Das Ritual ist immer das gleiche. In Zürich oder Basel versammeln sich in einer grossen Halle ein paar tausend Aktionäre unserer beiden Grossbanken, dürfen, mit der üblichen Redezeitbeschränkung von fünf Minuten, das Wort zu jedem Traktandum ergreifen und anschliessend über die Vorschläge des Verwaltungsrats abstimmen. Gelebte Aktionärsdemokratie, eigentlich wie bei politischen Wahlen oder Abstimmungen. Soviel zur Theorie.
Realsozialistische Ergebnisse
Erste Zweifel am Bestimmungsrecht des Besitzers, des Aktionärs, kommen einem bei der Betrachtung der üblichen Resultate. 98,9 Prozent Zustimmung, 99,5 Prozent Zustimmung, bereits eine Zustimmung von «nur» 80 Prozent erregt Aufsehen. Gerade bei den letzten GVs der UBS und der CS herrschte nicht gerade eitel Sonnenschein unter den Aktionären im Saal. Kein Wunder, Multimilliardenboni fürs leitende Management standen ein mieser Aktienkurs und, im Falle der UBS, der erneute Verzicht auf die Ausschüttung einer Dividende gegenüber.
Auch der Entscheid, trotz Verweigerung der Entlastung auf juristische Schritte gegen ehemalige Mitglieder des Verwaltungsrats oder der Geschäftsleitung zu verzichten, sorgte für rote Köpfe. Was nichts daran änderte, dass sämtliche Anträge mit sonst nur noch aus Nordkorea bekannten Mehrheiten angenommen wurden. Es war auch unverkennbar, dass die auf dem Podium versammelten Mitglieder der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrats die Ausführungen der Redner und die Resultate der Abstimmungen nur mit mässigem Interesse verfolgten. Als hätten sie nicht den allergeringsten Zweifel an den Ergebnissen. Völlig zu recht.
Die Ohnmacht der Aktionäre
Nehmen wir, reiner Zufall, als Beispiel die Aktionärsstruktur der UBS. Ihre drei grössten Besitzer, Chase Nominees, London (10.07 %), DTC, New York (7,32 %) und Government of Singapore Investment Corp., Singapur (6,41 %) vereinigen auf sich lediglich knapp 24 % aller Aktien. Der nächstgrösste, Nortrust Nominees, London, besitzt nur noch 3,79 %. Das ist aber immer noch bei weitem mehr als die jeweils an einer GV persönlich anwesenden Aktionäre zusammen in die Waagschale werfen können.
Denn bei der UBS sieht das in Realität so aus: Die Bank hat rund 360 000 Aktionäre. Davon nehmen schon mal höchstens 5000 an der GV teil. Der Saal füllt sich mit Kleinaktionären, die zumeist auch mehr an dem offerierten Snack interessiert sind als an der Ausübung ihrer Besitzerrechte. Und der VR weiss im vornherein, was mit den Depotstimmen und den vorgängig beim unabhängigen Stimmrechtsvertreter abgegebenen Weisungen als Resultat auf der Leinwand vorne aufscheinen wird. Im Gegensatz zu Nordkorea benutzen aber viele Aktionäre ihre fünf Minuten Redezeit, um Dampf abzulassen.
Auch Grossaktionäre sind hilflos
Der Kleinaktionär, der in den letzten Jahren zähneknirschend zusehen musste, wie seine ursprüngliche Investition von bis zu 80 Franken auf unter 10 runtergefahren wurde, während sich das Management Mulitmilliardenboni für Multimilliardenverluste gönnte, kann seinen Frust höchstens mit gratis ausgeschenktem Wein runterspülen. Aber auch eine seltene und kritische Verlautbarung des Singapurer Staatsfonds, der immerhin zusehen musste, wie seine ursprüngliche Investition von 12 Milliarden Franken auf ein Drittel des Werts abschmolz, wird kühl abgebügelt. VR-Präsident Villiger heuchelte Verständnis für die Kritik, fügte aber flugs hinzu, dass die doch innenpolitische Gründe habe. Also im Klartext: Pfeift euch eins.
Das drückt auch sein Demokratieverständnis, den fehlenden Respekt gegenüber den Besitzern einer Bank aus. Ein Mal im Jahr meckern und motzen, solange ihr wollt, aber nicht mehr als fünf Minuten pro Nase, und dann darf der Besitzer abstimmen. Schön, dass die Verwalter und Angestellten, der VR und die Geschäftsleitung, das Ergebnis schon vorher kennen.
Die kleinen Unterschiede
In einer politisch-demokratischen Abstimmung ist jeder selber schuld, der nicht teilnimmt. Wie schön wäre es für eine Regierung, wenn sie jede Stimmenthaltung als Votum für sich zählen dürfte. Genauso funktioniert aber die Aktionärsdemokratie. Wer nicht an der Versammlung teilnimmt und auch keine Weisung erteilt, dessen Stimmen darf der VR nach Gutdünken, also in seinem Sinn, verwenden. Aus diesem Grund wurde noch kein einziges Mal die zähneknirschend zugestandene Konsultativabstimmung über Vergütungen, also Saläre und Boni für die obersten Etagen, verloren. Deshalb haben wir es beim VR und der GL eines Grosskonzerns mit einem Klüngelverein zu tun. Jeglicher Kontrolle durch die eigentlichen Besitzer enthoben. Und natürlich jeglicher Verantwortung; bislang war noch keine einzige Verantwortlichkeitsklage nach dem neuen Aktienrecht erfolgreich. Keine.
Wie die Swissair AG zeigte, ist es einem grössenwahnsinnigen Management und einem unfähigen Verwaltungsrat möglich, in wenigen Jahren eine traditionelle und florierende Firma in Grund und Boden zu fliegen – ohne die geringsten straf- oder zivilrechtlichen Folgen befürchten zu müssen. Geschweige denn Eingriffe der Besitzer, der Aktionäre. Grossbanken gehen da noch einen Schritt weiter und erfüllen einen alten marxistischen Traum: Die Enteignung des Besitzers, des Kapitalgebers, des Kapitalisten. Allerdings ergreift dann nicht das Proletariat die Macht, sondern die Geschäftsleitung. Eine dialektische Volte, die Marx nicht vorhersah.