Das Jahr 2019 ist schon wieder eines der Wetter-Superlativen: Die aktuellen Hitzewellen, die Waldbrände in weiten Teilen Europas, die Feuer in der Arktis und die immer schneller schwindenden Eismassen. Die Menschheit läuft Gefahr, den Kampf gegen einen sich selbst verstärkenden Klimawandel zu verlieren. Natürlich werden verzweifelt Massnahmen gesucht, CO2 wieder aus der Luft zu entfernen. Ganz aktuell wurden dazu aufsehenerregende Forschungsergebnisse von den ETH-Forschern Dr. Bastin und Professor Crowther im renommierten Science Journal veröffentlicht (*1). Sie postulieren, dass durch Aufforstung von noch freien Flächen der Erde rund 200 GT (GigaTonnen) CO2 gebunden werden könnten. Ihrer Berechnung nach sind das fast ⅔ der bisher von der Menschheit ausgestossenen Menge von rund 300 GT, die sich derzeit zusätzlich in der Atmosphäre befinden. Der Anteil ist hoch und suggeriert, dass wir mit Aufforstung den Klimawandel stoppen können. Aber wie ist das Ergebnis zu beurteilen?
Fast alle vorgeschlagenen Massnahmen zum Klimaschutz sind für den Laien schwierig einzuschätzen. Ein Verständnis der Umsetzbarkeit verschiedener Optionen ist aber essentiell für unsere politischen Entscheide. Alle Ziele gleichzeitig zu verfolgen ist meist unmöglich, wir müssen Prioritäten setzen. Deshalb möchte ich gerne allgemein verständlich hinterfragen, wie sinnvoll die Aufforstung als Mittel gegen den Klimawandel wirklich ist und dazu auch ein paar andere Untersuchungen anschauen.
Grössenordnung der Lösung
Laut Crowther könnten 0,9. Milliarden Hektar Wald zusätzlich aufgeforstet werden und zwar in Gebieten, die nicht für Ackerbau, Viehzucht oder Siedlungsraum gebraucht werden. Die Grössenordnung entspricht in etwa dem Gebiet der USA. Gleichzeitig geben die Autoren zu bedenken, dass diese Mengen nur bei unserem heutigen Klima möglich sind und die Aufforstung einige Jahrzehnte dauert und ausserdem natürlich durch die wachsende Weltbevölkerung auch weitere Gebiete für die Agrarwirtschaft gebraucht werden. Sie befürchten, dass eine zunehmende Erderwärmung die nutzbaren Flächen für Wälder stark verringern kann. Die CO2-Werte in der Atmosphäre verursachen aber bereits heute starke Effekte, was darauf hindeutet, dass jede weitere Erhöhung den Klimawandel zusätzlich antreiben wird. Ausserdem gehen die Emissionen derzeit noch gar nicht zurück, im Gegenteil, wir stossen immer mehr aus, nämlich rund 53 GT CO2eq pro Jahre (*2). D. h. die Aufforstung einer Fläche der USA würde gerade mal die letzten vier Jahre Ausstoss kompensieren.
Die Forscher geben auch die Länder an, die hauptsächlich aufforsten müssten: Russland, USA, Kanada, Australien, Brasilien und China. Wenn man sich anschaut, was diese Länder in den letzten Jahren im Bereich Klimaschutz unternommen haben, dann erscheint es fragwürdig, dass sie nun plötzlich beim Klimaschutz vorangehen. In Brasilien z. B. sind in den letzten Jahren riesige Mengen Regenwald verschwunden, statt weitere Wälder aufgeforstet worden. Auch in Kanada werden wegen Teersand-Abbau riesige Flächen an Wald vernichtet.
Was ergeben andere Studien?
In Zeiten wie heute, wo weltweit Wälder in Palmöl- und Soja-Plantagen verwandelt werden, unter anderem um den steigenden Fleischkonsum zu befriedigen, ist es fraglich, wie man eine derartige Aufforstung umsetzen will. Aber selbst wenn sich die Länder dazu bereit erklären, dann müssten diese Wälder über Jahrzehnte beschützt werden. Aufforstung ist ausserdem eine relativ teure Massnahme, wie eine Untersuchung von DrawDown Solutions (*3) zeigt. In einer gründlichen Studie wurden hierbei von Wissenschaftlern die wirksamsten Massnahmen gegen den Klimawandel zusammengetragen und auf einer Skala von 1–100 bewertet. Die Aufforstung wird hier als eine von vielen Massnahmen auf Platz 15 genannt. Viel wichtiger und damit auf Platz 5 ist allerdings der Schutz der verbliebenen Regenwälder. Rund 46% der weltweiten Wälder sind nämlich seit der Industrialisierung bereits verschwunden. Da besonders die tropischen Wälder riesige CO2-Speicher sind, wäre der Erhalt hier besonders wichtig.
Wälder als CO2-Quellen
Im Angesicht des sich beschleunigenden Klimawandels und insbesondere der zahlreichen Brände in den letzten Jahren, ist es durchaus möglich, dass sich diese neuen und auch alte Wälder in Kohlenstoffquellen verwandeln. Brände, Viren oder Insektenbefall töten Wälder ab und setzen riesige Mengen an CO2 frei. Die Waldbrände in Schweden letztes Jahr und die Brände in Deutschland und der Arktis dieses Jahr zeigen, dass auch bisher feuerarme Gebiete durch beschleunigten Klimawandel neu zu Brandzonen werden können. Laut Berechnungen von Forschern können sogar die tropischen Wälder vertrocknen und anfangen zu brennen, weswegen die Verlangsamung des Klimawandels als Voraussetzung für Waldgesundheit gilt.
