Die expansive Geldpolitik zur Bekämpfung der Krise von 2007/2008, obwohl kurzfristig erfolgreich, hat mittelfristig zu wachsender Ungleichheit geführt. Damit ist soziale und politische Unruhe geschürt worden, welche das bislang erfolgreiche System offener und internationaler Gesellschaften, aber auch Märkte in Frage stellt.
In der Folge von Covid-19 besteht die Gefahr, dass sich diese Tendenz noch verstärkt: Die Superreichen werden noch viel reicher, siehe etwa den Vermögenszuwachs von Jeff Bezos bis hin zur Familie Blocher. Die Reichen werden reicher, etwa durch den Aktienboom und ein guter Teil des grossen Rests erleidet wegen der Pandemie berufliche und finanzielle Einbussen.
Was ESG bedeutet
Das E steht für Wirtschaftstätigkeit, welche im Interesse aller der Umweltverträglichkeit Priorität einräumt. Alternative, nicht fossile Energie. Einbezug der gesamten CO₂-Belastung bei der Preiskalkulation eines Produktes oder einer Dienstleistung. Das S bedeutet soziales Verhalten, wobei die Pandemie hier als Lupe gewirkt hat. Allen Beteiligten in den langen Ketten vom Rohstoff über Fertigung zur Lieferung muss im Notfall vom Unternehmen Hilfe zukommen. Aber auch den Menschenrechten aller Beteiligten ist Beachtung zu schenken, so mit Blick auf Kinderarbeit oder das Verhalten auf fremden Märkten.
G für Governance meint verantwortungsvolle Unternehmensführung gegenüber der Allgemeinheit, also etwa Abgaben dort zahlen, wo Gewinne anfallen und nicht im Steuerparadies. Die Akzeptanz, dass ausserordentliche Gewinne durch Zufall und nicht Eigenleistung auch ausserordentlich belastet werden können. So wie das die ETHZ im Nachgang der Pandemie vorgeschlagen hat.
Bisher und jetzt
Schon vor Covid-19 haben sich zahlreiche Unternehmen und ihre Dirigenten zunehmend gefragt, was sie als Wirtschaftsakteure tun können, um neben ihrem Unternehmen und dessen Eigner (Shareholder) auch die Gesellschaft (Stakeholder) stärker vom eigenen Unternehmenserfolg profitieren zu lassen.
Die Pandemie hat nun diesen Prozess stark beschleunigt, da sie gezeigt hat wie fragil das internationale System tatsächlich ist. Wie rasch ein Absturz zu Isolation und Armut führen kann. Zudem ist die wiederum notwendige Grossaktion mit Staatshilfe an Einzelne und an eine Mehrheit von Unternehmen diesmal mit der Einsicht verbunden, dass der Staat seine Unterstützung an Bedingungen knüpfen muss und wird.
Der Staat
Dies kann er direkt tun, so etwa wenn Staatshilfe mit dem Aufschub von Dividendenzahlungen und dem Stopp von Aktienrückkäufen verbunden wird. Ungleich wichtiger ist aber der allgemeine gesetzliche Rahmen, der heute offensichtlich von einer Mehrheit gefordert wird. Sei es in Diktaturen, wie beispielsweise in China, wenn der Leidensdruck (Luftverschmutzung) zu gross wird, sei es in Demokratien, wo die Stimmbürger entweder „Grün“ wählen (und in der Schweiz abstimmen) oder nationalistischen Rattenfängern mit vermeintlichen Patentlösungen („Ausländer raus“) auf den Leim kriechen.
Der „Green New Deal“ der EU wird mittelfristig die Klimapolitik der europäischen Länder, eingeschlossen der Schweiz, nachhaltig verändern. So sehr auch und gerade die angesprochenen Rattenfänger aufheulen, eine Krise wie die gegenwärtige sei nicht der richtige Zeitpunkt. Doch, gerade weil zur Krisenbewältigung ein Überdenken von Risiko im weiten Sinn in jedem Unternehmen („risk competitiveness, not cost alone“) notwendig ist, müssen auch die „grossen“ Fragen des Überlebens unserer bisherigen Gesellschaft und ihrer Ordnung in diese Kalkulation einbezogen werden.
Zum Beispiel Kohle
Neben den vom Staat verordneten Push-Faktoren bestehen bereits auch zahlreiche Pull-Faktoren für Unternehmen. Ein einziges aber zentrales Beispiel im Bereich Umwelt sei hier genannt: Kohle. Diese ist für ein Drittel des globalen CO₂-Ausstosses verantwortlich. Das weltweit grösste Minenunternehmen, das englisch-australische Unternehmen BHP Billiton wird seine Kohleförderung zur Energieerzeugung aufgeben. Dies einmal, weil zunehmend schärfere staatliche Vorschriften Energie via Kohle verteuern, dann aber auch weil immer mehr Grossanleger ihre „dreckigen“ Rohstoffanlagen veräussern und damit die Finanzierung für Energieunternehmen teurer wird.
Der weltweit grösste Einzelanleger im internationalen Finanzmarkt, der norwegische Staatsfonds, hat kürzlich seine Anteile am, bekanntlich schweizerischen, weltweit grössten Rohstoffförderer und -händler Glencore verkauft. Dies ist ein Alarmzeichen für alle Anleger. Wenn einmal die gewaltigen Finanzwerte, welche in noch nicht realisierten, fossilen Rohstoffreserven stecken zu „stranded assets“, also wertlos, werden, so werden die Aktien der betroffenen Firmen in die Tiefe rauschen.
Bewertung und Überprüfung
Um die tatsächliche ESG-Befolgung durch einzelne Unternehmen sichtbar zu machen, gehört eine international verbindliche und einheitliche Bewertung der ESG-Befolgung der Unternehmen zu den dringendsten Aufgaben der Zukunft. Sie wird sich nur im Zusammenspiel zwischen Staat und Privatindustrie machen lassen. Das umfasst auch ein entsprechendes „Auditing“. Das wäre doch ein neues Tätigkeitsfeld für die vier grossen, internationalen Buchprüfer, welche sich allesamt in jüngerer Zeit nicht mit Ruhm bedeckt haben.
Falsche Einwendungen
Im Zusammenhang mit dem Momentum Richtung ESG müssen schliesslich auch die zwei oft gehörten Einwendungen erwähnt werden, dass ESG lediglich eine Modeerscheinung sei, ein „fad“ eben, und vorübergehen werde wie vieles andere auch im langjährigen Börsenverlauf. Zu diesen Kritikern gehören einmal die „Friedman diehards“. Das dem konservativen Ökonom Milton Friedman zugeschriebene Diktum „the business of business is business“ hat wohl nie gestimmt und tut es heute noch weniger angesichts der bereits erfolgten Globalisierung des Wirtschaftslebens und gleichzeitigem Verharren der Politik in vielerlei Beziehung auf nationaler Ebene.
Ernster zu nehmen sind jene, welche von einem unauflösbaren Widerspruch zwischen den Interessen von Share- und Stakeholdern in der betriebswirtschaftlichen Praxis ausgehen. Aber auch dies ist falsch, wie der Nachgang der Finanzkrise von 2007/8 gezeigt hat. Wachsende Ungleichheit, damit weniger Kunden, und nationalistische Abschottung von Märkten, damit kein internationaler Wettbewerb, wird längerfristig auch jenen Unternehmensführern schaden, welche sich anheischig machen, allein den Aktionären – und sich selbst in der Form von Salären und Boni – verantwortlich zu sein.