Nach einer Woche Streit über Kommas und Nebensätze wurden die Verhandlungen ranzig. Moskau musste im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Farbe bekennen: Ist Russland bereit, einen befristeten Waffenstillstand in der seit 2013 von den syrischen Regierungstruppen belagerten Region Ost-Ghuta zu unterstützen, um den rund 400’000 notleidenden Einwohnern humanitäre Hilfe zu leisten? Oder wollen die Russen bloss Zeit gewinnen, um gemeinsam mit der syrischen Luftwaffe die von Rebellen kontrollierten Siedlungen in einer Agrarzone am Rande der Hauptstadt Damaskus sturmreif zu schiessen?
In der Nacht zum Sonntag haben die Russen nun angesichts der wachsenden Ungeduld der übrigen 14 Mitglieder des Weltsicherheitsrats einer Resolution zugestimmt, nachdem sie noch einige Verwässerungen durchgesetzt hatten. Der Text fordert die Kriegsparteien auf, „ohne Verzug“ während dreissig aufeinander folgenden Tagen die Kämpfe einzustellen und die Belagerung aufzuheben, um wöchentliche Hilfskonvois für die Zivilbevölkerung zu ermöglichen. In die andere Richtung sollen Verletzte und Kranke evakuiert werden.
Asads und Putins Strategie geht auf
Trotzdem sind die Pläne des syrischen Präsidenten Baschar al-Asad und seines Beschützers Wladimir Putin weitgehend aufgegangen. Beide setzen auf ihre erfolgreiche Aleppo-Strategie. Das heisst: Massive Bombardierungen ohne Rücksicht auf zivile Opfer, bis die Gegner kapitulieren oder abziehen. Im Weltsicherheitsrat spielen die russischen Diplomaten mit immer neuen Forderungen und Abänderungsvorschlägen auf Zeitgewinn. Einer der Streitpunkte war, wann die Feuerpause in Kraft treten soll. Die in New York einstimmig angenommene Resolution enthält kein präzises Datum für den Beginn der Waffenruhe. Die Luftangriffe der Regierungstruppen haben in den letzten Tagen massiv zugenommen und dauern weiter an.
Der Resolutionsentwurf wurde bereits vor einiger Zeit von Schweden und Kuwait eingebracht. In Ost-Ghuta mangelt es vor allem an Medikamenten. Die Umsetzung der Initiative wäre nur ein Tropfen auf einen heissen Stein. Doch es bleibt abzuwarten, ob Damaskus und Moskau die zeitweilige Einstellung der Kämpfe nicht weiter hintertreiben, denn sie droht der Boden- und Luftoffensive der Regierungstruppen gegen Ost-Ghuta ihren Schwung zu nehmen.
Mit Wortklauberei versuchten die russischen Diplomaten am Hauptsitz der Uno, die Verhandlungen in die Länge zu ziehen. Sollte es in den einzelnen Paragrafen heissen, der Weltsicherheitsrat „entscheidet“, „fordert“ oder „empfiehlt“? Es sind unterschiedliche Grade der Verbindlichkeit, doch den unschuldigen Opfern des Syrienkriegs bringen diese Nuancen nichts.
Russlands Aussenminister Sergej Lawrow kritisierte den schwedisch-kuwaitischen Resolutionsentwurf, weil er nicht alle „Terrororganisationen“ von der Feuerpause ausschliesse. Das Papier nennt aber den Islamischen Staat, die Al-Nusra-Front und Al-Kaida. Diese Formel wurde bereits bei anderen Abkommen verwendet, ohne dass Russland Einwände dagegen hatte. Welche Gruppen Lawrow jetzt meint, bleibt sein Geheimnis.
Asad will der Verurteilung als Kriegsverbrecher entgehen
Lawrow verlangte auch „Garantien“, dass die Rebellen in Ost-Ghuta die Beschiessung von Damaskus mit Mörsergranaten und Kleinraketen einstellen. Wer kann aber solche Garantien liefern? Recht hat der russische Aussenminister mit der Feststellung, dass die Militäraktionen der Assad-Gegner in den westlichen Medien kaum erwähnt werden. Die offizielle syrische Nachrichtenagentur Sana meldete am Freitag und Samstag den Einschlag von Mörsergranaten und einer Rakete in einem Vorort von Damaskus. Dabei sei eine Person getötet und 15 weitere Personen seien verletzt worden.
Die Westmächte und ihre Verbündeten haben der Aleppo-Strategie nichts entgegenzusetzen. Sie können den Bewohnern der Ost-Ghuta weder humanitären Beistand noch militärischen Schutz leisten. Der Ruf nach Menschlichkeit verhallt ungehört. Die von den Hilfswerken veröffentlichten schrecklichen Opferstatistiken, die Bilder der Zerstörungen und des unerträglichen Leids lösen weniger Erregung aus als die „Me-Too“-Kampagne. Nach sieben Jahren hat man sich an den Krieg in Syrien gewöhnt.
Assad erwartet als Alternative zum Machterhalt um jeden Preis nichts anderes als eine Zelle im Haager Kriegsverbrechertribunal. Putin hingegen möchte als grosser Staatenlenker in die Geschichte eingehen. Dazu muss er auch ausserhalb seiner Heimat ein Image aufbauen. Vielleicht hat ihn der Brief nicht kalt gelassen, in dem ihn Angela Merkel und Emmanuel Macron am Freitag zur Annahme eines Waffenstillstands in Ost-Ghuta aufforderten.