Der 48-jährige ist, einer Umfrage vom vergangenen November zufolge, in Amerika „die vertrauenswürdigste Figur“ auf dem Gebiet der Fernsehnachrichten - vor den hoch bezahlten Moderatoren der grossen Fernsehgesellschaften ABC, CBS, NBC und Fox. Erst Ende Oktober war es ihm gelungen, im Rahmen einer „Rally to Restore Sanity“ rund eine Viertelmillion Menschen meist linksliberaler Provenienz auf dem Mall in Washington DC zu versammeln, um gegen geifernde Demagogen wie Glenn Beck, Rush Limbaugh oder Bill O’ Reilly zu demonstrieren, die sich in ihren Radio- und Fernsehsendungen als rechte Volksverhetzer gefallen.
Die „New York Times“ vergleicht Jon Stewart mit journalistischen Ikonen wie Edward R. Murrow, der in den 50er Jahren Senator Joseph McCarthy, den schrillen Kommnistenjäger, entlarvte oder mit Walter Cronkite, in Amerikas Stuben als „Onkel Walter“ populär, dessen Skepsis gegenüber dem Krieg in Vietnam Präsident Lyndon Johnson 1968 zur Überzeugung gelangen liess, er habe die Unterstützung der Öffentlichkeit für den Konflikt in Südostasien verloren.
Brillante Persiflage einer Nachrichtensendung
Dabei sieht sich Jon Stewart, der jeglicher Ideologie misstraut, nicht als Journalisten, sondern als Satiriker. Er wolle, sagt er, nur unterhalten und nicht informieren. Stewarts zu später Stunde ausgestrahlte „The Daily Show“ auf Comedy Central ist, auch vom Dekors her, die brillante Persiflage einer richtigen Nachrichtensendung, so brillant, dass etliche Zuschauerinnen und Zuschauer gar nicht mehr merken, wo die Realität endet und die Parodie beginnt. „Jon Stewart ist nicht einfach ein Komiker“, sagt James Rainey, der für die „Los Angeles Times“ Medien kommentiert: „Obwohl er sich selbst als Komiker gibt und allen sagt, ‚Ich bin kein Politiker’, so ist er doch auf eine unübersehbare Art und Weise politisch.“
„The Daily Show“ hat inzwischen im Ausland etliche Nachahmer gefunden, zum Beispiel im ZDF (die „heute-show“) oder unter Iranern im Exil, die seit 2009 auf dem TV-Kanal der Voice of America „Parazit“ produzieren. „Parazit“ (zu deutsch: „Statik“), das über Satellit ausgestrahlt wird, persifliert das aktuelle Geschehen in der Islamischen Republik, allen voran die Auftritte von Präsident Mahmoud Ahmadinejad, der sich, wie einst sein Erzfeind George W. Bush, in der Öffentlichkeit gern verspricht.
„The Daily Show“ ist heute auf jeden Fall die beliebteste Nachrichtenquelle junger Amerikaner. Ähnlich beliebt ist nur noch Stephen Colberts „The Colbert Report“, ein ebenfalls halbstündiges Satire-Feuerwerk, während dessen der 46- jährige Colbert, ein Jünger Stewarts, einen leicht erregbaren, erzkonservativen Fernsehmann mimt, dem ob der eigenen Wichtigkeit fast der Kragen platzt. Und ähnlich wie Stewart versammelt Colbert ein im Vergleich zu den Zuschauern wirklicher Nachrichtensendungen kleines, zumindest aus Sicht der Werbewirtschaft aber feines Publikum: überwiegend junge Männer zwischen 18 und 34 Jahren, die „überdurchschnittliche Konsumenten von Erwachsenengetränken“ sind. Im Falle der „Daily Show“ schalten jeden Abend 1,3 Millionen Zuschauer auf Comedy Central, wobei sich Reichweite der Sendung durch die Verbreitung einzelner Sketches im Internet Internet multipliziert.
