In Libyen hat der Dauerkrieg des Generals Haftir gegen die Milizen von Bengasi eine neue Wende genommen. Die zum sogenannten "Schura Rat" zusammengefassten Milizen in Bengasi sind überwiegend islamistischer Ausrichtung.
Panzerbrigaden
Die Wende kam dadurch zustande, dass die international anerkannte Regierung von Tobruk unter Ministerpräsident at-Thinni beschlossen hat, sich hinter Haftir zu stellen. Dies bewirkte, dass sich alle Einheiten der regulären libyschen Armee Haftir und seinem Kampf anschlossen. Bisher waren es nur vereinzelte Einheiten der Armee gewesen, die durch ihre Zusammenarbeit mit dem General in dem Sinne zu „Überläufern“ geworden sind, als die Initiativen Haftirs nicht von der Regierung befohlen oder gebilligt waren.
Die Kehrtwende der Regierung bewirkte, dass nun die Panzerbrigaden der noch kleinen und erst in Entstehung begriffenen offiziellen Armee mit Haftir zusammenarbeiten. Sie stiessen aus al-Baida nach Bengasi vor und nahmen am 24. Oktober den seit Wochen umkämpften Flughafen von Bengasi ein.
Verlasst eure Häuser!
Sie eroberten auch die Basis der "Revolutionsbrigade vom 17. Februar". Das war eine der sträksten Milizen im Raum von Bengasi. Sie stiessen zusammen mit den Milizen, die Haftir ergeben sind, bis ins Innere der Hauptstadt der Cyrenaika vor und sollen nun die zentralen Quartiere erreicht haben.
Sie forderten die Bewohner des Distrikes as-Sabri auf, ihre Häuser zu räumen, weil schwere Kämpfe zu erwarten seien. Bürger von Bengasi sollen sich bewaffnet haben, um den Kräften Haftirs zu Hilfe zu kommen. Ob dies zu einer endgültigen Eroberung von Bengasi führen wird, ist noch ungewiss. Bisher haben die pro-islamistischen Kräfte sich dort stets zu halten vermocht.
Wahlen
Gleichzeitig hat sich der Ministerpräsident der nicht international anerkannten Gegenregierung von Tripolis zu Wort gemeldet. Diese Gegenregierung beherrscht sehr viel mehr Menschen, Städte und Territorien als jene von Tobruk. Ihr "Ministerpräsident" sprach mit der Agentur AFP und erklärte, die Regierung von Tripolis sei die "Regierung der Revolutionäre", jene von Tobruk die der "Feinde der Revolution".
Er begründete diese Aussage damit, dass Tobruk „ausserlibysche Kräfte“ in das Ringen hineinziehe. Die Regierung von Tobruk, so sagte er, habe Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate dazu aufgefordert, Tripolis zu bombardieren. Dies bezieht sich auf die Bomber offiziell unbekannter Herkunft, die mehrmals Bombenangriffe gegen die Feinde Haftirs und der Tobruk Regierung geflogen hatten. Ägypten hat dementiert, dass es sich um ägyptische Flugzeuge handelte. Doch diese Dementis sind nicht ernst zu nehmen.
Neuwahlen
Der Ministerpräsident der Gegenregierung, Omar al-Hassi, erklärte auch, nach der Vertreibung der Gegenkräfte, habe seine Regierung in Tripolis und in Misrata mit Hilfe der "al-Fajr" (Morgenröte) Milizen Sicherheit und Ordnung geschaffen, und er meinte, "wenn wir das in der zwei Millionenstadt Tripolis fertig gebracht haben, können wir es auch im ganzen Lande bewirken". Die Lösung für Libyen, so meinte er, wäre, noch einmal Neuwahlen durchzuführen, weil die Regierung von Tobruk sich diskreditiert habe, indem sie mit dem Ausland zusammenarbeitete. Diese Neuwahlen sollten von den gewählten lokalen Räten beaufsichtigt werden.
Zintan auf der Seite von Tobruk
Auch im Westen Libyens finden derzeit Kämpfe statt. Dort haben die Zintan-Milizen, die lose mit Haftir verbündet sind, zwei Dörfer im Berbergebiet des Jebel Nefussa angegriffen, die ihrerseits mit der "Morgenröte" verbündet sind. Die Milizen von Tripolis suchen sie zu verteidigen. Die Zintan Milizen waren lange Zeit Herren über den Flughafen von Tripolis, bis sie im vergangenen August nach einem Monat blutiger Kämpfe von den "Morgenröte" Milizen vertrieben wurden. Diese beherrschen seither uneingeschränkt die Hauptstadt und Misrata.
Doch Zintan, westlich von Tripolis, befindet sich nicht in ihrer Gewalt. Zintan ist stets eine Rivalin von Misrata gewesen. Beide Städte haben nach dem Sturz Ghadddafis versucht, durch ihre Milizen die Hauptstadt Tripolis zu beherrschen. Misrata, deren Milizen zur "Morgenröte" Allianz gehören, trug den Sieg davon.
Ausgesperrte Ägypter
Der Flughafen von Misrata, Maitiga, dient zur Zeit als Ersatz des zerstörten Flugplatzes von Tripolis. Dort kamen dieser Tage zahlreiche ägyptische Fremdarbeiter an, die nach wie vor in Libyen arbeiten wollen. Sie waren im Besitz von regulären Visen, die in Kairo ausgestellt waren, offenbar von einem Konsulat, das der Tobruk Regierung anhängt. Die Behörden von Tripolis erklärten ihre Visen für ungültig und 800 Ägypter wurden nach Kairo zurückgeschickt. 80 von ihnen sollen noch auf dem Flughafen von Maitiga ausharren, um vielleicht doch noch eingelassen zu werden. Dies ist natürlich eine Demonstration der Gegenregierung von Tripolis gegen Ägypten, das seinerseits der Tobruk Regierung nahe steht.
Ist der Bürgerkrieg noch zu vermeiden?
Die internationalen Behörden der UNO, die in Libyen unter der Leitung ihres Sondergesandten Bernardino Leon, tätig sind, versuchen nach wie vor, einen Waffenstillstand zwischen den beiden Regierungen zustande zu bringen, um einen totalen Bürgerkrieg mit der Gefahr von Einmischungen von Aussen in letzter Stunde noch zu vermeiden. Es gibt unkontrollierbare aber beständige Gerüchte, nach denen die Gegenregierung von Tripolis von Qatar unterstützt wird.
Wenn die gegenwärtigen Kämpfe in Bengasi siegreich für die reguläre Armee und die Kräfte Haftirs enden, dürfte ein Waffenstillstand schwer zu erreichen sein. Die Sieger würden wahrscheinlich versuchen, weiter nach Westen vorzudringen. Wenn die gegenwärtigen Kämpfe von Bengasi, wie alle bisherigen, ohne klare Entscheidung abklingen, haben die Vermittlungsversuche vielleicht eine bessere Chance.
Skandal um libysche Kadetten in England
Die in Ausbildung befindliche offizielle Armee Libyens erlitt einen schweren Rückschlag in Grossbritannien. Zwei ihrer Kadetten haben gestanden, sexueller Übergriffe auf dem Marktplatz von Cambirdge schuldig zu sein. Drei andere Kadetten sind in der gleichen Angelegenheit angeklagt. Die britischen Behörden haben beschlossen, alle 300 Mann der ersten zur Ausbildung nach England gesandten Gruppe vor dem Abschluss ihres Trainingsprogramms nach Libyen zurückzuschicken. Zur Zeit ist ungewiss, ob das geplante Ausbildungsprogramm, das für 3000 Kadetten vorgesehen war, weitergeführt werden wird.