Mit der TAZ-Journalistin Anna Lehmann und Frank A. Meyer, Mitglied der Konzernleitung des Medienunternehmens Ringier
Der Arbeitersohn Frank A. Meyer behauptet von sich selbst manchmal: «Ich bin der letzte Linke. (…) Im Gegensatz zu vielen, die sich links verorten, habe ich einen Beruf gelernt, und zwar einen sehr, sehr politischen Beruf, ich war Typograph», aber «was das Liberale betrifft: ich war Unternehmer und Sozialdemokrat».
Er hatte eine eigene sozial-liberale Partei gegründet, «die beides umfasst und das Liberale gehört bei mir auch dazu, das ist mein Reflex gegen das autoritäre Linke.» – Dagegen wendet Anna Lehmann ein, die sich selbst als Linke bezeichnet: «Das Liberale gehört auch zum Linkssein dazu. Es war ja der Fehler der Stalinisten (…), dass man das Liberale nicht mitdachte, dass man Freiheit oder Sozialismus sagte». Meyer stellt klar: «Weder garantiert der Sozialismus die Freiheit, noch garantiert der Kapitalismus die Gerechtigkeit, und das ist für mich die Dialektik in unserer modernen Gesellschaft.
Warum ist die Politik ausserstande, die sozialen Anliegen der Mehrheit der Bevölkerung zu lösen, Mieten, Inflation, gekürzte Staatsleistungen?» Lehmann kritisiert: «Die Regierung kriegt das nicht in den Griff.» Meyer sieht das Problem in der «ganz, ganz wesentlichen Entfremdung der ganz normalen Arbeitnehmer von den linken Gruppierungen, Parteien, Erweckungsbewegungen, damit rede ich von den Grünen, das ist religiös besetzt. (…) Es gibt eine akademische Schicht, die sich die Linke gekrallt hat».
Dagegen Lehmann: «Ihre These ist, die Linke hat sich so weit von den Arbeitern entfernt, dass sie deren Anliegen gar nicht mehr vertritt. Ich würde sagen, es ist anders: Die Linke ist eigentlich nicht links genug. Zum Linkssein gehört für mich immer Kapitalismuskritik. Wenn es darum geht, den Sozialstaat zu gestalten, dann geht es immer auch um Umverteilung und gerade das schafft die heutige Linke nicht. Sie schafft es nicht, Besitzstände anzutasten und das ist ihr Problem.» Dagegen Meyer: «Wer verkörpert die Linke, wer verkörpert die Arbeiterbewegung und da spielt es schon eine Rolle, dass das heute eine völlig geschlossene Akademikerschicht ist.»
Es gebe zwar nicht mehr die Arbeiterklasse, so Lehmann weiter, «aber es gibt immer noch Ausbeutung (…) es gibt Leute die in Abhängigkeit leben und einen Job haben, der meist schlecht bezahlt ist (…), das würde man heute als prekarisierte Klasse nennen …». Mayer fällt ihr ins Wort: «prekarisierte Klasse ? (…) Die ganze Sprache hat sich entfremdet, hat nichts mehr mit diesen Leuten zu tun. (…) Ich will gar keinen Diskurs, ich will Streit.» Es sei an der Zeit, «in die Berufsbildung zu investieren. Von den 170 Genderlehrstühlen mal 120 abschaffen und das Geld umschichten zu den Berufsschulen (…), das wäre linke Politik». – Lehmann: «Das wäre keine linke Politik, das was Sie beschreiben wäre, zwei Anliegen gegeneinander auszuspielen: Gendern gegen gute Bezahlung und eine Umverteilung (…) man muss beides machen.»
Meyer: «Sie haben das Wort ‘alleingelassen‘ gebraucht, das ist für mich ein typischer Begriff der deutschen Politik: ‘Wir lassen die Bürgerinnen und Bürger nicht allein‘, das ist das Problem! In einer Demokratie ist die Frage, ob der Bürger durch seine Wahl den Politiker allein lässt, der Bürger ist der Chef vom Ganzen.» Es gehe «um die Menschen, die bestimmend sind für die Dinge in der Gesellschaft, im Produktionsprozess, in der sozialen Wirklichkeit (…) Aber wo sind die Arbeitnehmer (…) in den gestaltenden Gremien (…) in den Parlamenten, auch in den Regierungen? Ich rede wirklich von Schreinermeisterinnen.» Es gehe darum «diese Leute herauszuholen und zu sagen: Du hast die Sache zu entscheiden und nicht die Genderprofessorin … (…) Weil ich selbst Berufsabsolvent bin (…) steckt in mir die Rebellion gegen diese Schickimicki-Gesellschaft, die sich die Linke unter den Nagel gerissen hat.»
Dazu Lehmann: «Ich gehe mit ihnen einig, dass der Staat nicht maternalistisch oder paternalistisch sein darf und dass das zum Teil in der SPD und in anderen Parteien so drinsteckt. Es muss gelingen, die Bürger zu einem Teil des Ganzen zu machen, ‘sie mitnehmen’ klingt dann wieder so von oben herab.» – Meyer: «Diese rechtspopulistischen Bewegungen bewirtschaften genau das, was ich ständig beklage, sie bewirtschaften die (…) politische Heimatlosigkeit der Menschen mit den Versprechen ‚Wir sind das Volk‘. Es wird bewirtschaftet mit voller Emotionalität und Erfolg, der alles, was wir erkämpft haben an Demokratie und an funktionierendem Sozialstaat zutiefst gefährdet.»
Was ist die Lösung? – Lehmann: «Es geht im Kern darum, dass man den Leuten das Gefühl geben muss, sie sind nicht auf den Sozialstaat angewiesen, sondern sie können von ihrer Hände Arbeit leben. Alles was getan wird, das Wohngeld zu erweitern oder den Kinderzuschlag zu erhöhen ist ja quasi ein Eingeständnis des Scheiterns. Die Leute verdienen eben nicht genug in ihren Jobs, damit sie ohne die Hilfe des Staates über die Runden kommen. (…) Die Politik darf die Menschen nicht so behandeln wie die Empfänger von Almosen.»
Journal21 publiziert diesen Beitrag in Zusammenarbeit mit dem Podcast-Projekt «Debatte zu dritt» von Tim Guldimann.