Chinas Aussenminister Wang Yi gab auf einer Ministerkonferenz der Südost-Asiatischen Staaten (ASEAN) eine vorsichtig optimistische Einschätzung: «China schützt nicht nur das eigene Volk, sondern auch den Rest der Welt. Die Epidemie wird zwar einige Auswirkungen auf die chinesische Wirtschaft haben, aber ein solcher Effekt wird nur vorübergehend und begrenzt sein». Staats-, Partei- und Militärchef Xi Jinping gibt sich derweil, öffentlich immer politisch korrekt mit Schutzmaske um Mund und Nase, staatsmännisch. Entscheidend, so Xi, sei jetzt die Balance zwischen dem Schutz der Gesundheit und dem Hochfahren der wirtschaftlichen Aktivitäten.
Ziele erreichbar
Die Nationale Entwicklungs- und Reform-Kommission gibt sich gelassen. Der Einfluss des Virus sei nur temporär. Das Virus werde die fundamentalen Gegebenheiten der chinesischen Wirtschaft nicht verändern. Die Kommission gibt sich auch überzeugt, dass die für 2020 gesteckten Ziele erreicht werden können. Zu diesen Zielen gehören unter anderem die Verdoppelung des Brutto-Inlandprodukts (BIP) von 2010 auf 2020 sowie die Eliminierung der absoluten Armut bis zum Jahresende. Wang Yang, die Nummer vier im allmächtigen Ständigen Ausschuss des Politbüros, warnt allerdings und bezeichnet die Epidemie als «Faktor Nummer 1», welcher das Ziel der Eliminierung der absoluten Armut bedrohen könnte.
Fragil
Chinas Wirtschaft ist heute sehr viel wichtiger als vor 17 Jahren während der Sars-Epidemie. Damals betrugt der Anteil am weltweiten Brutto-Inlandprodukt (GDP) gerade einmal vier Prozent. Heute sind es 18 Prozent. China im Herzen der globalen Liefer- und der globalen Wertschöpfungskette sowie als Schlüssel-Konsummarkt übt mithin, ungleich früher, einen grossen Einfluss auf die internationale Wirtschaft aus. Laut einem Bericht des Internationalen Währungsfonds (IMF) könnte einer weitere Ausbreitung des Covid-19 die globale Erholung zum Erliegen bringen. Die «menschliche Tragödie» in China, so der IMF, könnte zum Risiko für das globale Wachstum werden. Die im vergangenen Jahr erstellten IMF-Wachstumsprognosen für das laufende Jahr von 3,3 Prozent – von 2,9 Prozent 2020 – erscheinen im neuen Licht der Epidemie eher fragil. Die Weltbank wiederum rechnet je nach dem weiteren Verlauf der Epidemie mit einem schwachen bis stärkeren Einbruch des GDP.
Wachstumsziele
Zhang Ming, Wirtschaftswissenschaftler an der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften, ging Ende Januar davon aus, dass sich das Wirtschaftswachstum im ersten Quartal (Januar-März) im Jahresvergleich unter fünf Prozent bewegen werde. Fürs ganze Jahr sieht er hingegen nur eine Verringerung von 0,4 Prozent voraus. Dass das Wachstum geringer ausfallen wird als 2019, war schon vorher praktisch sicher. Mit der Epidemie wird es jedoch klarer. Normalerweise wird das Wachstumsziel jeweils im Parlament am jährlichen Nationalen Volkskongress (NPC) am 5. März festgelegt. Wegen Covid-19 wurde eben der NPC auf unbestimmte Zeit verschoben. Erst in einigen Woche oder Monaten also wird das offizielle Wachstumsziel somit bekannt sein. Doch es gibt nach Einschätzung von chinesischen Oekonomen klare Limiten. Ein Mindestwachstum von 5,5 Prozent wäre nötig, um die von Partei und Regierung gesteckten Ziele zu erreichen und genügend neue Arbeitsplätze zu generieren.
