Das 18. Internationale Lyrikfestival Basel ging nach einer Corona-bedingten Zwangspause endlich über die Bühne des intimen Basler Literaturhauses. Mittelpunkt bildete die Übergabe des Basler Lyrikpreises, diesmal gleich für die Jahre 2021 und 2022.
Es festivalt derzeit an allen Ecken und Enden. In diesem Mai werden überall so viele Feste und Festivals nachgeholt, dass kulturinteressierte Menschen wie ich gar nicht mehr nachkommen können. Zum Glück wird vieles digital aufgezeichnet und übertragen.
Basler Lyrikpreis 2021 und 2022
Exakt eine Woche vor den Solothurner Literaturtagen (27.–29. Mai) ging in Basel das kleine, aber feine, international ausgerichtete Lyrikfestival Basel über die Bühne. Der von der GGG Basel (Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige) gestiftete Preis holte die Übergabe des Lyrikpreises an den Baden-Badener Lyriker und Kulturveranstalters Hans Thill (Jg. 1954) für das Jahr 2021 nach. Jener für das laufende Jahr 2022 ging an die Ostberliner Lyrikerin, Hörspiel- und Prosa-Autorin Nadja Küchenmeister (Jg. 1981). Beide sind schon PreisträgerInnen und Auszeichnungen mehrer Literaturpreise.
Sowohl Küchenmeister wie auch Thill begeisterten bei ihrer Lesung durch ihren oft skeptischen, manchmal sehnsüchtigen, schliesslich aber meist versöhnlichen Blick auf alltägliche Befindlichkeiten. Auf letztere reagiert Hans Thill oft mit leicht spöttischem Witz, immer aber unprätentiös, zielgerade und scharfsinnig in den Kern der Sache vorstossend: «Das Zimmer ist, was die Tür zu sagen versucht. Seine Tätigkeit sei Behauptung gegen die Glieder, sei Bewegung und / noch nicht Gedanke.» (aus: Der heisere Anarchimedes. poetenladen, Leipzig 2020)
Mit ähnlich lakonischen Feststellungen transportiert Nadja Küchenmeister lapidare Erkenntnisse des Alltags in Nachdenken und in ein erweitertes politisches oder philosophisches Umfeld: «Hinter der Tür ist vor den Regalen» oder: «Niemand weiss, wie spät es ist / wenn es zu spät ist.» Ihr dritter Gedichtband «Im Glasberg» ist 2020 bei Schöffling & Co herausgekommen.
Lyrik im Foyer
Das Basler Festival wartete aber naturgemäss mit vielen weiteren literarischen Begegnungen auf, die nicht alle besucht werden konnten. Neben mehreren Einzellesungen und der aufschlussreichen Vorstellung der Basler Lyrikgruppe im Basler Schauspielhaus am Samstagnachmittag («Lyrik im Foyer» mit Simone Lappert, Claudia Gabler, Ariane von Graffenried, Alisha Stöcklin, Rudolf Bussmann und Wolfram Malte Fues) interessierte mich vor allem das Modul «Sprachkunst-Varieté» am Freitagabend. Damit wurde eine ebenfalls schon früher geplante Veranstaltung nachgeholt, welche Corona zum Opfer gefallen war.
Sprachkunst-Variété
Übergreifend stand die Idee im Raum, spartenübergreifend dargebotene Lyrik vorzustellen. Bezeichnenderweise fanden sich unter den Ausführenden nur weibliche Künstlerinnen – dies ein Abbild der gesamten interdisziplinären Kunstszene, welche weiblich dominiert wird. Ohne hier näher auf gesellschaftspolitische Hintergründe einzugehen: Nicht nur die allgemein wahrgenommene bildende, mit Raum, Wort und Musik arbeitende Kunst beherrscht die Szene. Auch ausgehend vom Wort – in diesesm Fallke von Lyrik – sind multimediale Erweiterungen möglich, ja, drängen sich eigentlich auf.
Allerdings herrscht hier eine gewisse Unklarheit über die Zuordnungen vor, was wohl systemimmanent ist. Wenn – wie bei der erfolgreichen Autorin Maren Kames (Jg. 1984) – nur das gesprochene deutsche Wort mit Einsprengseln von Popsongs aus dem englischsprachigen Raum fortlaufend vermischt wird, ist das Vorgehen wohl eher Poetry Slam zuzuordnen als einer interdisziplinären Szene. Kames Welt ist angesiedelt in der «Müdigkeit beim Nachhausegehen» – Streiflichter einer gelangweilten Generation.
Eine Wort/Klang/Bild-Performerin im klassischen, in Europa seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts geübten Sinne ist die Düsseldorfer Künstlerin und Poetin Heike Fiedler (Jg. 1963). Ihre in mehreren Sprachen oszillierende, atemlose Performance, welche sie mit ihren eigenen, auf die grosse Leinwand geworfenen Bildern und Videos unterstützt, während sie gleichzeitig live ihren Sound dazu mixt, war Beweis dafür, dass diese belebende Szene weiter existiert und sich immer noch entwickelt, denn «... unsere Lieder mischen sich ...»
Aber: «Unsere Geschichten sind Erinnerung.»
Ebenfalls einem klassischen Vorbild folgt das Zürcher Duo «Loretta Shapiro».
Zu den lapidaren, aber wirksamen und geradezu herausfordernden Texten von Katja Brunner (Jg. 1991) mixte die Musikerin und Performerin Sophie Aeberli (Jg. 1991) meist stille, innovative Klänge live auf der Bühne. Das ist nichts Neues – Poesie und Musik werden seit der Romantik miteinander aufgeführt. Der Ton dieser Lyrik von Katja Brunner ist allerdings illusionslos und zeitgenössisch, denn was sie umtreibt, sind «Choreografien beim Streicheln des Gummibaums». Oder auch: «Wenn der Kuchen spricht / haben die Krümel Pause.» Auch DADA grüsste an diesem belebenden Abend von weitem, und so schliesst sich nur vorläufig ein Kreis.