Für die Tatsache, dass Wim Wenders für seinen Papstfilm zum grössten Teil Filmmaterial des Vatikans verwendet hat, wurde ihm von den Kritikern alle Schande gesagt. So etwas gehöre sich einfach nicht. Wenders habe sich zum PR-Handlanger der Kleriker gemacht.
Wahrheit der Bilder
Dieses Urteil liegt so nahe, dass die Kritiker darüber den zentralen Punkt des Films gar nicht erst in den Blick bekommen haben: Das Material stammt zwar von den Bildregisseuren, Kameraleuten und Schnittexperten des Vatikans. Aber ist es allein deswegen nicht authentisch? Kann es trotzdem sein, dass sie ein wahres Bild des Papstes geliefert haben, so dass Wim Wenders seinen Film machen konnte?
Wenders ist nicht nur einer der renommiertesten Filmemacher Deutschlands, sondern auch ein bedeutender Fotograf. Einer seiner Bände heisst: „4 REAL & TRUE 2“. Darin setzt er sich mit der Frage auseinander, wann ein Bild Realität und Wahrheit für sich beanspruchen kann. Der erste, fast schon triviale Grundsatz ist, „dass da bloss nichts verändert oder gar in die Beweiskette eingegriffen wird“. Die zweite Erfahrung ist fast schon mystisch: Als er im November 2001 am Ground Zero in New York fotografierte, war ihm, „als erhebe der Ort selbst die Stimme, zusammen mit der verwundeten Stadt um uns herum“.
Der hohe Anspruch
Diese höchst anspruchsvollen Reflexionen zum Wahrheitsbezug von Fotos werden eine Rolle gespielt haben, als ihm der Vatikan das Material anbot. Er muss in den gelieferten Bildern, auch wenn sie von anderer Hand aufgenommen wurden, Authentizität und Wahrheit erblickt haben. Sonst würde er sich nicht dem sehr einfach zu erhebenden Vorwurf aussetzen, einer PR-Masche aufgesessen zu sein. In den Aufnahmen, die Wenders selbst vom Papst gemacht hat, erscheint der Papst zudem nicht einen Deut anders als als auf dem offiziellen Vatikan-Material. Der Film wirkt wie aus einem Guss.
Wenders benennt für den Papst den wohl denkbar höchsten Anspruch: Der Papst sieht sich in den Spuren von Franz von Assisi. Am Anfang des Films skizziert Wenders das Wirken des Heiligen Franz. Dies geschieht im Stil früher Wenders-Filme und erfordert den guten Willen der Zuschauer. Gleichwohl tritt der hohe Anspruch von Franz von Assisi in aller Klarheit hervor. Auch das raffiniertest gestaltete Filmmaterial des Vatikans könnte nicht das kompensieren und ersetzen, was fehlte, wenn Papst Franziskus diesen Anspruch unterböte. Diese Peinlichkeit wäre durch keine PR-Tricks zu eliminieren. Anschauungsmaterial dafür gibt es bei anderen klerikalen Amtsträgern reichlich.
Theologisches Seminar
Das ist der erste Grund dafür, dass der Vorwurf, Wenders habe Vatikanmaterial bloss aufbereitet, zu kurz greift. Von der ersten bis zur letzten Sequenz – und dazu gehören lange Interviewpassagen, die Wim Wenders selbst geführt und aufgenommen hat – ergibt sich das Bild eines Papstes, der zutiefst vom christlichen Geist durchdrungen ist. Ganz am Anfang des Films sieht man in den Aufnahmen des Vatikans Mitglieder der Kurie, denen der Papst ins Gewissen redet und die in keiner Weise dieses Mass an Glaubwürdigkeit ausstrahlen.
Wenders schildert den Papst als „Mann seines Wortes“. Auch darüber wurde viel gelästert. Es lohnt sich, den Film bis zum Ende zu sehen und nicht schon nach wenigen Minuten zu einem Urteil zu kommen. Nicht nur, weil es sich um einen typischen Wim-Wenders-Film handelt. In manchen Filmen von Wim Wenders dehnt sich die Zeit. Auch hier. Ganz am Anfang macht Wenders ein paar Bemerkungen zum Rätsel der Zeit, die immer schneller vergehen will. Eine Einladung zum Verweilen.
