„Das Volk hat gesprochen…der Saufhaufen“, sagte der politische Berater Dick Tuck, nachdem er 1966 in Kalifornien ein Rennen gegen Richard Nixon um den Einzug ins Parlament des „Golden Stare“ verloren hatte: „The people have spoken…the bastards.“. Es wäre Barack Obama wohl nachzusehen, hätte er sich in der Nacht auf Mittwoch ähnlich geäussert, als sich die Prognosen erhärteten, wonach seine demokratische Partei eine der schlimmsten Niederlagen ihrer Geschichte erlitten hatte – schlimmer als bei den Zwischenwahlen 1994 Bill Clintons Demokraten, die in der „Republikanischen Revolution“ 52 Sitze im Abgeordnetenhaus verloren.
Dieses Mal verloren die Demokraten 60 Sitze. Wie erwartet und in Umfragen zur Abwechslung genau vorhergesagt, ist es Barack Obama nicht gelungen, den „enthusiasm gap“ zu überwinden, der lethargische demokratische Wähler von motivierten Republikanern und befeuerten Anhängern der Tea Party trennte. Vor allem junge Wähler gingen nicht mehr so zahlreich zur Urne, wie sie es noch 2008 getan hatten.
Unter 30-Jährige machten vor zwei Jahren noch 18 Prozent der Wähler aus; am Dienstag waren es nur noch rund 9 Prozent. Zwar gelang es den Demokraten, gemässigte Wähler bei der Stange zu behalten, doch sie verloren die Unabhängigen.
Vorwiegend weiss, ländlich, überaltert
Falsch lagen am Dienstag jene Auguren, die 2008 nach dem Triumph Barack Obamas eine nachhaltige Neuordnung („realignement“) der politischen Landschaft in Amerika prognostiziert und davon gesprochen hatten, die demokratische Mehrheit würde nun für mindestens für eine Generation andauern. Sie begründeten das mit der wachsenden Zahl von Latinos, dem zuverlässig liberalen Stimmverhalten der Schwarzen, den altbekannten Problemen der Republikaner mit allein stehenden Frauen sowie dem Umstand, dass junge Amerikaner laut Umfragen so liberal wie selten zuvor waren. Die republikanische Partei, vorwiegend weiss, ländlich und eher überaltert, galt als Auslaufmodell. Jetzt am Dienstag aber haben vor allem ältere und konservativere Amerikaner die Wahl entschieden.
Nicht dass diesen Wählern die Republikaner viel sympathischer wären als die Demokraten - im Gegenteil. Doch sie trauen der „Grand Old Party“ eher zu, den Wirtschaftskarren aus dem Dreck zu ziehen. Laut Umfragen sagen heute 88 Prozent aller Amerikaner, der nationalen Wirtschat gehe es schlecht. Und rund 62 Prozent der Wähler finden, das Land befinde sich auf dem falschen Weg. Doch auch die Republikaner dürfen sich nicht allzu sicher fühlen: Zwei Jahre sind in der amerikanischen Politik, wie gesehen, eine Ewigkeit, und zudem lassen Befragungen unmittelbar nach der Wahl vermuten, dass eine Mehrheit der konservativen Wähler das beliebteste Mantra der republikanischen Partei nicht nachbeten: Dass es möglich ist, die Staatsschulden abzubauen und gleichzeitig die Steuern zu senken. Nur 19 Prozent unter ihnen finden, erste Priorität für den neuen Kongress müssten Steuererleichterungen sein. Und noch haben es die Republikaner versäumt, konkret zu sagen, wo und in welchem Umfang sie sparen würden.
Hat Amerika seine besten Tage hinter sich?
Bill Clinton gab sich 1994 nach der Niederlage versöhnlich, räumte ein, die Demokraten hätten nicht genug getan, um das politische Klima in Washington DC zu verbessern und forderte die Republikaner auf, „sich mir anzuschliessen im Zentrum der öffentlichen Debatte, woher die besten Ideen für die nächste Generation des amerikanischen Fortschritts stammen müssen“. Gleichzeitig warnte Amerikas 42. Präsident, die Genesung der Wirtschaft dürfe nicht durch einen Rückgriff auf Rezepte gefährdet werden, die schon früher versagt hätten. Auch Barack Obama wird sich überlegen müssen, wie er sich mit einer militanten republikanischen Mehrheit im Kongress am besten arrangieren kann.
David Brooks, der konservative Kolumnist der „New York Times“, rät dem Präsidenten für den Rest seiner Amtszeit, er müsse erstens unabhängige Wähler zurückgewinnen, zweitens eine neue, positive Identität finden und drittens der Furcht der Nation vor einem Niedergang entgegen treten: „Die gegenwärtige schlechte Stimmung basiert nicht nur auf der hohen Arbeitslosenrate. Sie entspringt der Befürchtung, dass Amerika seine besten Tage hinter sich hat.
