Infolge haarsträubenden Dilettantismus auf iranischer Seite hat sich nun das internationale Narrativ gewendet. Die iranische Regierung hat es fertig gebracht, verzugslos von der internationalen Opferrolle in jene unbedarfter Trottel zu wechseln.
Auch Putin kämpft mit einem PR-Desaster: Zum zweiten Mal wurde nun mit russischen Raketen ein ziviles Passagierflugzeug abgeschossen. Und in Libyen weigerte sich der mit russischen Waffen und Söldnern ausgerüstete Putschgeneral Haftar lange Zeit, einem von Putin eben mit grossem Pomp angekündigten Waffenstillstand zuzustimmen. Jetzt tat er es.
Hohes Risiko
Ausser unter den Republikanern in den USA waren sich die Kommentatoren weitgehend einig: Durch die gezielte Tötung eines hohen Verantwortlichen, wenngleich zuständig für schiitische Missetaten im Nahen Osten, war Washington im Konflikt mit Teheran eine Brücke zu weit vorgestossen. Einmal war das wahrscheinlich ein Verstoss gegen Grundsätze internationalen Rechts. Zudem sah man ein hohes Risiko der Eskalation des Konflikts mit grossem Kollateralschaden, sei es bei der Lahmlegung der internationalen Ölschlagader in der Strasse von Hormus am Ausgang des Persischen Golfs oder gar einem Angriff der schiitischen Hizbullah im Libanon gegen Israel.
Erste Zweifel
Angesichts der auf beiden Seiten tatsächlich sorgfältig kalibrierten Eskalationsschraube, kamen erste Zweifel auf. Offensichtlich wollte und konnte Teheran nicht massiv zurückschlagen. Man gab sich mit einem, intern als „tödlichen Schlag“ etikettierten Raketenangriff auf nebensächliche Materiallager der USA im Irak zufrieden. Hier fragt man sich wohl zu Recht, ob diese offensichtliche Inszenierung der Regierung vom iranischen Volk geglaubt und akzeptiert wird. Auf der Seite von Washington gab Trump den Friedensmacher, der „keinen Krieg will“.
Der reputierte „Economist“ fragte sich denn auch vor wenigen Tagen, ob die Tötung Soleimanis wirklich Wahnsinn und nicht ein Geniestreich gewesen sei.
Teheran schnitzert
Der erste Akt der Inszenierung der Staatstrauer um Soleimani verlief nach Teherans Plan. Die Tränen von Chamenei bei der trauernden Witwe, schluchzende Kummerfrauen in Grossaufnahme, zehntausende zornige Bärtige mit aufgereckter Faust in den Strassen der Hauptstadt ergaben ein Bild einer, unter dem Banner von Trauer um einen charismatischen Führer und gerechtem Zorn auf die USA wieder vereinigten Nation.
Der zweite Akt verlief dann aber ganz anders als geplant: Mehrere Dutzend Tote infolge einer Massenpanik anlässlich der Trauerfeier für Soleimani in seiner Heimatstadt. Die national und international gepriesenen und gefürchteten Revolutionsgardisten und andere „Speerspitzen der schiitischen Revolution“ waren offensichtlich unfähig, den sicheren Verlauf einer unkontroversen Feier im Inland zu garantieren.
Völlig aus dem Ruder lief offensichtlich dann der nächste, bis anhin letzte Akt der Inszenierung „Gerechter Zorn Irans und seine totale Abwehrbereitschaft“. Mit Raketen russischer Herkunft rund um den internationalen Flugplatz von Teheran, in Abwehrbereitschaft versetzt aus Furcht über amerikanische Revanche nach dem letzten iranischen Angriff im Irak, wurde irrtümlicherweise ein abfliegendes – nicht etwa ankommendes – Passagierflugzeug der Ukraine abgeschossen mit gegen 200 zivilen Opfern. Eine russische Abwehrwaffe, deren Radar nicht zwischen einem anfliegenden Marschflugkörper und einem ungleich grösseren zivilen Passagierflugzeug unterscheiden kann.
Russische Waffen, russische Technologie
Ist das nicht ein Szenario, das man schon kennt? So passiert vor wenigen Jahren im Osten der Ukraine, als ein malaysisches Flugzeug von einer russischen Rakete vom Himmel geholt und zahlreiche Zivilisten getötet wurden. Was ist hier los? Sind russische Waffen inhärent unsicher? Werden die Betreiber dieser Waffen unzureichend ausgebildet? Oder noch schlimmer: Sind die mit den Waffen gelieferten Spezialisten aus Russland unfähig oder unwillig, die Wirkung ihrer Mordmaschinen zu beherrschen?
Gilt das wohl generell für alle, welche unter einem autoritären System gewohnt sind, nur ja keine eigene Verantwortung übernehmen zu müssen? Man erinnert sich, als vor rund 30 Jahren ein sowjetisches Kampflugzeug irrtümlicherweise ein vollbesetztes südkoreanisches Passagierflugzeug abschoss. Der Schreibende hat damals als junger Diplomat im Sicherheitsrat der Uno entsprechende bezeichnende Konversationen zwischen dem Piloten und seinem Kontrollturm mitgehört.
In Zukunft wird sich jeder international Reisende zweimal überlegen, ob er einen Flugplatz oder ein Krisengebiet mit russischem Militärgerät in der Nähe überhaupt an- oder überfliegen soll.
Weitere Sorgen Putins
Russische Grossmachtpolitik beruht primär auf Rohstoffen und Waffenexporten. Archetypisch so im Moment auch in Libyen. In einem mit dem türkischen Präsidenten allenfalls abgekarteten Spiel unterstützen russische Söldner und Waffen seit Wochen den Putschgeneral Haftar beim Versuch, die Hauptstadt Tripolis einzunehmen. In einem wohl abgesprochenen Gegenzug eilt Erdogan dem international anerkannten Präsidenten Libyens zu Hilfe, zur Untermauerung seines Anspruchs, als Beschützer – sprich Grosskalif – aller Muslime. Am nächsten Tag treffen sich die beiden Autokraten und vereinbaren mit grossem Pomp einen Waffenstillstand in Libyen. So können sich beide ihr Stück Kuchen vom rohstoffreichen Wüstenstaat abschneiden, ohne störende Interferenz der Uno, der Amerikaner und Europas.
Haftar scheint hier aber die „wild card“ zu spielen; er weigert sich, bei diesem Spiel mitzutun. Wird der dieser Tage oft als überragender Taktiker etikettierte Putin seine unbotmässige Kriegspuppe zurückpfeifen können? So wie es ihm in West- und Nordsyrien mit Asad gelang, als eine direkte Konfrontation mit der Türkei drohte. Der noch labile Waffenstillstand hat nun dazu geführt, dass Putin eine Friedenskonferenz in Berlin akzeptiert hat, die EU also wieder mit im Spiel ist.
Europäisches Schandblatt
Das ist auch unbedingt nötig, denn in Libyen viel zu verlieren hat in erster Linie Europa. Ein Flächenbrand in Libyen würde unserem Kontinent eine weitere Flüchtlingswelle bescheren. Dass sich die EU hier (noch?) nicht zu einer klaren, sicherheitspolitisch relevanten Antwort hat zusammenraufen können, ist kein Ruhmesblatt für Europa.