Nachrichten melden, bevor sie wahr werden
Anlässlich der Berichterstattung über die Parteikongresse der Demokraten und Republikaner vor zwei Jahren versprach ein Werbespot von Jon Stewarts „The Daily Show“ „das beste Team von Wahlkampfberichterstattern, welches das Universum je gesehen hat“, eine Mannschaft, die aus einem „news-scraper“ heraus operiert, „mit 117 Stockwerken, 73 Situation Rooms und 26 Agentur- Tickern“. Die „Daily Show“, so die Ankündigung, würde alle Nachrichten vermelden – „zuerst…bevor sie überhaupt wahr werden.“ Colbert kandidierte seinerzeit, aus Jux, gleich selbst, unter dem Motto „Unendliche Bescheidenheit“ und weil er fand, sein Gesicht sei dafür geboren, „auf Noten abgebildet zu werden“.
Jon Stewarts letzter Streich war es, im Kongress ein Gesetz verabschieden zu helfen, dem Aussenseiter keine grossen Chancen mehr eingeräumt hatten. Die so genannte „Zadroga Bill“ sieht vor, dass ein mit vier Milliarden Dollar gespiesener Fonds geschaffen wird, der Polizisten, Feuerwehrleute und Sanitäter unterstützen soll, die auf Grund ihres Einsatzes auf Ground Zero in Manhattan ernsthaft und zum Teil unheilbar erkrankt sind. Die Republikaner im Senat lehnten das Gesetz ab, weil es beabsichtigt, den Fonds via das Stopfen von Steuerlöchern zu finanzieren, von denen Grossfirmen profitieren. Mit Hilfe eines Filibuster, der Taktik des Dauerredens, wollten sie eine Beschlussfassung verhindern.
Indes hatten andere Fernsehsender (und grössere Zeitungen) dem Thema kaum Beachtung geschenkt und zweieinhalb Monate lang nicht darüber berichtet. „Obwohl es, um fair zu sein, nicht jeden Tag vorkommt, dass Beatles-Songs von iTunes übernommen werden“, frotzelte Jon Stewart. Denn alle Abendnachrichten hatten während dieser Zeit über den Deal zwischen den Beatles und Apple berichtet. Erst nachdem sich Jon Stewart des Themas angenommen und damit Aufsehen erregt hatte, begannen die Networks, ebenfalls über die Zadroga Bill zu berichten. Ironisch: Der einzige TV-Sender, der zuvor ausführlich und wohlmeinend über die Anliegen der „first responders“ am 11. September 2001 berichtet hatte, war al-Jazeera.
In seiner letzten Sendung vor Weihnachten am 16. Dezember redete ein sichtlich erzürnter Jon Stewart Klartext, wie man ihn im amerikanischen Fernsehen selten zu hören kriegt. Er prangerte die skandalöse Aufgabe der Verantwortung gegenüber jenen an, die an 9/11 „am heldenhaftesten agierten“. Er sprach von „einer nationalen Schande“ während eines langen Interviews mit vier unheilbar kranken Rettern, die über neun Jahre nach den Anschlägen in New York noch keinen Penny an Wiedergutmachung erhalten hatten: „Diese Burschen sterben, und doch lassen wir sie im Stich.“. Er kritisierte die republikanischen Senatoren als „worst responders“ und Mitglieder einer Partei, „die aus 9/11 ein billiges Schlagwort gemacht hat“.
Ameisen anzünden
Angefacht durch „The Daily Show“ wuchs in der Öffentlichkeit der Zorn auf die scheinheiligen Politiker in Washington DC, die das Wort Patriotismus nur im Munde führen, solange es sie nichts kostet. Doch Jon Stewarts Botschaft kam auch im Kongress an. Die republikanischen Senatoren gaben ihren Widerstand gegen den Gesetzesentwurf stillschweigend auf, und die Fernsehgesellschaften begannen, unter Verweis auf „The Daily Show“, ausführlicher über die Zadroga Bill zu berichten, selbst Fox News, deren Moderator Shepard Smith meinte, Jon Stewart habe „zweifellos, absolut recht“.
Und wie hatte es Jon Stewart selbst, während des „Rally to Restore Sanity“, in weiser Voraussicht formuliert? „Die Medien können ihr Vergrösserungsglas dazu benutzen, um Probleme zu erkennen, auf sie zu fokussieren und Missstände sichtbar zu machen, die unentdeckt geblieben sind“, sagte er an jenem strahlenden Oktobernachmittag in Washington DC: „Oder sie können ihre Lupe dazu benutzen, um Ameisen anzuzünden. Und dann, vielleicht, eine Woche lang über den plötzlichen, unerwarteten und gefährlichen Ausbruch einer Epidemie berichten, die Ameisen in Flammen aufgehen lässt.“