Es war sein bisher härtester Kampf. Und ohne Rücktrittsdrohungen ging es nicht. Am Montagabend liess das italienische Abgeordnetenhaus, die Grosse Kammer, die hart umstrittene Wahlrechtsreform durch. Sie soll Italien regierbarer machen und die fruchtlose Palaverdemokratie eindämmen.
Die rechtsgerichtete Opposition nahm nicht an der Abstimmung teil und verliess das Parlament. Die meisten der linken Gegner blieben im Saal und stimmten mit einem Nein.
Der Entscheid fiel in geheimer Abstimmung, was für Renzi ein Risiko bedeutete. Schliesslich stimmten 334 Abgeordnete für die Wahlrechtsreform und 61 dagegen. Nötig waren 198 Ja-Stimmen. Schon am 27. Januar hatte der Senat, die Kleine Kammer, das Gesetz gutgeheissen.
Opposition von rechts bis links
Gegen das neue Gesetz, das den Senat weitgehend entmachtet und schnellere Entscheidungswege vorsieht, hatte sich Berlusconis „Forza Italia“ gewandt. Berlusconi hatte zwar einen Pakt mit Renzi geschlossen (Patto del Nazareno), der auch eine Wahlrechtsreform vorsah. Doch bei der Wahl des neuen Staatspräsidenten Sergio Mattarella brüskierte Renzi den Forza Italia-Chef. Aus Wut darüber kündigte Berlusconi den Pakt auf – und war fortan auch gegen die Wahlrechtsreform.
Zu den Gegnern der Reform gehören auch die fremdenfeindliche Lega Nord, aber auch die linksgerichtete Partei SEL (Sinistra Ecologia Libertà).
“Trauertag für die italienische Demokratie”
Renato Brunetta, der Fraktionsführer von Forza Italia und enger Freund Berlusconis, erklärte, “wir nehmen nicht an der Abstimmung teil, wir wollen nicht an einem Trauertag für die italienische Demokratie dabei sein”. Das Land müsse wissen, dass jene, die regieren, “das Parlament vergewaltigen und der Demokratie unakzeptierbaren Schaden beifügen”. Brunetta betont: “Ein einziger Mann will das Kommando übernehmen”. Staatspräsident Sergio Mattarella müsse sich genau überlegen, ob er das Gesetz unterzeichnen wolle.
Auch das gehört zur italienischen Demokratie: Statt im Parlament mit Nein zu stimmen, verlässt man den Saal und sagt, wir wollen nichts damit zu tun haben. In Rom nennt man dieses Verhalten “Aventino”. Der Monte Aventino (Aventin) ist einer der sieben Hügel Roms. In den Zwanzigerjahren zogen sich dort antifaschistische Abgeordnete zurück, die nichts mit den Mehrheitsbeschlüssen des Parlaments zu tun haben wollten.
Das “Movimento 5 Stelle” des Ex-Komikers Beppe Grillo wollte ursprünglich an der Abstimmung teilnehmen und mit Nein stimmen. Am Abend entschieden sich auch die Fünf Sterne zum Gang auf den Monte Aventino.
Rücktrittsdrohung
Renzi brachte die Reform sicherlich auch deshalb durch, weil er die Abstimmung mit einer Vertrauensabstimmung über seine Regierung verband. “Wenn ihr Nein stimmt, trete ich zurück” sagte er immer wieder. Diese Drohung war vor allem an die Abweichler in seiner eigenen Partei gerichtet. Vor allem linke Linke sprachen sich gegen die Reform aus.
Einige von ihnen stimmten dann wohl oder übel trotzdem für die Vorlage – denn Neuwahlen wollten sie doch nicht; solche bringen immer die Gefahr, nicht mehr gewählt zu werden.
“Matteo Mussolini”
Mit seinem Vorgehen, alle Vorlagen mit einer Vertrauensabstimmung zu verbinden, ist Matteo Renzi in den letzten Tagen erneut stark kritisiert worden. Er trickse das Parlament aus und schwinge sich zu einem neuen Mussolini auf. Einige nannten ihn schon Benito Renzi oder Matteo Mussolini.
Edel-demokratisch ist Renzis Vorgehen sicher nicht, allerdings auch nicht undemokratisch und verfassungswidrig. Auch wenn er von seinen politischen Gegner als “Faschist” bezeichnet wird, haben doch viele Italienerinnen und Italiener Verständnis für seine sehr forsche Gangart.
Italienische Schwatzbude
Die italienischen Parlamente sind Schwatzbuden mit theatralischen Auftritten mediensüchtiger Egozentriker. Nur wenige Parlamente sind derart unproduktiv wie der italienische Senat und die italienische Camera dei deputati. Richtige Mehrheiten kamen bisher kaum zustande, grundlegende Reformen sind nicht möglich, die Parteien, die Kammern und die Abgeordneten und Senatoren lähmen sich gegenseitig.
Dazu ist das Parlament in Rom ein gigantischer Parasitenhaufen; in keiner andern Demokratie verdienen die Abgeordneten so viel, haben so viele Privilegien – und leisten so wenig. Immer wieder rief ihnen Renzi zu: “Ihr palavert zu viel, ihr tut zu wenig, entscheidet euch endlich.”
Viel Verständnis für den Ministerpräsidenten
Deshalb haben viele Italiener Verständnis dafür, dass Renzi mit diesem Zustand endlich Schluss machen will. Dass der Toskaner ein “Faschist” ist, ist einfach nur Unsinn. Er ist nicht einmal ein richtiger Linker; er stammt ursprünglich aus christlichdemokratischen Gefilden.
Renzi war oft als italienischer Tony Blair bezeichnet worden. Vielleicht ist er das – oder möchte es sein. Doch Tony Blair hatte es in einem Punkt einfacher. Margaret Thatcher hatte für ihn die groteske Macht der britischen Gewerkschaften zerschlagen. Renzi steht diese Aufgabe noch bevor.
Doch dass er endlich den Gewerkschaften den Kampf ansagt, wird von breiten Bevölkerungsschichten begrüsst. Nur wenige Gewerkschaften sind derart unflexibel und nur auf sturen Besitzstand aus, wie die italienischen. Jede Neuerung, und ist sie noch so klein, wird reflexartig mit lächerlichen Parolen aus der superlinken Marottenkiste abgeschmettert. Doch Renzi gibt sich kampfeslustig. Auch Streiks scheinen ihn in seinem stürmischen Vordringen nicht zu bremsen.
Nicht über dem Berg
Mit der Annahme der Wahlrechtsreform – in Italien “Italicum” genannt – kann Renzi seine Position sicher festigen. Schon hat er eine Arbeitsreform durchgepaukt und in der Wirtschaft zeigt sich da und dort ein schwacher Silberstreifen.
Und dennoch: Renzi ist noch längst nicht über dem Berg. Jetzt hat er die Voraussetzungen dafür geschaffen, regieren zu können. Jetzt muss der Draufgänger zeigen, dass er regieren kann. Das verkrustete Italien braucht grundlegende Reformen. Jetzt wird Renzi an Resultaten gemessen.
Sicher täte er gut daran, seine Gegner nicht nur mit Hohn und Schmäh zu überschütten und sie vor den Kopf zu stossen. Längerfristig kann auch er nicht nur mit Dekreten und Drohungen regieren.