Für diesen Beitrag muss ich mich outen: Ich bin unverbesserlicher Eishockey-Romantiker, ein grosser Fan des kleinen Ambrì – selbst in Zeiten als Konditionstrainer des Eishockey-Vereins EV Zug. Stets schlug mein Herz für den tapferen Dorfclub aus der mausarmen Leventina. Pilgerfahrten in die eiskalte Hockey-Kathedrale der Valascia wurden zu prägenden Erlebnissen: In der Curva Sud stehen, die Emotionen für die Biancoblù miterleben, sich von dieser Magie packen lassen und in die mythische Berglerhymne „La Montanara“ einstimmen, wenn Ambrì gewonnen hat. Unvergesslich!
Für Ambrì sein ist Ausdruck einer Haltung
Fasziniert am Phänomen Ambrì hat mich das Gegenläufige, vielleicht sogar das Rebellische dieses ehemaligen Urner Untertanengebietes: der Kleine gegen den Grossen, das bescheidene Dorfteam aus dem engen Bergtal gegen die wohlhabenden Stadtclubs aus Bern und Genf, von Zürich und Zug. Es beinhaltet die unbändige Leidenschaft gegen das finanziell Überlegene, das Heroische gegen das Professionelle. Kurz: einmal mehr aufstehen als umfallen.
Anhänger von Ambrì sein bedeutet Teilhabe am Leiden des Underdogs, heisst mitfiebern in dieser Trutzburg des Kleinen. Eintauchen in die unvergleichliche Atmosphäre der Valascia ist gleichzusetzen mit dem Bangen und Hoffen für den Aussenseiter.
Warum diese Passion für Ambrì? Wohl schwer zu erklären. Für Ambrì sein war immer auch Ausdruck einer Haltung: dass es im Leben um mehr geht als um Ruhm, Geld und Ehrgeiz, vermutet die NZZ, und sie fügt bei: „Die Gesänge der Fan-Szene sind kraftvoll und wütend, aber sie prangern weniger die oft dürftigen Leistungen des eigenen Klubs an als das Leid dieser Welt. So sieht sich Ambri: stolz, unbeugsam, tapfer, sozial.“ [1]
Die Valascia hat ausgedient
Für diese Selbstwahrnehmung, so die NZZ, ist die Valascia die perfekte Staffage. Sie inkarniert den Geist Ambrìs mit ihrem knarrenden Gebälk und kaltem, von Melancholie durchtränktem Beton. Entstanden ist sie 1959 als offene Kunsteisbahn – in teilweiser Fronarbeit der Ambrì-Spieler. Zwanzig Jahre später, 1979, hat man die Valascia mit einer Holzkonstruktion überdacht. [2] Gegen 7000 Zuschauer drängen sich in guten Zeiten in die kalte Halle.
In diesem Stadion ist „La Montanara“ zur bekanntesten Siegeshymne des Hockeysports geworden. Und ohne den herben Charme der Valascia hätte Ambrì wohl kaum diesen mythischen Status erreicht – weit über die Schweizer Hockeywelt hinaus. Nun hat er ausgedient, dieser Sporttempel heroischer Siege und tapferer Niederlagen. Er steht im lawinengefährdeten Gebiet am Fusse steiler Bergflanken und muss darum einem Neubau weichen.
Der alte „Hexenkessel“ im neuen Stadion
In diesen Sommertagen zügelt Ambrì – weg aus der roten Zone und hinaus aufs Gelände des ehemaligen Militärflugplatzes. Hier hat der Tessiner Architekt Mario Botta die Nuova Valascia, eine multifunktionale Arena, konzipiert. Motor dieses 51 Millionen teuren Projekts ist Filippo Lombardi, der dynamische Club-Präsident und ehemalige CVP-Ständerat des Kantons Tessin. Er navigierte den HC Ambrì-Piotta durch schwierige Zeiten.
Nun bricht eine neue Ära an. Ob auch der legendäre Geist, dieser unvergleichliche Genius Loci des alten Stadions, und damit die Club-Identität in die „Nuova Valascia“ transferiert werden können? Etwas stimmt zuversichtlich: Die Ambrì-Anhänger kaufen fleissig neue Saison-Karten. Sie werden dafür sorgen, dass auch in der modernen Arena der Hexenkessel der alten Valascia lebt und bebt. Für sie gilt: „Wenn Eishockey, dann Ambrì-Piotta; das wusste schon Bundesrat Motta.“ Damals, als der Club noch auf Natureis spielte – und heute im prunken Sportstadion.
[1] Nicola Berger: Der Gesang der Underdogs. In: NZZ, 24.12.2020, S. 18.
[2] Klaus Zaugg: Abschied von Ambris Seele aus Stein. In: Luzerner Zeitung, 16.12.2020, S. 36.