Das „Movimento Cinque Stelle“, einst vom Komiker Beppe Grillo gegründet, war für viele Italienerinnen und Italiener ein echter Hoffnungsschimmer. Der italienische Politbetrieb ist erwiesenermassen zu einem grossen Teil korrupt. Die meisten Politiker denken nur an sich, bereichern sich, profitieren von ihren Privilegien und haben das Volk, das sie vertreten sollten, längst vergessen. Nirgendwo werden die Abgeordneten vom Staat derart gehätschelt und mit satten Diäten belohnt wie in Italien.
Das Ansehen der Parteien und der Politikerinnen und Politiker weist denn auch in Italien katastrophale Werte auf. Kaum eine Berufsgattung ist derart verpönt wie die Politiker.
„Vaffanculo“
Dann kamen die „5 Sterne“. Beppe Grillo rief den „Vaffanculo“-Protesttag aus – den „Leck-mich-am-Arsch-Tag“. So vulgär das klingen mag, Grillos Rezept hatte Erfolg. Unterstützt von seinem Ideologen Gianroberto Casaleggio zeigte er den Politikern die Rote Karte und versprach eine saubere, ehrliche Politik. Das tun zwar alle, doch Grillo ging derart vehement ans Werk, dass viele an eine Wende glaubten. Endlich eine Kampfansage an den verkrusteten, schmutzigen italienischen Politbetrieb. Das Personal, das Grillo auf die Wahllisten schickte, war zwar grösstenteils naiv, wirkte aber unverbraucht und aufrichtig. Gewählt wurden die Kandidaten via Internetabstimmung, was nicht immer sauber verlief, aber doch besser wirkte als die Günstlingswirtschaft der etablierten Parteien.
Bei den Wahlen vor einem Jahr wurden die Cinque Stelle reich belohnt. Plötzlich war die Bewegung die stärkste politische Partei in Italien. Sie erreichte 32,6 Prozent. Der bislang dominierende sozialdemokratische „Partito Democratico“ stürzte auf 18,7 Prozent ab. Die fremdenfeindliche, rechtspopulistische Lega kam auf 17,4 Prozent. Ideologisch sind die Fünf Sterne sowohl links- als auch rechtspopulistisch. In jüngster Zeit haben sie einen klaren Ruck nach rechts vollzogen.
Betrug an den Wählern
Nach den Wahlen im März 2018 gingen die Sterne eine Koalitionsregierung mit Matteo Salvinis Lega ein – und das war der Beginn des Niedergangs. Luigi Di Maio, der Chef der Cinque Stelle, begann, die einst hehren Prinzipien und Versprechen der Sterne über Bord zu werfen – eines nach dem andern. Viele empfinden das heute als Betrug an den Wählern und laufen der Partei davon.
Zudem liess sich Di Maio von Salvini gründlich missbrauchen. Obwohl die Sterne als stärkste Formation in die Koalitionsregierung gingen, spielte Salvini Di Maio öffentlich an die Wand. Die Lega konnte laut Meinungsumfragen ihren Stimmenanteil verdoppeln. Sie ist heute mit Abstand die stärkste Partei in Italien. Laut der jüngsten Umfrage des Fernsehsenders TG7 kommt sie auf 33,9 Prozent – Tendenz steigend.
Vom PD überholt
Und die Sterne verblassen. Im Vergleich zu den Wahlen vor einem Jahr haben sie elfeinhalb Prozentpunkte verloren. Und: Zum ersten Mal wurden sie laut jüngster Umfrage vom sozialdemokratischen PD überholt. Die Sterne kommen jetzt auf 21,0 Prozent, die Sozialdemokraten, die einen neuen Parteichef haben, auf 21,1 Prozent. Auch wenn der Vorsprung des PD äusserst knapp ist: er ist psychologisch wichtig und den italienischen Zeitungen dicke Schlagzeilen wert.
Das Movimento Cinque Stelle hat längst keine weisse Weste mehr. Bekannt wurde, dass viele Abgeordnete saftige Spesen in Rechnung stellten – dies, obwohl Grillo versprach, genau dies nicht zu tun. Da werden monatliche Telefonspesen von bis zu 8’000 Euro verrechnet. Spitzenreiter ist Roberto Cotti, ein abtretender sardischer Senator. Er verlangte pro Monat 9’300 Euro für Essen, Reisen und Übernachtungen. Als ihn die sardische Zeitung „Unione Sarda“ mit diesen Zahlen konfrontierte, sagte er: „Das zeigt, dass ich viel gearbeitet habe.“
Und jetzt dies!
Und jetzt haben die Sterne endgültig ihre Unschuld verloren. Marcello De Vito, der 45-jährige Präsident des Römer Gemeinderates (Stadtparlament) sitzt seit Mittwoch im Römer Gefängnis Regina Coeli. De Vito ist Mitglied der 5 Sterne. Ihm wird vorgeworfen, Schmiergelder im Zusammenhang mit dem Bau des neuen Römer Sportstadions bezogen zu haben. Befreundete Bauherren versprachen ihm 400’000 Euro, von denen er bereits 230’000 Euro bezogen hat. De Vito ist nicht irgendwer; er galt als eine der Galionsfiguren der Römer Cinque Stelle. Zusammen mit De Vito wurde auch sein Komplize, der Anwalt Camillo Mezzacapo, festgenommen. Er steht den Cinque Stelle nahe.
Die Affäre wirft auch ein bedenkliches Licht auf die Römer 5-Sterne-Bürgermeisterin Virginia Raggi. Sie war vor drei Jahren gewählt worden. Beppe Grillo feierte sie als Vertreterin der neuen, zupackenden, ehrlichen Generation von Politikern. Raggi hat längst bewiesen, dass sie unfähig ist, die Römer Probleme auch nur halbwegs in den Griff zu bekommen. Jetzt hat sie auch gezeigt, dass sie die Kontrolle über kriminelle Machenschaften innerhalb der Römer Regierung und innerhalb ihrer Partei völlig verloren hat.
Quittung für nicht eingehaltene Versprechen
Die Affäre kommt für die Sterne einem Dolchstoss gleich. Ausgerechnet jene Bewegung, die Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit in die Welt hinausposaunt, zeigt, dass sie keinen Deut besser ist als jene Parteien, denen sie Korruption, Bestechlichkeit und Vetternwirtschaft vorwirft. Da hilft auch nicht, dass Di Maio den verhafteten De Vito augenblicklich aus der Partei hinausgeworfen hat.
Der Skandal kommt zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Ende Mai finden Europawahlen statt, die als Barometer-Wahl gelten. Es ist zu erwarten, dass die „5 Sterne“ dann die Quittung für ihre nicht eingehaltenen Versprechen erhalten und weiter schrumpfen. Beobachter in Rom sehen bereits das Ende der Bewegung voraus.
Regierung à la Victor Orban
Einer lacht sich ins Fäustchen. Für Lega-Chef Salvini waren die „5 Sterne“ ohnehin nur Mittel zum Zweck. Dank der Cinque Stelle kam er an die Macht und baute seine Partei zu einem aggressiv-populistischen Machtzentrum aus, vor dem sich nicht nur seine Gegner in Italien fürchten, sondern auch viele im übrigen Europa.
Journalisten in Rom rechnen damit, dass Salvini die Cinque Stelle nach den Europawahlen „entsorgen“ wird. Dann könnte er eine Koalition mit Berlusconis Forza Italia und den postfaschistischen „Fratelli d’Italia“ anstreben. Viele fürchten schon eine italienische Regierung à la Victor Orbán.