Zunächst erst für ein Konzert, das Brahms-Requiem, unter Otto Tausk. Das war 2015 … Inzwischen sang Tareq Nazmi Ende des Jahres im St. Galler «Don Carlo» den König Filippo. Und er tat dies mit beeindruckender Eleganz in Stimme und Erscheinung.
Tareq Nazmi, der Name klingt fremdländisch. Und tatsächlich steht Kuwait als Geburtsort in seiner Biographie. Nicht unbedingt ein Ort, den man mit Oper und schönen Stimmen in Verbindung bringt … das macht neugierig.
Es ist Sonntagnachmittag, kalt, grau und es nieselt ein wenig. 14.15 Uhr am Bühneneingang, lautet der Treffpunkt. Der Bühneneingang ist geschlossen, der Portier hat keinen Dienst am Sonntag, aber zwei junge Musikerinnen lassen mich freundlich rein. Ein paar Minuten später kommt Tareq Nazmi, Mitte 30, gross, mit gelocktem Wuschelkopf und strahlendem Lächeln. Fremdländisch sieht er gar nicht aus …! Da lacht er gleich wieder: «Naja, meine Mutter kommt aus Norddeutschland, aus Schleswig-Holstein. Mein Vater ist Ägypter und hat in Kuwait als Musiklehrer gearbeitet, sonst habe ich weiter keine Beziehung zu Kuwait.»
Klassische Musik in Kuwait
Immerhin: dank seines Vaters, der angehenden Lehrern in Kuwait die Aspekte der klassischen westlichen Musik beibrachte, fand auch Tareq als Kind schon den Zugang zur klassischen Musik. Und auch zur orientalischen, arabischen Musik? «Kaum», Tareq Nazmi schüttelt den Kopf. «Ich erinnere mich nur, dass mein Vater ab und zu arabische Lieder vorgesungen hat, aber ich bin sehr westlich aufgewachsen. Und mein Vater hat uns schon sehr früh die Strukturen der westlichen Musik vermittelt, darauf hat er grossen Wert gelegt.»
Tareq Nazmis Weg zum Gesang war allerdings keineswegs vorgezeichnet. «Ich habe mit Geige und Bratsche begonnen. Da hat es sich aber bald gezeigt, dass es trotz allen Aufwandes, den ich dafür betrieb, nicht für eine Berufsmusiker-Karriere reichen würde. Da hätte man die Weichen viel früher stellen müssen. Dann war lange nicht klar, wie es weitergehen würde. Nach dem Stimmbruch habe ich in einem Jugendchor in München begonnen, bin aber – dank einer Begabtenförderung für junge Leute – schnell in die Bayerische Singakademie gekommen. Da bin ich so vielen jungen Menschen begegnet, die sich auf eine berufliche Laufbahn vorbereiteten, dass es mich glatt umgehauen hat. Das wollte ich auch! Ich wusste nur nicht, ob es mit dem Talent reichen würde. Ich wusste andererseits, dass Ansprüche und Anforderungen hoch sein würden. Und erzwingen kann man es nicht.» Musste er auch nicht. Denn seine schöne, tiefe Bass-Stimme fiel schnell auf.
Winterreise an der Klosterpforte
Zur Veredelung seiner Stimme hat möglicherweise auch der Zivildienst beigetragen, den Tareq Nazmi in München, an der Klosterpforte der Abtei St. Bonifaz absolvierte. «Morgens um sieben musste ich die Pforte aufschliessen und bis acht Uhr passierte überhaupt nichts, kein Mönch kam vorbei, kein Besucher und Anrufe gab es auch nicht. Da habe ich mir Schuberts ’Winterreise‘ angehört, mit Christian Gerhaher und Gerold Huber am Klavier. Ich war völlig hingerissen, wie exakt die beiden zusammenarbeiteten. Sängerisch und musikalisch war das für mich das Ideal – und ist es heute noch.
Christian Gerhaher ist für mich der absolute Sänger. Und ich durfte bei ihm studieren! Das hat sich alles wunderbar zusammengefügt.»
Wunderbar zusammengefügt hat sich inzwischen auch die Zusammenarbeit zwischen Tareq Nazmi und Gerold Huber, der nun auch Nazmi auf dem Klavier begleitet. Die hohe Schule des Lied-Singens ist für Nazmi von grösster Bedeutung. «Von all den Projekten, an denen ich beteiligt bin, muss ich schon sagen: das Lied fordert mir am meisten ab. Zusammen mit dem Pianisten ist man für den ganzen Abend allein verantwortlich. Was Gestaltung und Intensität betrifft, liegt alles in der eigenen Hand. Da ist man noch konzentrierter auf das Singen. Wenn es aber gelingt, dann ist es umso schöner. Und es ist wunderbar, an Liederabenden in Gerold Huber einen Partner zu haben, dem man vertraut und mit dem man die grosse Aufgabe gemeinsam angehen kann.»
Verdi statt Mozart
Nach diesem ersten Auftritt mit dem Brahms-Requiem war es aber die Oper, die Tareq Nazmi nach St. Gallen gelockt hat. Man lud den jungen Sänger ein, für «Figaros Hochzeit» vorzusingen. Nazmi sang - der Operndirektor hörte zu – und ihm war sofort klar, dass diese Stimme für Mozarts «Figaro» im eher kleinen St. Galler Theater zu gross, zu voluminös ist. «Er fragte mich, ob ich mir stattdessen den Zaccaria in Verdis ’Nabucco‘ vorstellen könnte … da war ich erst mal baff, damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Aber Verdi zu singen ist natürlich toll …» So debütierte er auf der St. Galler Opernbühne gleich mit einer grossen Verdi-Partie und ebenso grossem Erfolg.