Die Öffentlichkeit sorgt sich in Tat und Wahrheit weniger um Wirtschaftsdaten als um Werte: das schleichende Gefühl, dass Amerikaner schuldensüchtig und egoistisch geworden sind; das Gefühl, dass die Regierung die Verantwortung des Einzelnen untergräbt; die Festsstellung, dass Leute, die hart arbeiten, entlassen werden, während andere, die ihre Beziehungen spielen lassen, kräftig absahnen.“ Und viertens, so Brooks, müsse Barack Obama Institutionen etablieren, die auf lokaler Ebene einen gemässigteren politischen Kurs unterstützten: „Es ist nicht so, dass Amerika zu wenig Ressourcen hat. Sie werden nur falsch eingesetzt.“
Irak und Afghanistan spielten keine Rolle
Indes erinnerte am Wahltag eine koordinierte Serie von Bombenattentaten in den Schiitenquartieren Bagdads Amerika daran, dass nicht nur interne Sorgen die Nation plagen. 82 Menschen starben, 180 wurde verletzt – zwei Tage, nachdem bei einer Geiselnahme in einer Kirche der Hauptstadt 58 Iraker getötet worden waren. Wie hatte Sarah Palin, die Säulenheilige der Tea Party und Mitarbeiterin von Fox News, noch unlängst auf Facebook gesagt: „Wir haben vielleicht zum ersten Mal seit der Gründung unserer Republik einen Präsidenten, der nicht daran zu glauben scheint, dass Amerika die stärkste Kraft auf Erden ist, die es je gab, um Gutes zu bewirken.“ Ihre irakischen Freunde werden es gern gelesen haben.
Im jüngsten Wahlkampf spielten die Kriege im Irak und in Afghanistan keine Rolle, obwohl die beiden Konflikte seit 1991, inklusive Wiederaufbauhilfe und medizinischer Versorgung von Veteranen, mehr als eine Billion Dollar verschlungen und über 5000 Tote sowie mehr als 30 000 Verwundete gefordert haben. Tom Brokaw, einst Starmoderator des Fernsehsenders NBC, erklärt sich die Absenz des Themas so, dass sich die überwiegende Mehrheit der Amerikaner zwar morgens beim Aufwachen um ihr wirtschaftliches Wohlergehen sorge, sich aber um den Militärdienst drücken könne, da die USA inzwischen, anders als noch in Vietnam, eine Berufsarmee hätten, in der weniger als ein Prozent der Bevölkerung diene: „Keine Entscheidung ist von grösserer Tragweite, als eine Nation in den Krieg zu schicken.
Es geht, wie die Politiker zu sagen pflegen, um unser Blut und Erbe. Sicher verdienen Blut und Erbe mehr Beachtung, als ihnen während dieses Wahlkampfs zuteil geworden ist.“
Ebenso wenig wie die Kriege im Irak und in Afghanistan war bei den jüngsten Zwischenwahlen Amerikas Aussenpolitik ein Thema. Obwohl sich der eine oder andere Ausländer gefragt haben dürfte, ob die hohen Erwartungen, die er in Barack Obama gesetzt hatte, nicht auch enttäuscht würden und ob der Präsident, wie die „Financial Times“ fragt, weniger den Beginn besserer Beziehungen zwischen den USA und dem Rest der Welt repräsentiere, als eine vorübergehende Abweichung: „Könnte es sein, dass die USA, nach einem kurzen Zwischenspiel des Internationalismus und des Engagements in der übrigen Welt, zu einer unilateraleren und nationalistischeren Aussenpolitik zurückkehren?“
Ermutigter Netanyahu
Auf jeden Fall dürften die Republikaner im neuen Kongress die Aussenpolitik des Weissen Hauses an verschiedenen Fronten angreifen: Afghanistan („zu früher Abzug“), atomare Abrüstung („zu konzessionsbereit“), Russland („zu nachgiebig“), China („zu wenig selbstbewusst“), Entwicklungshilfe („zu grosszügig“), Uno und internationale Organisationen („ineffiziente Schwatzbuden“).
Zwar ist in den USA die Aussenpolitik vorwiegend Sache des Präsidenten und spricht der Kongress die Mittel und ratifiziert Verträge. Auch haben die Republikaner bisher kein aussenpolitisches Programm vorgelegt.
Indes fordern einige Vertreter der Tea Party eine aggressivere und militantere Politik Amerikas und denken dabei an Afghanistan, den Iran oder Saudi-Arabien. Trotzdem könnte es Barack Obama schaden, im Ausland als geschwächter Präsident wahrgenommen zu werden. Benjamin Netanyahu, fürchtet zum Beispiel das Magazin „Foreign Policy“, könnte sich durch die Niederlage des Präsidenten bei den Zwischenwahlen ermutigt sehen, sich dem Wunsch des Weissen Hauses nach einem Siedlungsstopp im besetzten Westjordanland zu widersetzen und dabei auf die Schützenhilfe der Republikaner in einem Kongress hoffen, den böse Zungen auch als „israelisch besetztes Territorium“ nennen. Und die Wahlsieger vom 2. November könnten in der Zukunft eine Einschätzung des Schriftstellers Arthur Miller bestätigen, der einst gesagt hat: „Nichts ist weiter von Washington entfernt als die ganze Welt.“ .