Auch in der Schweiz wurden Tausenden von Kleinanlegern Papiere der US-Zockerbank Lehman Brothers verkauft. In erster Linie durch die Credit Suisse. Obwohl diese Anlagen mit «100 Prozent Kapitalschutz» und «Bankgarantie» unter dem Logo der CS angepriesen wurden, sollten die Kleinanleger nach dem Bankrott von Lehman zunächst leer ausgehen.
Denn sie hatten im Kleingedruckten das Wörtchen «Emittent» überlesen. Nach viel Geschrei bequemte sich die CS dazu, wenigstens 150 Millionen Entschädigung zu zahlen. Dabei war ein Gesamtschaden von insgesamt 4 Milliarden Franken entstanden. Passierte alles im Jahre 2009. Schnee von gestern. Nicht ganz.
Die klägliche Rolle der FINMA
Die Schweizer Bankenaufsicht FINMA untersuchte damals, ob es beim Verkauf von Lehman-Papieren an finanztechnische Laien zu systematischen Verstössen gekommen sei. Im März 2010 kam die FINMA zum kaum überraschenden Ergebnis: Nein. Die Zeitung «Der Sonntag» veröffentlichte im November 2011 einen ihr zugespielten, internen FINMA-Bericht, der im März 2009 zu ganz anderen, brisanten Ergebnissen gekommen war. In ihm enthaltene Fakten – der Gesamtschaden war viel höher als bislang eingestanden, intern waren Lehman-Papiere bereits heruntergestuft worden, sie wurden aber von der CS weiterhin an Anleger verkauft – kamen im offiziellen Schlussbericht der FINMA nicht mehr vor.
Das Schweizer Parlament hat zur Untersuchung von möglichen Regelverstössen durch Behörden das Instrument der Geschäftsprüfungskommission. Also wies die GPK des Ständerats der für die FINMA zuständigen Unterkommission dieses Traktandum zu.
Die klägliche Rolle einer GPK
Unter Vorsitz des Ständerats Markus Stadler (Grünliberale) und unter Mitwirkung von Vertretern der CVP, FDP, SVP, BDP und SP, allerdings in Gestalt von Roberto Zanetti, waltete die ihres Amtes. Im kürzlich veröffentlichten Jahresbericht 2012 kommt sie zum Ergebnis ((Link auf : «Aufgrund ihrer Abklärungen kommt die GPK-S zum Schluss, dass die FINMA ihren Auftrag gesetzeskonform erfüllt hat.»
Wer Weisswäscher bei der Arbeit sehen will, muss sich diesen Absatz im GPK-Bericht auf der Zunge zergehen lassen: «... befasste sich die GPK-S auch mit dem internen Bericht der FINMA vom 10. März 2009, der am 5. November 2011 infolge einer Indiskretion in der Presse erschien. Am 5. November 2011 veröffentlichte eine Zeitung einen internen Bericht der FINMA vom 10. März 2009 zuhanden ihres Verwaltungsrates.Der Inhalt dieses internen Berichts warf einige Fragen auf, da er vom offiziell veröffentlichten Bericht der FINMA vom 2. März 2010 in Teilen abwich.
Weisswäscherei
Die FINMA führte gegenüber der GPK-S aus, dass der interne Bericht vom 10. März 2009 nicht im Widerspruch zum Schlussbericht stehe, sondern ein Produkt einer früheren Etappe bei der Aufarbeitung des «Falls Lehman» darstelle, das auf einem ersten vorläufigen Wissensstand basiere. Gemäss Angaben der FINMA ist es keineswegs ungewöhnlich, dass sich die Einordnung und die Beurteilung eines Sachverhalts durch die FINMA - insbesondere wenn es sich um einen grossen und komplexen Fall handelt - im Verlauf einer Untersuchung ändert. Es sei die Praxis der FINMA, dass sie in der Vorabklärungsphase kritisch sei.
Im Zweifel werde eher ein Verfahren eröffnet, um einen Fall vertieft und mit gegenüber den vorangehenden Abklärungen erweitertem Einsatz von Aufsichtsmitteln untersuchen zu können. Dies führe zwangsläufig zu einer verbesserten Kenntnis der relevanten Zusammenhänge und könne entsprechend auch zu einer Modifikation der ursprünglichen Einschätzung führen. Dies war hier der Fall.
Die Kommission liess sich die verschiedenen Abklärungsphasen im konkreten Fall durch die FINMA erläutern und konnte die Argumentation der Bankenaufsicht nachvollziehen.»
Versagen der Institutionen
Es kann einer Grossbank passieren, gegen Reglemente oder gar Gesetze zu verstossen. Es kann einer staatlichen Aufsichtsbehörde wie der FINMA passieren, dagegen fälschlicherweise nicht einzuschreiten. Dafür gibt es dann, im Sinne von Checks and Balances, noch die Aufsichtspflicht des Parlaments. Als letztes Korrektiv in Form der Geschäftsprüfungskommission.
Wenn auch die, wie im vorliegenden Fall, versagt, nicht untersucht, sondern mit Rabulistik einen Persilschein wider die offenkundige Faktenlage ausstellt, dann haben wir ein echtes Problem. Ein viel grösseres, als die Lehman-Opfer haben. Dann muss man von einem Versagen der Institutionen sprechen.
Gedeckt statt aufgedeckt
Wenn gedeckt statt aufgedeckt wird, wenn die Erde über einem Skandal zugetreten wird, statt dass Sanktionen erfolgen. Wenn aus Überforderung, Dummheit, Inkompetenz oder schlimmeren Gründen verhindert wird, dass in der Schweiz endlich ein Anlegerschutz praktiziert wird, der seinen Namen verdient, dann liegt die Schlussfolgerung auf der Hand: Jeder Bankkunde muss seine Bank bei Anlageberatung als seinen Feind sehen, dem er schutzlos ausgeliefert ist. Was das dem Finanzplatz Schweiz nützen soll, ist völlig unerfindlich.