Es ist der «Und täglich grüsst das Murmeltier»-Effekt. Wie in dieser Hollywood-Komödie ist die UBS in einer Zeitschlaufe gefangen. Sie entledigte sich ihrer Steuerprobleme in den USA mit einem Bussgeld von 780 Millionen Dollar. Und der Auslieferung von Kundendaten. Begleitet von Notrecht, Rechtsbruch und der Aufgabe des Schweizer Bankgeheimnisses.
Leichen am Weg
Damals schworen alle Beteiligten heilige Eide, dass es sich um eine einmalige Notrettung handle, die alternativlos sei, weil die Schweiz einen Zusammenbruch ihrer grössten Bank nicht überleben würde. Nur wenige Jahre sind vergangen, und heutzutage muss es wohl selbst dem dümmsten Bankenführer oder Politiker klar sein, dass das ein fundamentaler Irrtum war.
Die aufmüpfige Privatbank Wegelin wurde als abschreckendes Beispiel geschlachtet. Sie erfuhr keine Hilfe, denn sie war ja nicht «systemrelevant». Die zweitgrösste Bank Credit Suisse versuchte es mit einer auf ihre Bedürfnisse massgeschneiderten «Lex USA», die im Parlament scheiterte. Um anschliessend als «Regierungsvereinbarung» aufzuerstehen. Die CS erledigte inzwischen ihr USA-Problem mit einer Milliardenbusse und dem Eingeständnis, kriminell gehandelt zu haben. Mehr als ein Drittel aller noch existierenden Schweizer Finanzhäuser liegen weiterhin auf der Streckbank der US-Behörden. Unter gütiger Mithilfe der Schweizer Regierung und der Bankenaufsicht FINMA.
Schon damals war sonnenklar, dass durch diese Bresche in der Schweizer Souveränität und Rechtsstaatlichkeit beliebig viele weitere Staaten hineinmarschieren werden. Denn es wurde verkannt, dass das Geschäftsmodell «Bankgeheimnis als Methode, unversteuerte Gelder aus dem Ausland aufzubewahren», durchaus diskutabel ist. Aber niemals Beihilfe zur rechtsimperialistischen Durchsetzung von ausländischen Gesetzen und Vorschriften in der Schweiz hätte geleistet werden dürfen.
Gleiches Verhalten – gleiche Folgen
Frankreich verfügt zwar nicht wie die USA über die Macht des Dollar, hat aber ähnliche Probleme wie die USA: Der Staat braucht dringend Geld. Was passiert nun, wenn Schweizer Amtsstellen und die schon wieder betroffene UBS die Zeitschlaufe nochmals durchlaufen? Um das voraussehen zu können, muss man nicht einen Millionenbonus verdienen und furchtbar wichtig Verantwortung an oberster Stelle tragen. Banale Logik reicht. Gleiches Verhalten, gleiche Folgen.
Die UBS vernachlässigte über lange Zeit, dem nächsten Unwetter, das sich in Frankreich zusammenbraute, die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Erst als zur Vorspeise eine markige Kaution in der Höhe von über einer Milliarde Euro verlangt wurde, reagierte die UBS; sie beschwerte sich darüber. Und die Schweizer Behörden? Reagierten zögerlich, bürokratisch und abwimmelnd auf Amtshilfegesuche aus unserem Nachbarland. Es ist ja menschlich, einen dummen Fehler einmal zu machen. Aber immer wieder?
Inzwischen steht eine nette Busse von bis zu 6 Milliarden Euro gegen die UBS im Raum, und immer dann bricht Hektik aus. Wenn die Quellen des normalerweise gut informierten Chefredaktors der «SonntagsZeitung» verlässlich sind, wurden letzte Woche mal wieder 300 Kundendaten von französischen Kontobesitzern bei der UBS an Frankreich ausgeliefert. Das ist inzwischen nicht einmal mehr klarer Rechtsbruch. Aber eines Rechtsstaates unwürdig, weil die Betroffenen nur noch die Möglichkeit haben, im Nachhinein eine allfällige Verletzung ihrer Rechte gerichtlich feststellen zu lassen. Aber weg ist weg, Pech gehabt. Das ist finsteres Mittelalter.
Ungeordneter Rückzug
Dass die famose «Weissgeldstrategie» völlig untauglich für die Bereinigung von Altlasten war und ist, ist inzwischen selbst der Bankiervereinigung klar geworden. Aber wie kommt man aus der Nummer raus, dass bei Verjährungsfristen von zehn Jahren und mehr noch so viele Leichen im Keller liegen, dass man gar nicht weiss, wo man mit Beerdigen anfangen soll?
Wenn eine Front, in diesem Fall das Schweizer Bankgeheimnis, nicht mehr haltbar ist, und das ist ja nun seit Jahren bekannt, dann dürfte man doch wenigstens von Bankenlenkern und Regierungsverantwortlichen erwarten und verlangen, dass ihnen im Verlauf von inzwischen sechs Jahren etwas mehr einfällt als: «Ach nein, aber nicht schon wieder, das war nun wirklich unvorhersehbar.»
Dabei ist seit sechs Jahren vorhersehbar, was geschieht, wenn ein Staat die Gültigkeit seiner Gesetze in seinem souveränen Rechtsraum nicht verteidigt. Das hat nichts mit dem Schutz fragwürdiger Praktiken dank Bankgeheimnis zu tun. Aber alles mit Rechtssicherheit, die keine rückwirkende Änderung von Spielregeln zulassen darf. Wenn eine in der Schweiz beheimatete Firma im Ausland gegen ausländische Gesetze verstösst, dann müssen die Folgen davon ihr Problem sein. Und wenn sie dieses Problem nicht lösen kann, dann muss sie untergehen. Wird sie stattdessen einmal staatlich gerettet, dann ist das Tor zu Willkür, Erpressbarkeit, Wiederholungstaten aufgestossen. Dann nimmt etwas viel Wichtigeres als das Wohlergehen der grössten Schweizer Bank Schaden: Der Schweizer Rechtsstaat.
Kein Ende in Sicht
Es braucht keine seherischen Fähigkeiten, um zu prognostizieren, dass in absehbarer Zukunft für den grössten Teil des Schweizer Finanzplatzes weiterhin gelten wird: Nach der Busse ist vor der Busse. Die deutsche Kavallerie ist gerade etwas in Reparatur, aber die wird sich schon wieder erholen. Brasilien, Indien, Russland, China und diverse weitere Staaten der Welt haben schon längst mehr oder minder lautstark ihre Forderungen angemeldet. Und betrachten mit Wohlgefallen, dass sich nicht nur die Dollarmacht USA Milliarden aus der Schweiz abholt. Sondern sogar das krisengeschüttelte Frankreich dazu in der Lage ist.
Die Befürchtung, dass auch die voluminösesten Tresore Schweizer Banken dann mal leer sein könnten, wird zu einer neuen Form des Bank Run führen. Nicht, indem verunsicherte Anleger ihre Gelder zurückziehen. Sondern indem staatliche Räuberbanden in den rechtsfreien Raum einfallen, der ihnen das dünne Eigenkapital Schweizer Banken ungeschützt ausliefert. Bravo. Da kann man nur ein altes Bonmot von Gorbatschow umformulieren: Wer dumm ist und bleibt, den bestraft das Leben. Immer wieder.