Genf ist ein zentraler internationaler Begegnungsort, wo praktisch alle Länder eigene Ständige Vertretungen unterhalten. Jene der Grossmächte sind entsprechend ausgestattet und erlauben, ohne grosse Vorbereitung auch den eigenen Staatschef mit Gefolge logistisch zu betreuen. Da nun das Gipfeltreffen zwischen den Präsidenten der USA und Russland auf westeuropäischem Boden schon sehr bald stattfinden soll, ist dies ein entscheidender Vorteil für Genf gegenüber Helsinki und Reykjavik, welche aus logistischen und politischen Gründen wohl ebenfalls in Frage gekommen wären. Das ist „courant normal“ für Genf und kaum einem speziellen Effort schweizerischer Diplomatie zuzuschreiben.
Keine Kameraderie à la Trump
Der Gipfel zwischen Putin und Biden wird interessant werden. Beide kennen sich; was Biden von „Zar Wladimir“ hält, hat er kurz nach seiner Wahl anscheinend bewusst kundgetan. Mit Blick auf die gegenwärtige russische Praxis, Opponenten mund- oder auch wirklich tot zu machen, hat er ihn in einem öffentlichen, „on the record“-Medieninterview als „Killer“ bezeichnen. Putin seinerseits war neben der Republikanischen Partei der grösste Verlierer der Wahlniederlage von Trump im vergangenen November. Mit Grossmaul Donald, der ihn wegen seiner autokratischen Machtfülle bewunderte, hat er sich bestens verstanden; ob da noch weitere Elemente für die bemerkenswerte Milde Trumps gegenüber Putin eine Rolle gespielt haben, wird wohl noch ans historische Tageslicht kommen.
Mit Präsident Biden und seinen engsten Beratern wird ihm und Aussenminister Lawrow in Genf ein Gegner und ein Team anderen Kalibers gegenübersitzen. Diese sind sich voll bewusst, wie provokativ und aggressiv sich Moskau in den letzten Monaten benimmt: Militärinterventionen in Syrien und Libyen, Grossaufmarsch der neuen Roten Armee an der ukrainischen Grenze; verhärtete Repression gegen Dissidente und freie Medien im Innern.
Russischer Beifall für Lukaschenko
Der Akt von Staatsterrorismus des weissrussischen Autokraten mit der Kaperung eines wehrlosen Systemkritikers aus der Luft wurde von den weitgehend gleichgeschaltenen russischen Medien heftig beklatscht. Beobachter gehen davon aus, dass Lukaschenko diesen Affront gegenüber der zivilisierten Welt nicht ohne Rückversicherung aus Moskau gewagt hätte. Man könnte meinen, Putin hätte wenig Interesse, den Gipfel in dieser Art weiter zu belasten. Allerdings zeugen vergangene, eindeutig von Putin abgesegnete Aktionen seiner Schergen im In- und Ausland von einem derartigen Mass an Zynismus, dass kaum mehr etwas erstaunt.
Diesmal werden auch jene europäischen Regierungen, welche in der Vergangenheit Sanktionen gegen Russland immer gebremst haben, nicht darum herumkommen, harte Massnahmen gegen das Regime von Lukaschenko zu ergreifen. Und damit treffen sie auch Putin, ohne den Lukaschenko längst nicht mehr an der Macht wäre.
Offensichtlich erscheint, dass Präsident Biden gegenüber Putin mindestens ebenso hart auf die „Kaperung von Minsk“ reagieren wird, wie die EU. Nicht ausgeschlossen sind gewisse russisch-amerikanische Zeichen am Gipfel mit Bezug auf Abrüstung. Nach dem Muster, das die Biden-Regierung in ihren Beziehungen mit China anwendet: Klarer Antagonismus, was Vereinbarungen im bilateralen und weltweiten Interesse nicht ausschliesst. Mit China im Bereich Klima, mit Russland mit Bezug auf Nuklearwaffen und ihre Nichtweiterverbreitung.
Gastgeber Schweiz
Die Welt, und speziell die schweizerischen Gastgeber, können froh sein, wenn der Gipfel zwischen den zwei nach wie vor weitaus gössten Nuklearmächten ohne grösseren Eklat zu Ende geht. Gelegenheit, sich im Glanz eines Gipfelerfolges zu sonnen, wird es kaum geben. Noch weniger Anlass, irgendwelche „guten Dienste“ über jene eines diskreten Hoteliers hinaus leisten zu wollen. Washington und Moskau kennen sich nur zu gut und verfügen auch über alle denkbaren Kanäle, ohne die Hilfe Dritter in Anspruch nehmen zu müssen.
Wenn schon, sollte die Schweiz stolz sein auf das weltweit renommierte AC-Labor in Spiez, dem eben ein wichtiges Mandat anvertraut worden ist: Offizielle Hüterin und Tresor der gefährlichsten Viren der Welt, eingeschlossen jener der Covid-Familie. Eine grosse Aufgabe und allenfalls nicht ohne mögliche politische Komplikationen. Dann beispielsweise, wenn an den sich plötzlich verdichtenden Gerüchten über einen chinesischen Labor-Ursprung von Corona etwas Wahres wäre.