Diese Verweilen ist notwendig, damit sich die Vielschichtigkeit des Films erschliessen kann. Denn die Mission des Papstes und seine Botschaft sind mehrfach gebrochen. Wenders hat das sehr genau gesehen und verstanden und sich deswegen nicht gescheut, einen Film zu machen, der über weitere Strecken wirklich „vom Wort“ lebt und eher wie ein theologisches Seminar wirkt.
Brechungen
Die erste Brechung ist evident: Da steht ein Papst an der Spitze der Weltkirche, deren Ideal ganz offensichtlich nicht die Armut ist. In all dem Prunk predigt er Askese. Das könnte die pure Heuchelei sein, wenn an dem Papst nicht etwas wäre, das ihm Glaubwürdigkeit verleiht. Zwar steht er an der Spitze der Weltkirche, aber er will den Heiligen Franz zur Geltung bringen. Und man glaubt es ihm trotz aller Widersprüche:
Der Papst geisselt Verschwendung und den Ruin unserer Welt und spricht doch grösstenteils zu Menschen, die genau daran teilhaben. Und seine gut situierte Kirche gehört dazu.
Oder er spricht vor dem amerikanischen Kongress, geisselt Waffenhandel und rührt damit selbst republikanische Senatoren zu Tränen. Dabei war die Kirche selbst in ihrer langen Geschichte ein Gewaltunternehmen.
Oder er spricht zu den Ärmsten der Armen, denen Naturkatastrophen noch den letzten Rest ihres prekären Lebens geraubt haben. Und sie lieben ihn für seine Worte und Gesten. Aber konkrete Hilfe bringt er nicht.
Widersprüche
Die Liste der Widersprüche ist lang: Er hebt die Wichtigkeit der Frauen hervor, aber zum Priestertum der Frauen sagt er kein Wort. Er geisselt Missbrauch und Pädophilie, aber nicht einmal im Wenders-Kommentar wird sein Versagen im Fall Chiles erwähnt. Er beklagt den Ruin der Natur aufgrund unseres Lebensstils, aber er lässt sich die Schönheit der Schöpfung von einem Helikopter aus zeigen.
Der Papst wandelt zwar auf den Spuren von Franz von Assisi, aber er lebt inmitten von Zweideutigkeiten. Wenn er den Reichen die Armut predigt, wenn er die Ausplünderung unseres Planeten anprangert, wenn er die heilende Kraft der Liebe beschwört, so weiss er doch immer, dass seine Worte nicht wirklich von dieser Welt sind, aber sie sind wahr.
Appell
Der Papst appelliert an etwas, das von den Populisten dieser Welt verhöhnt wird: an die besseren Möglichkeiten des Menschen. Und er weiss sehr genau, dass seine Worte keine Hebel sind, mit denen sich die Welt direkt verändern liesse. An keiner Stelle findet man bei ihm Rezepte oder Programme. Er appelliert an das, „was im Menschen ansprechbar ist“, wie einmal der Philosoph Hans Jonas sagte.
Auffällig ist, dass die eigentlichen sakralen Amtshandlungen des Papstes kaum oder nur sehr sparsam gezeigt werden. Das mag am protestantischen Bekenntnis von Wenders, der ursprünglich Katholik war, liegen. Oder, und das ist wohl wichtiger, Wenders sieht die Bedeutung des Papstes gerade da, wo er das Gefäss der Amtskirche sprengt.
Lächeln und Humor
Am Ende des Films kommt Wim Wenders dem Papst noch einmal besonders nahe. Der Papst spricht über die Seelsorge und davon, wie gerne er Beichtvater war. Immer wieder habe er Eltern gefragt, wie viel sie mit ihren Kindern spielen. Spiel und Musse, das sei doch so wichtig für das Menschsein. Und was ist für ihn selbst am wichtigsten? Lächeln und Humor. Das Lächeln öffne Herzen, der Humor schütze vor Verbitterung.
Die Kirche, so wie wir sie kennen, ist ganz gewiss keine Gemeinschaft der Heiligen. Auch der Papst ist kein Heiliger. Aber er ist ein Mensch, der in diesem vieldeutigen und zum Teil abgründigen Gefüge Menschlichkeit ausstrahlt. Und das ist schon viel in der heutigen Zeit.
Wim Wenders, „Franziskus – Mann seines Wortes“. Jetzt auch in Schweizer Kinos.