Hohe Kosten
Eines ist nach Ansicht chinesischer wir ausländischer Beobachter klar: Der Ausbruch des Corona-Virus in Wuhan und die von der Regierung getroffenen strickten Massnahmen haben die Wirtschaft schwer getroffen. Die Kosten werden hoch sein. Trotz ersten Erfolgen in der Bekämpfung von Covid-19 kann heute noch niemand sagen, wie lange genau die Epidemie dauern wird. Die Pekinger Zentralregierung und die Chinesische Volksbank (Notenbank) haben inzwischen Massnamen zur Stützung der Wirtschaft und der betroffenen Firmen unternommen. Es sind punktuelle und gezielte Eingriffe. Erst nach den Zahlen des ersten Quartals sind allenfalls weitergehende Konjunkturmassnahmen möglich.
Arbeitsbeginn
Nach den wegen des Virus von der Zentralregierung verlängerten Frühlingsfest-Ferien war am 12. Februar wieder Arbeitsbeginn. Laut Tang Shemin von der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission haben mittlerweile rund fünfzig Prozent der Firmen in den wichtigen Wirtschaftsregionen wie etwa Guangdong, Jiangsu oder Shanghai ihre Produktion wieder aufgenommen. Die Meisten Staatsbetriebe in den Bereichen Telekom, Petrochemie, Stahl, Transport und Elektrizität haben ihre Produktion wieder hochgefahren. Doch sowohl bei den kleinen und mittleren Betrieben (KMU) als auch bei den grossen Staatsbetrieben ist noch längst nicht die volle Produktion möglich. Mitte Februar hatten auch knapp fünfzig Prozent der Einkaufszentren und Warenhäuser ihre Tore wieder geöffnet.
Wanderarbeiter
Chinas Wirtschaft ist in grossem Masse abhängig von seinen rund 300 Millionen Wanderarbeitern. Die meisten reisten zum Frühlingsfest – Chinesisches Neujahr – in ihre Heimatdörfer. Bis Mitte Februar sind nach offiziellen Zahlen jedoch erst 80 Millionen an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt. Wegen Reiserestriktionen und den überall von Lokalregierungen verordneten Quarantänen gibt es mithin zu wenig Arbeiter. Zudem sind die Transportwege unterbrochen.
Kooperation
Die chinesischen aber – wegen der weit fortgeschrittenen internationalen Wirtschaftsverknüpfung – auch die internationalen Lieferketten sind stark beeinträchtigt. Unternehmen auf der ganzen Welt sind mithin betroffen. Wie das Virus können die internationalen ökonomischen Verwerfungen nur in globaler, multilateraler Zusammenarbeit bekämpft werden.
Übel
Die chinesische Regierung hat – ungleich bei der Sars-Epidemie 2003 – jetzt bei der Virus-Bekämpfung und der Information darüber fast alles richtig gemacht. Und dennoch: das China-Bashing, d.h. die Negativ-Berichterstattung, wird wie seit Jahren ohne Unterbruch fortgesetzt. Beteiligt sind dabei leider auch Medien, die für sich ganz offen höhere Qualität beanspruchen. Das deutsche Nachrichten-Magazin Der Spiegel ist das schlimmste Beispiel. Quer über demTitelblatt die Schlagzeile «CORONA-Virus Made in China». Die Titelgeschichte ist voller Rassismus, Panikmache und Schuldzuweisungen. Ganz übel. Nicht viel besser verfahren die Journalisten der renommierten amerikanischen Tageszeitung Wall Street Journal. Sie verunglimpfen China als «kranken Mann Asiens» und sparen nicht mit Panik, rassistischen Auesserungen und Verurteilung der chinesischen Regierung.
Doch Spiegel und Wall Street Journal sind bei weitem nicht die einzigen analogen und digitalen Medien, die sich vor allem negativ äussern. Ganz offensichtlich passt vielen im Westen, notabene auch in der Schweiz,Chinas eigener Weg der Modernisierung nicht. Es wäre Aufgabe des im Westen so viel gepriesenen Qualitäts-Journalismus, sich endlich vertieft und ohne Scheuklappen in die Materie einzuarbeiten.