Zusätzliche Wälder dürfen keine Zertifikate liefern
Diese Beispiele zeigen, wie gefährlich es ist, damit zu rechnen, CO2 durch Aufforstung wieder aus der Atmosphäre zu holen. Am wichtigsten und sichersten ist es, den Ausstoss von Treibhausgasen so schnell wie möglich zu begrenzen. Eine zusätzliche parallele Aufforstung kann sicher nichts schaden, darf aber auf keinen Fall zu einem Zertifikatehandel genutzt werden. D. h. es darf kein Argument sein, CO2 an anderen Stellen weiter zu emittieren. Den die Gefahr ist gross, dass Wälder in Zukunft abrupt CO2 wieder abgeben. Zusätzlich brauchen auch Aufforstungsmassnahmen Energie und sorgen dafür oft erst mal für einen vermehrten CO2-Ausstoss. Natürlich haben Wälder auch weitere wichtige Funktionen, wie z. B. Biodiversität, Wasserspeicherung, Erholung usw., weswegen das Erhalten oder Rekultivieren von Wäldern natürlich weiterhin eine grosse Bedeutung hat.
CO2-Ausstoss begrenzen muss oberste Priorität haben
Das Aufforsten darf uns auch nicht verlocken, die Vermeidung von CO2-Emissionen zu verschieben, weil wir hoffen, diese dann später wieder aus der Luft zu holen. In der Diskussion wird es dann hinderlich, wenn andere Emissionsreduktionen dadurch nicht umgesetzt werden. Wenn wir das Klima stabil halten wollen, müssen wir laut renommierten Forschern auf 350 ppm (parts per million) zurückkommen. Aktuell sind wir aber bereits bei 415 ppm (*4).
Die günstigsten Massnahmen sind daher immer noch die Vermeidung von Emissionen. Die besten Möglichkeiten sind der Erhalt von bestehenden Wäldern, der Ersatz von Kohlekraftwerken durch Wind- und Solaranlagen und die Umstellung auf eine pflanzliche Ernährung und weniger Food-Waste. All diese Optionen sind unter den Top 10 bei Drawdown Solutions.
Wie kommen wir zu einem wirksamen, dauerhaften Klimaschutz?
Der Klimawandel beschleunigt sich bedrohlich und immer mehr Forscher fordern Regierungen zu drastischen Massnahmen auf. Diese sollen schnell wirksam und einfach sein. Was tut man, wenn man beispielsweise die Wasserqualität in Flüssen heben möchte? Man beschliesst Gesetze, die verhindern, dass Abwasser eingeleitet wird, und man baut Kläranlagen. Oder was wird beschlossen, wenn man keinen Müll im Wald möchte? Man verbietet, dass Müll wild entsorgt wird, und man stellt eine Müllentsorgung zur Verfügung.
Genau das Gleiche ist auch bei CO2 möglich. Der Ausstoss in die Atmosphäre muss so schnell wie möglich verboten werden. CO2 muss aufgrund der tödlichen Gefahr des Klimawandels wie ein gefährlicher Abfallstoff behandelt werden. Wir schreiben der Industrie nicht vor, wie das Abwasser zu klären ist. Vorgeschrieben ist nur, dass keine giftigen Stoffe ins Gewässer gelangen können. Genauso können wir der Industrie vorschreiben, dass CO2 aus den Abgasen entfernt wird. Da solche Abscheidungs-Technologien schon vorhanden sind, wäre das in wenigen Jahren machbar und kann auch von jedem Land einzeln bestimmt werden. Durch Massenproduktion werden diese Technologien verbilligt und Vorreiter können gefördert werden. Länder, die Abscheidungsanlagen und Vermeidungsstrategien entwickeln, werden technologisch gefragt sein und einen riesigen Markt an potentiellen Kunden haben. Auch die Lagerung von CO2 wurde in den letzten Jahren erforscht und es hat sich gezeigt, dass in den Boden verpresstes CO2 in wenigen Jahren zu Kalkgestein umgewandelt wird (*5).
Griffige Gesetze sind die Lösung
Der ehemalige deutsche Umweltminister Töpfer bestätigt diese Einschätzung in einem aktuellen Interview (*6): „Schwefeldioxid als Ursache des sauren Regens habe ich nicht drastisch reduziert, indem ein SO2-Preis festgelegt wurde, sondern mit klaren Grenzwerten! Die Emissionen sanken drastisch.“
Das ist auch beim CO2 die einzige wirklich Lösung, für die wir uns mit aller Kraft einsetzen sollten. Solche Verbote sind uns bestens bekannt: zum Beispiel Sklavenhandel, Kündigungsschutz und sexuelle Gewalt in der Ehe. Auch das waren zu diesen Zeiten umstrittene Themen. Es hat sich gezeigt: Diese Dinge kann und darf man nicht privaten Entscheidungen überlassen, sondern sie müssen gesetzlich geregelt werden.
Quellen:
(*1) Artikel von Prof. Crowther
https://science.sciencemag.org/content/365/6448/76
Short summary in ETH News
https://ethz.ch/en/news-and-events/eth-news/news/2019/07/how-trees-could-save-the-climate.html#comment
(*2) 53 GT CO2eq (Äquivalente) pro Jahre aus dem UNEP Gap report, https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/2018/12/UNEP-1.pdf
(*3) https://www.drawdown.org
(*4) James Hansen et al., Atmospheric and Oceanic Physics, die Menge CO2 in der Luft wird in Teilchen pro Millionen gemessen (ppm) https://arxiv.org/abs/0804.1126
(*5) Climeworks Technologie http://www.climeworks.com/climeworks-and-carbfix2-the-worlds-first-carbon-removal-solution-through-direct-air-capture/
(*6) Zitat Töpfer:
https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/innenpolitik/id_86106202/klimawandel-umweltminister-ziehen-bilanz-wir-werden-einfach-nicht-klueger-.html