Israels Premier, Naftali Bennett, zitiert gemäss der Dienstag-Ausgabe dieser Woche der Zeitung «Haaretz»: «Wir lassen nicht eine Sekunde lang nach in unserem Kampf gegen böse Kräfte.» Nun, gegen wen richtete er sich da wohl? Klar, gegen den Erzfeind Iran. Kurz zuvor hatten israelische Flugzeuge ein iranisches Schiff, das angeblich Waffen transportierte, im syrischen Hafen Latakia angegriffen.
Es ist schon längst Routine: Israel attackiert iranische Anlagen oder iranische Infrastruktur – Iran platziert Bomben am Rumpf von Schiffen, deren Besitzer Israeli sind. Seit mehr als einem Jahr gibt es einen veritablen «Tanker-Krieg» im östlichen Mittelmeer, am südlichen Ausgang des Roten Meers, östlich der Meerenge von Hormuz. Zwischenzeitlich bedrängen sich die beiden Mächte mit Cyber-Angriffen: Israel platzierte «malware» in mehreren iranischen Atomanlagen, auch im Atomreaktor von Busheer. Israels Geheimdienst war mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch verantwortlich für die Ermordung des iranischen Nuklear-Wissenschafters Fahrizadeh in Teheran vor einem Jahr – und wohl auch für den Tod, in den letzten fünf Jahren, von vier weiteren Atom-Technikern. Die Israels Geheimdiensten zugeschobenen Aktionen innerhalb Irans erreichten in den letzten Jahren ein Ausmass, das Zweifel aufkommen liess, ob die iranische Regierung überhaupt noch «Herr im eigenen Haus» sei.
Unterstützung des Westens
Weshalb sind diese beiden Staaten derart miteinander verfeindet, dass ein bewaffneter Konflikt immer wieder in den Bereich des Denkbaren gerät? Sie haben keine gemeinsame Grenze, sind mehr als 1500 Kilometer voneinander entfernt. Es gibt, eigentlich, nichts, was die beidseitige Ablehnung rechtfertigen würde. Blickt man sogar weit, bis in die Antike zurück, gibt und gab es viel Verbindendes zwischen Juden und Persern. Und noch vor fünzig, fünfundvierzig Jahren schienen Israel und Iran gegenüber der Aussenwelt wenn nicht als Verbündete, dann doch als Vertreter vieler gemeinsamer Interessen. Weshalb gilt das jetzt nicht mehr? Weshalb beschimpfen iranische Politiker Israel als den «kleinen Satan», also als Komplize des «grossen Satans», der USA?
Schah Reza Pahlevi hatte (meistens) exzellente Beziehungen zu Israel. Aber je mehr sein Regime durch Volksproteste in Frage gestellt wurde, je mehr er seine Herrschaft durch seinen Geheimdienst, Savak, absichern liess, desto enger wurde die Zusammenarbeit mit israelischen Geheimdiensten. Und desto härter danach, nach dem Sturz des Schah-Regimes Ende 1978/Anfang 1979 das Urteil der neuen Herrschaft mit Ayatollah Khomeini: Israel ist unser Feind. Eine der ersten Predigten Khomeinis streifte das Thema Israel/Palästinenser. Khomeini griff zu einer verhängnisvollen Formel: Die islamische Revolution müsse bis nach «al Quds» führen, also bis Jerusalem. Meinte er das nur in übertragenem Sinn – oder wörtlich? Wörtlich würde heissen: Krieg gegen Israel, um die dem Islam heiligen Stätten zu «befreien». Der Satz zeitigte gewaltige Auswirkungen: Der Krieg, den Iraks Diktator Saddam Hussein 1980 gegen Iran lancierte, erschien westeuropäischen Regierungen und jener der USA von Anfang an als Krieg eines «Säkularen» gegen einen expansiv orientierten Islam, eben jenen von Ayatollah Khomeini. Entsprechend unterstützte der Westen Saddam Hussein mit Waffen und Geld. Und das acht Jahre lang, während in Irak und Iran je mindestens eine halbe Million Menschen ums Leben kamen.
Israels Bedrohungsgefühl
Parallel zum Krieg mit Irak «entdeckte» die schiitisch-islamische Führung Irans ein Interessensgebiet weit im Westen – in unmittelbarer Nachbarschaft Israels, dessen Existenzrecht die Ayatollahs bestritten. Im Süden Libanons lebten mehrheitlich Schiiten, und diese Gemeinschaft war damals sozial, wirtschaftlich und politisch gravierend benachteiligt. Iran schleuste gewaltige Finanzmittel in die Region – vorgeblich mit dem Ziel, den Schiiten im Libanon bessere Schulen und ein mindestens rudimentäres Gesundheitssystem etc. zu verschaffen. Aber auch mit der Absicht, im Libanon die kämpferische Miliz Hizbullah gegen Israel aufzubauen, das Teile Südlibanons besetzt hielt.