Für jüngere Sänger ist es durchaus von Vorteil, an kleineren Theatern auszuprobieren, was sie später auf den grossen Bühnen souverän darbieten können. «Es ist geradezu ein Geschenk», betont Nazmi. «In einem grossen Haus muss man in meinem Alter oft lange darauf warten, diese Rollen zu singen, die für eine Karriere auch wichtig sind.»
Die grosse Bayerische Staatsoper war für ihn eine Zeitlang sozusagen der Heimathafen. Inzwischen ist er als freier Sänger unterwegs. «Zu Beginn meiner Laufbahn war es gut, in einem Ensemble zu sein. Mittlerweile kann ich es mir nicht mehr vorstellen, in einem festen Gefüge zu sein. Ich schätze es sehr, immer wieder mit neuen Kollegen zusammenzuarbeiten und immer wieder neue Impulse zu bekommen.» So ist er in den letzten Jahren an den verschiedensten grossen Bühnen quer durch Europa aufgetreten und war – unter anderem – auch am Eröffnungskonzert der Tonhalle Maag mit Beethovens Neunter in Zürich beteiligt. Und vor einem Jahr brillierte er – ebenfalls in der Tonhalle Maag – in Verdis «Requiem» unter der Leitung von John Eliot Gardiner. «Niederschmetternd grossartig», schrieb die NZZ damals über dieses denkwürdige Konzert.
Verdi-Requiem mit Currentzis
Das Verdi-Requiem wird Tareq Nazmi im kommenden Frühling auch wieder singen. Dann allerdings unter der Leitung von Teodor Currentzis. In der Schweiz sind Aufführungen beim Lucerne Festival vorgesehen und im frisch-renovierten Grand Théâtre in Genf. Mit Currentzis hat Tareq Nazmi bereits im vorletzten Sommer in Salzburg die Festspiele mit dem Mozart-Requiem eröffnen können. Ein Ereignis, das ihn sehr beeindruckt hat. «Es ist unheimlich inspirierend, wie Currentzis arbeitet. Diese Intensität, wie er einerseits mit uns Solisten, andererseits mit dem Chor und seinem Orchester arbeitet, das sieht man ganz selten. Da gibt es dieses Vertrauen und dieses bedingungslose Ihm-Folgen, das ist etwas ganz Besonderes. Wir waren ja anschliessend auch auf einer kleinen Tournee, und vor jedem Konzert gab es mindestens zwei Stunden Anspielprobe. Nicht nur, um den Raum kennenzulernen, sondern jedes Detail wurde aufs Neue geschliffen und zwar mit äusserster Intensität, sodass es im Konzert eine riesige Freude war, das alles umzusetzen.»
Zunächst ist Tareq Nazmi jetzt aber in München an der Bayerischen Staatsoper tätig. Da steht Beethovens «Fidelio» auf dem Programm, und die «Missa Solemnis», beides unter Kirill Petrenko, auch er einer der ganz Grossen unter den gegenwärtigen Dirigenten. Daneben singt Nazmi aber auch in Verdis «Macbeth», und zwar in Antwerpen. Es ist eine der letzten Produktionen unter dem Intendanten Aviel Cahn, bevor der Zürcher die Leitung des «Grand Théâtre» in Genf übernimmt. «Also die nächsten zwei, drei Jahre bin ich mit Opern und Konzerten versorgt…», sagt Tareq Nazmi und man sieht ihm die Freude an seinem Terminplan an.
Michael Jackson verpasst
Und wie ist das mit zeitgenössischer Musik? Oder was hält er von Pop und Rock? Das ist beides nicht zuvorderst auf seiner Liste. «Hmm, Zeitgenössisches …» sinniert er. «Da ist noch nicht so viel an mich herangetragen worden. Aber vielleicht habe ich es auch nicht so gesucht …» Er sagt es mit einem verlegen-schelmischen Lächeln. Und als Zuhörer bei Pop und Rock hat er schon als Jugendlicher den Anschluss ein bisschen verpasst. «Eine Tante von mir ist seinerzeit mit meiner Schwester in ein Konzert von Michael Jackson gegangen und hat mich als Kind gefragt, ob ich mitkommen wollte … aber ich hatte Schiss!!!! Ich bereue heute noch, dass ich nicht mitgegangen bin …». Darüber kann er sich freilich heute kaputtlachen … und er trägt’s mit Fassung. Sowieso ist es langsam Zeit, sich auf den Filippo im «Don Carlo» zu konzentrieren. Es wird dunkel draussen und drinnen bereiten sich alle auf den Opernabend vor.
Wer Tareq Nazmi und «Don Carlo» verpasst hat, kann es zwar nachholen, aber nicht mehr als Doppelpack, sondern beides einzeln. Ende Februar wird «Don Carlo» noch einmal gespielt, aber in anderer Besetzung. Und im April steht Tareq Nazmi auch in der Schweiz wieder auf der Bühne. Noch einmal mit Verdi. Aber mit dem «Requiem», dessen grandiose Klänge niemanden unberührt lassen.
«Messa da Requiem»
Giuseppe Verdi
8. April KKL Lucerne Festival
10. April Grand Théâtre Genf