Den „Summit of the Americas“ in Cartagena, ein Treffen der nahezu 30 Staatschefs des Kontinents, nahm am vergangenen Wochenende in Washington DC kaum jemand zur Kenntnis. Mehr als alle Beratungen, Resolutionen und Communiqués des Gipfels interessierte die Leute, was genau im Striptease-Lokal „Pleyclub“ und danach im Hotel „Caribe“ abgegangen war, wo Mitglieder des Secret Service und Angehörige der US-Armee nächtigten, die den Besuch von Präsident Barack Obama in Kolumbien vorbereiten sollten. Das Motto des „Pleyclub“: „Wir bieten das beste Vergnügen in der Stadt.“
Streit um Entlohnung
Offenbar hatten sich Mitte letzter Woche mehrere Agenten und Soldaten in Cartagena mit einheimischen Damen eine tolle Nacht um die Ohren geschlagen. Das wäre weiter kaum aufgefallen, hätte sich ein Agent des Secret Service am Morgen danach nicht geweigert, einer Prostituierten zusätzliche 170 Dollar zu zahlen. Die Meinungsdifferenz mündete in eine Auseinandersetzung, die dem Hotelpersonal nicht verborgen blieb, und dieses wiederum meldete den Vorfall der amerikanischen Botschaft. Nach ersten Ermittlungen sind inzwischen mindestens elf Agenten vom Dienst suspendiert und mindestens fünf Armeeangehörige unter Zimmerarrest gestellt worden.
Zurück in den USA mochte sich die republikanische Senatorin Susan Collins aus Maine gar nicht vorstellen, was hätte geschehen können, falls die an der Party im Hotel beteiligten Prostituierten Spioninnen gewesen wären: „Es ist ein gravierender Vertrauensbruch und eigentlich unglaublich. Ich bin zutiefst schockiert.“ Ein früherer Agent, der derzeit für den US-Senat kandidiert, sprach von „einer nationalen Schande für unsere Regierung und den Secret Service“. Derweil haben Vorgesetzte der beteiligten Leibwächter verlauten lassen, die Sicherheit des Präsidenten sei trotz der Eskapaden zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen.
Grosse Vorbilder
Mark Sullivan, der Chef des Secret Service, hat den elf beteiligten Agenten vorläufig den Sicherheitszugang entzogen und eine „rigorose und faire“ Untersuchung des Vorfalls angekündigt. Auch dem Pentagon ist das Ganze äusserst peinlich. Der oberste Generalstabschef Martin E. Dempsey entschuldigte sich anlässlich einer Pressekonferenz im Verteidigungsministerium höchstpersönlich: „Wir haben den Boss im Stich gelassen, weil niemand über das spricht, was in Kolumbien ausser diesem Vorfall sonst gelaufen ist.“
Der Skandal in Kolumbien trifft eine Institution, die jüngst ihre Bemühungen verstärkt hat, als integer, rechtschaffen und hochseriös zu gelten. Clint Eastwood oder Michael Douglas haben in Hollywood-Filmen Agenten gespielt, die ihren Schützling, den Präsidenten der USA, heldenhaft bewachen und für ihn im Falle eines Attentats selbstlos „die Kugel genommen“, d.h. ihr Leben gelassen hätten. Fremden wie zum Beispiel ausländischen Journalisten gegenüber kennen die Agenten des Secret Service kein Pardon und werden mitunter auch handgreiflich, wenn jemand auch nur den Anschein macht, ihre Anordnungen zu missachten. Leise Zweifel an ihrer Härte sind dem Schreibenden nur einmal gekommen, als sie 1994 bei einem Treffens zwischen Präsident Bill Clinton und Hafiz al-Assad in Genf auf die Furcht erregenden Leibwächter des syrischen Präsidenten trafen: die Amerikaner drahtig, fit und in Massanzügen, die Syrer finster, muskulös und in zu engen Jackets, alle aber bewaffnet.
Lasche Auffassung von Doisziplin
„Der amerikanische Secret Service hat in seiner langen, ehrwürdigen Geschichte stets äusserst professionell und ethisch agiert“, sagt Direktor Mark Sullivan: „Die überwiegende Mehrheit der Männer und Frauen des Secret Service erfüllen diese Standards jeden Augenblick und jeden Tag.“ Nur, schränkt er ein, „ist ‚die überwiegende Mehrheit’ nicht gut genug.“
Sullivans Einschätzung teilen nicht alle, die den Secret Service kennen. Zwar glaubt Ronald Kessler, Autor eines Buches über die Leibgarde des US-Präsidenten, der „New York Times“ zufolge nicht, dass Verhalten wie jenes in Cartagena für den Secret Service typisch ist. Er folgert aber, dass der Vorfall in Kolumbien Ausdruck „einer laschen Auffassung von Disziplin“ sei, die es Agenten erlaubt, Vorschriften zu umgehen, ohne ernsthafte Folgen befürchten zu müssen.
Kessler nennt als Beispiele die Fälle von Agenten, die angeblich nicht fit genug sind oder nicht genau genug schiessen können. Er erinnert ferner an den Fall jenes Promi-Paares aus Virginia, dem es 2009 gelang, sich Zugang zu einem Staatsbankett im Weissen Haus zu verschaffen, obwohl es nicht auf der Gästeliste stand. Kritischer als Kessler hatte das Magazin „U.S. News and World Report“ 2002 in einem investigativen Artikel enthüllt, der Secret Service sei eine Institution, in der wilde Parties, Saufgelage, sexuelle Ausschweifungen und andere nicht direkt den Dienst betreffende Probleme weit verbreitet seien. Parties nach einer Auslandreise des Präsidenten habe es immer gegeben, sagt heute ein republikanischer Abgeordneter in Washington DC. Neu aber sei, dass die Agenten schon vor der Reise feierten.