Diese Miliz schwor – und das tut sie auch heute noch – ihre Loyalität gegenüber dem iranischen Revolutionsführer, nicht gegenüber der eigenen Regierung. Was in Israel die Überzeugung nährt, dass die Iraner direkt an ihrer Grenze stehen. In Libanon anderseits wurde Hizbullah über die Gemeinschaft der Schiiten hinaus populär, weil es ihr nach Jahren gelang, Israel zum Rückzug aus den besetzten Gebieten zu zwingen. Und jetzt, im Jahr 2021, ist Hizbullah nicht nur eine tonangebende Kraft im Parlament Libanons, sondern auch in der Regierung.
Provokation oder wirklicher Kriegsgrund?
Israels «Narrativ» lautet, dass Hizbullah ständig Konflikte provoziere. Doch die Geschichte ist komplexer und von Widersprüchen geprägt. Den Krieg von 1982 unter dem Slogan «Friede für Galiläa» lancierte Israel, um die palästinensische PLO aus Libanon zu vertreiben. Er forderte tausende Todesopfer nicht nur bei den Palästinensern, sondern auch bei Libanesen und somit auch bei den Schiiten. 2006 brach der Krieg aus, nachdem Hizbullah-Milizen zwei Israeli als Geiseln gefangen genommen hatten – das war eine Provokation; aber war es auch ein Grund für den Krieg, den Israel danach begann?
Weitere Komplikationen im Nicht-Verhältnis zwischen Israel und Iran zeitigten der von den USA 2003 entfachte Krieg gegen Irak und der interne Konflikt in Syrien ab 2011. Iran ist heute der wirtschaftlich wichtigste Partner der Regierung in Bagdad – und iranisch orientierte Milizen (geschätzte Totalzahl der Soldaten rund 100’000) wurden zu einer unverzichtbaren Säule für die irakische Armee. In Syrien mobilisierte Iran die libanesische Hizbullah-Miliz als ebenso unverzichtbare Kraft für das diktatorische Assad-Regime. Und einige tausend Kämpfer der iranischen al-Quds-Einheiten sind ebenfalls auf syrischem Territorium – und damit in der Nàhe Israels – aktiv.
Drohungen
Quer durch die Zeitgeschichte ziehen sich vor, während oder nach den Kriegen zwischen Israel und Libanon und den Konflikten Israels um Gaza und der dort herrschenden Hamas die verbalen Drohungen beider Seiten. Dem iranischen Exzentriker-Präsidenten Ahmadinejad wurde der Satz angelastet, er werde die Juden ins Meer werfen. Ahmadinejad hat selbst diese Worte zwar nie geäussert, aber er liess es zu, dass untere Chargen in Teheran entsprechende Drohungen ausstiessen. Auch später riefen prominente Iraner, etwa ein Kommandant der Revolutionsgarden, aus: «Wir haben jetzt die Fähigkeit, das heuchlerische zionistische Regime zu vernichten.» Ayatollah Khamenei modifizierte solche Aussagen dann zumindest ein wenig: Er, respektive Iran, fordere, dass Israel ein Referendum mit den Palästinensern im Westjordanland und Gaza durchführen müsse, um einen Staat zu schaffen, in dem Juden und Palästinenser gleichberechtigt leben könnten.
Klar, dass solche Forderungen in Israel auf taube Ohren stossen. Und je länger desto klarer setzt sich in Israel die Meinung durch, man könne Iran in Schranken halten – sei es durch Luftangriffe auf iranische Atomanlagen oder durch Cyber-Attacken. Notfalls müsse man eben, allenfalls sogar ohne US-amerikanische Rückendeckung, einen offenen Krieg wagen. Oberstes Ziel bleibe, dass Iran keine Atombombe entwickeln könne.
Ob Iran diese Absicht überhaupt hat, ist offen. Ayatollah Khamenei betont immer wieder, eine Atombombe sei «unislamisch», daher lehne er und lehne seine Regierung die «Bombe» kategorisch ab. Die in den letzten Monaten vorangetriebene Hoch-Anreicherung von Uran lässt da allerdings Zweifel aufkommen.