellungen sind derart unrealistisch, dass es jedem Wirtschaftsvertreter kalt über den Rücken läuft. Dass Berlusconi und Salvini auch die postfaschistischen Fratelli d’Italia im Boot haben („sorelle“ gibt es da nicht), macht das Rechtsbündnis bei liberalen Wählern auch nicht gerade attraktiver.
Realistischer Gentiloni
So geschieht denn in Italien etwas Eigenartiges: Die Wirtschaft hat das Vertrauen in Berlusconi verloren, und in Salvini hatte sie es noch nie. Die liberale, gemässigte Rechte und ihre Wirtschaftsvertreter hätten es am liebsten, wenn die Sozialdemokraten an der Macht blieben. Der sozialdemokratische Ministerpräsident Paolo Gentiloni hat eine realistische Politik eingeschlagen und kann Erfolge vorweisen.
Auch sein Vorgänger, der in Ungnade gefallene Matteo Renzi, wird von der Wirtschaft vermisst. Er hatte, etwas ungestüm, den Mut, die längst fälligen Reformen an der Wurzel anzupacken. Dass Renzi gescheitert ist, liegt einerseits an seiner Arroganz, vor allem aber an der Zerstrittenheit seiner eigenen sozialdemokratischen Partei. Viele Linke warfen ihm vor, nicht genügend links zu politisieren und liessen ihn fallen. Folge der Parteispaltung ist ein linker Absturz in den Meinungsumfragen.
Im Gegensatz zu Berlusconi und Salvini verspricht Gentiloni den Wählern nicht das Blaue vom Himmel, sondern zeichnet eine realistische Politik. Das bezahlt er jetzt teuer. Viele scheinen unrealistische Versprechen zu bevorzugen.
Renzi träumt noch immer
Zwar haben sich inzwischen namhafte Personen dafür eingesetzt, dass Gentiloni weiterhin Ministerpräsident bleibt. Zu seinen Befürwortern gehören wichtige Wirtschaftsvertreter sowie der ehemalige Ministerpräsident Romano Prodi und der frühere Staatspräsident Giorgio Napolitano. Doch mit einer Partei im Rücken, die nur noch einen Wähleranteil von rund 23 Prozent hat, wird es schwierig, Ministerpräsident zu bleiben.
Zudem hat Gentiloni immer den „Klotz Renzi“ am Bein. Renzi ist Parteipräsident der Sozialdemokraten und hat seinen Traum nicht aufgegeben, erneut Ministerpräsident zu werden. Doch dieser Traum wird schwerlich wahr.
Vor allem auch deshalb nicht, weil Renzi für die linken Dissidenten, die sich von den Sozialdemokraten abgespalten haben, das Feindbild Nummer eins ist. Diese linken Linken, die die Partei „Liberi e Uguali“ (Leu) gegründet haben, dümpeln jedoch bei 5 Prozent.
Und da gibt es noch die stärkste Einzelpartei: Die „Cinque stelle“, die Fünf Sterne. Sie kommen gemäss Umfragen auf 25 bis 28 Prozent. Doch die vom Ex-Komiker Beppe Grillo gegründete Bewegung wird kaum regieren können. Weder die Linke noch die Rechte will mit den populistischen, unberechenbaren Sternen etwas zu tun haben. Und die Sterne selbst wollen nur allein regieren.
Welche Szenarien sind nach den Wahlen möglich?
- Das Rechtsbündnis von Berlusconi gewinnt die absolute Mehrheit. Ministerpräsident wird der 64-jährige Antonio Tajani. Er ist Präsident des Europaparlaments, der Nachfolger von Martin Schulz. Wegen einer Verurteilung darf Berlusconi in diesem Jahr noch nicht Regierungschef werden. Im kommenden Jahr allerdings könnte er dann Tajani ablösen. „Ich bin dazu bereit“, sagte Berlusconi am Dienstag. Auf Wahlplakaten heisst es schon: „Berlusconi presidente“.
- Keiner der drei Blöcke gewinnt eine Mehrheit im Parlament. Berlusconi könnte dann mit seinen einstigen Erzfeinden, den Sozialdemokraten, eine Grosse Koalition bilden („Larghe intese“). Doch wer wird Ministerpräsident? Gentiloni? Tajani? Willigen die Sozialdemokraten in eine solche Koalition ein, wenn auch die Lega dabei ist?
- Koalition zwischen den Fünf Sternen und der Lega. Eher unwahrscheinlich.
- Koalition zwischen den Sozialdemokraten und den Fünf Sternen. Sehr unwahrscheinlich.
Sollte keine Regierungskoalition zustande kommen, gäbe es folgende drei Möglichkeiten:
- Staatspräsident Sergio Mattarella beauftragt Gentiloni „bis auf weiteres“ die Regierung zu führen. Dann, vermutlich im Herbst, würden Neuwahlen stattfinden.
- Staatspräsident Mattarella würde „bis auf weiteres“ eine sogenannte „technische Regierung“ mit Fachleuten einsetzen. Eine solche gab es in Italien schon mehrmals (Ciampi, Dini, Monti).
- Eine der Parteien würde eine Minderheitsregierung bilden. Sie wäre dann von Fall zu Fall auf die Unterstützung anderer Parteien angewiesen. In Italien hätte eine solche Regierung wohl nicht lange Bestand.
Wie die Wahlen am Sonntag auch immer ausgehen: Sie werden viel Unsicherheit bringen. Doch gerade jetzt bräuchte das Land stabile Verhältnisse, um es für die dringend notwendigen ausländischen Investoren wieder attraktiv zu machen.
Eigentlich wäre es am besten gewesen, es hätte diese Wahlen zum jetzigen Zeitpunkt nicht gegeben und Gentiloni hätte eine Zeit lang weiterregiert. „Es war die armseligste Wahlkampagne in der Geschichte der Republik“, schreibt das Wochenmagazin „Espresso“. „Und die unnötigste.“