Teurer Trip
Washingtons zweiter Skandal betrifft die General Services Administration (G.S.A), ein relativ obskures Bundesamt mit rund 12 000 Mitarbeitern in elf regionalen Ablegern. Die G.S.A. ist innerhalb der amerikanischen Bundesverwaltung für grössere Anschaffungen wie für den Kauf von Immobilien oder Fahrzeugen zuständig. Wie im März dank einer internen Untersuchung bekannt wurde, hat die Behörde im Oktober 2010 auf Kosten der Steuerzahler 300 höhere Beamte für ein Treffen von der Westküste nach Las Vegas fliegen lassen, wo die Beamten in einem feudalen Hotel mit Casino abstiegen.
Die Kosten des Trips, dessen Veranstalter ausdrücklich angewiesen worden waren, „etwas Überbordendes“ zu organisieren, betrugen happige 823 000 Dollar, darunter 58 808 Dollar für „audio-visuelle Dienstleistungen“, einen „Empfang zum Netzwerken“ mit „Petit Beef Wellington“ und 1000 Sushi-Rollen zu je 7 Dollar. Die Flüge nach Las Vegas und die Unterkunft im „M Resort Spa Casino“ kosteten laut „Washington Post“ 147 000 Dollar, ein „Velobau-Projekt“ zur Stärkung des Teamgeistes 75 000 Dollar. Frühstücke schlugen mit 44 Dollar pro Kopf zu Buch, Erinnerungsmedaillen für alle Teilnehmer mit 6325 Dollar und ein Jahrbuch mit Porträts aller Beteiligten mit 8130 Dollar.
Köpferollen
Ausserdem trat in „Sin City“ gegen ein Honorar von 3200 Dollar auch ein „Gedankenleser“ auf, was Scherzbolde fragen liess, ob dieser die ganze Aufregung nicht hätte vorhersehen müssen, die der Trip der G.S.A. ausgelöst hat. Andere Stimmen in Washington DC erinnerten an die 80er-Jahre, als eine Kommission des Pentagon ziemlich verblüfft herausfand, dass sich das Verteidigungsministerium Hämmer für 535 Dollar pro Stück und Toilettensitze zu je 640 Dollar hatte andrehen lassen.
Kein Wunder, sind inzwischen beim reisefreudigen Bundesamt Köpfe gerollt. Martha N. Johnson, die Chefin der G.S.A., ist zurückgetreten, zwei ihrer Vizes sind gefeuert und vier weitere höhere Beamte vom Dienst suspendiert worden. „Steuerzahler-Dollars sind verschwendet worden, schrieb Johnson in ihrem Abschiedsbrief. Beim Amtsantritt im Februar vor zwei Jahren hatte sie ethisches Verhalten noch als „eines meiner Hauptanliegen“ bezeichnet. Kein Wunder ferner, ist Barack Obama über den Trip der Behörde nach Las Vegas alles andere als erfreut, hat es sich seine Regierung doch zum Vorsatz gemacht, Geldverschwendung in der Verwaltung zu bekämpfen.
Noch weiss niemand, ob der unselige Ausflug auch im Präsidentschaftswahlkampf zwischen Barrack Obama und Mitt Romney zum Thema werden wird. Einzelne republikanische Politiker haben auf jeden Fall keine Zeit versäumt, der Regierung vorzuwerfen, sie toleriere Verschwendung - nicht ganz zu Unrecht, denn der Untersuchungsbericht kommt zum Schluss, das Bundesamt habe „mehrere Vorschläge, wie man Geld hätte sparen können“, schlicht ignoriert.
Verschwenderische Ausgabenkuktur
Nach einem Hearing im Abgeordnetenhaus haben sich in Washington DC nicht weniger als vier parlamentarische Kommissionen (je zwei im Senat und im Repräsentantenhaus) des Trips der G.S.A. nach „Sin City“ angenommen. Je nach Vorsitz debattieren die Ausschüsse unter unterschiedlichen politischen Vorzeichen. Die eine von einem Republikaner geleitete Kommission im Haus berät unter dem Titel „Die verschwenderische Ausgabekultur der G.S.A. beleuchten“. Derweil ist der eine von einem Demokraten geleitete Ausschuss im Senat lediglich mit „Aufsichtshearing bezüglich der General Services Administration“ betitelt.
Sogar Las Vegas betreibt Schadensbegrenzung. Er hoffe, hat der Mitarbeiter einer konservativen Denkfabrik die Nachrichtenagentur AP wissen lassen, dass Konsumenten und Regierungskritiker Las Vegas nicht mit unverantwortlicher Ausgabepolitik assoziierten. Die Spielerstadt in Nevada, die ein Buchautor einst als „letzten ehrlichen Ort auf Erden“ betitelte, hatte ihre Einnahmen aus Kongressen sinken sehen, nachdem Präsident Obama Anno 2009 amerikanische Firmen öffentlich ermahnt hatte, Hilfsgelder der Regierung nicht für Luxustrips nach Las Vegas auszugeben.
Der Besitzer des Hotels „Treasure Island“, dessen Hauptattraktion eine Piraten-Show ist, räumt ein, dass die G.S.A. ihr Geld nicht so „dumm“ hätte ausgeben sollen. Schade nur, meint er, dass die Behörde die Dollars nicht in seinem Haus verjubelt habe: „Wir hätten den Umsatz brauchen können.“