In der Spielzeit 2013/14 verzeichnete das massgeblich von der Stadt Zürich subventionierte Theater 10.706 Besucher. Das waren 46,8 Prozent weniger als im Bühnenjahr zuvor. Die Einnahmen aus Billettverkäufen stürzten geradezu ab: um rund 60 Prozent auf 210.629 Franken. Der Betriebsaufwand von 5.527.020 Franken liess sich mit der Auflösung eines Legats knapp decken.
Hiobsbotschaft
Diese Entwicklung ist bedauerlich. Sie trifft ein eigenwilliges Ensembletheater, das seit 1966 mit zeitgenössischen und experimentellen Aufführungen Akzente setzt und im deutschsprachigen Raum beachtet wird. Noch im vergangenen September erhielt Martin Heckmanns Komödie "Ein Teil der Gans im Haus der Lüge" starkes Lob. Der Tages-Anzeiger schrieb, das Theater sei mit dieser Inszenierung "zur Hochform aufgelaufen"; die NZZ sprach von einem "grossen Wurf". Und jetzt die Hiobsbotschaft vom zahlenmässigen Misserfolg.
Eine Erklärung liefert wohl der Wechsel von der Direktion Barbara Weber und Rafael Sanchez zu Peter Kastenmüller und Ralf Fiedler. Es braucht Zeit, bis neue Besen gut kehren. Die rigorose Senkung der Eintrittspreise erwies sich als Werbegag ohne nachhaltige Wirkung.
Schnellschuss
Der künstlerische Rang des Theaters am Neumarkt würde eine besonnene Ursachenforschung verlangen und eine nüchterne Entwicklung von Lösungen. Stattdessen preschte die FDP-Fraktion im Zürcher Stadtparlament mit einer schriftlichen Anfrage vor und nimmt die Verantwortlichen mit der Erkundigung nach personellen Konsequenzen in den Schwitzkasten. In Unkenntnis der genauen Sachlage ist die Drohung mit dem Köpferollen eine populistische Entgleisung.
Wir erleben ein Lehrstück des befremdlichen Umgangs der Politik mit der Kultur. Die FDP in teilweiser Absprache mit der SVP, CVP und den Grünliberalen will das Finanzgebaren der Stadt Zürich samt Kulturausgaben an die Kandare nehmen. Das ist im Sinne der Opfersymmetrie sehr wohl vertretbar. Muss ein Gemeinwesen der Not gehorchend eisern sparen, steht die Kultur nicht unter Heimatschutz. Die Frage ist nur, ob es für Kürzungsrunden statt der Behutsamkeit die Kulturfeindlichkeit braucht.
Sündenböcke
Der FDP sind die mit kulturellen Institutionen abgeschlossenen Subventionsverträge ein Dorn im Auge, weil während ihrer mehrjährigen Laufzeit die finanziellen Leistungen "auch bei ärgstem Sparbedarf weder vom Stadtrat noch vom Gemeinderat in ihrer Höhe angetastet werden können". Genau so ist es. Denn die Eigenheit von Verträgen besteht nun mal in der Unmöglichkeit einseitiger Änderungen. Das sollte auch Mitgliedern einer gesetzgebenden Behörde klar sein.
Doch gewisse Politikerinnen und Politiker wollen das Gebot der Vertragstreue verletzen, weil sie die der Kultur verbindlich zugesicherten Gelder nicht als sinnvolle Investitionen betrachten, sondern als für den Sparzugriff "blockierte" Mittel. Dabei wäre es furchtbar praktisch, die Kulturkassen als Sparschweinchen schlachten zu können. In dieser absurden Logik werden die Kulturvermittler zu Sündenböcken, die sich unverschämt und unbelehrbar gegen die Sanierung des städtischen Haushalts sperren.
Kapitulation
Zu dieser verblüffend schiefen Sichtweise passt der FDP-Antrag ans Zürcher Stadtparlament, den Kulturinstitutionen, die ein Bilanzdefizit ausweisen, die Subventionen um bis zu einem Fünftel zu kürzen. Dieser rein über Zahlen gesteuerte Automatismus blendet die Ursachen für Defizite einfachheitshalber aus und bestraft die Ehrlichkeit bei der Rechnungsablage. Für die Begründung dieser auf den bürokratischen Biereifer beschränkte Kulturpolitik kommen die Schwierigkeiten des Theaters am Neumarkt gerade zum richtigen Zeitpunkt.
Eine Kulturpolitik allerdings, die Museen, Bühnen und Konzertsäle allein durch die Kostenbrille wahrnimmt, bloss auf Defizite wartet und dann als einzige Massnahme blitzartig den Geldhahn zudreht, kapituliert vor der wesentlich anspruchsvolleren Aufgabe, Kultur in ihren Zusammenhängen als Teil der Stadtpolitik zu fördern.