Das Steuersystem hat die Funktion, dem Staatswesen die Mittel zu beschaffen, damit die notwendigen öffentlichen Aufgaben erfüllt werden können. Dank direkter Demokratie, Föderalismus und der Kleinheit des Landes kann sich die Schweizer Steuerpolitik im internationalen Vergleich sehen lassen. Näher besehen sind die schweizerischen Steuern das Flickwerk eines 150-jährigen Teppichs, der dringend renovationsbedürftig ist.
Worum geht es?
Können wir uns gemütlich zurückzulehnen und uns freuen, dass andere noch schlechter darin sind, Umwälzungen im Wirtschaftsleben richtig zu interpretieren? Der Grundsatz «gouverner c’est prévoir» gilt nicht nur für die Regierung, sondern auch für die Gesetzgebung der Parlamente. Es stellt sich die drängende Frage, ob heutige Steuerpolitik und Steuergesetzgebung genügen. Hält man sich die Verwerfungen, ja Revolutionen, vor Augen, welche Digitalisierung, Globalisierung für das ganze Wirtschaftssystem und für jeden Einzelnen zur Folge haben, kommt man schnell zum Schluss, dass die geeignete Reaktion im Steuerbereich auf diese Veränderungen fehlt. Mit der Mikrosteuer kann ein Teil des Flickwerks einfach, effizient und einträglich in Ordnung gebracht werden.
Die Mehrwertsteuer ist keine «Mehrwert»-Steuer
Die Mehrwertsteuer (MWSt) ist eine reine Konsumsteuer. Der Name Mehrwertsteuer ist irreführend und falsch. Exakt handelt es sich um eine Verbrauchssteuer, für die Konsumenten bedeutet diese Steuer alles andere als ein Mehrwert.
Diese Steuer wird von den KMU eingezogen, ohne dass sie für ihre Arbeit eine Entschädigung erhalten. Als Konsumsteuer ist die MWSt zudem ungerecht, weil Haushalte mit tiefen Einkommen einen grösseren Teil ihres Einkommens für den Konsum verbrauchen als Haushalte mit höheren Einkommen. Eine Mittelstandsfamilie mit einem Einkommen von CHF 100’000 bezahlt pro Jahr ca. CHF 3’900 MWSt. Nach der wegen der AHV-Revision vorgesehenen MWSt-Erhöhung wird sich dieser Betrag jährlich sogar auf CHF 4’200 erhöhen. Am Flickenteppich wird weiter gewerkelt.
Bereits 2014 schätzte Prof. Reiner Eichenberger die gesamten Kosten für Inkasso und Aufwand der MWSt auf 46 bis 72 Prozent des Steuerertrags. Der gesamte Ertrag beläuft sich zurzeit auf CHF 22,5 Milliarden jährlich. Damals schlug Prof. Eichenberger die Abschaffung der MWSt vor als Kompensation für die von ihm geforderte Kostenwahrheit im Verkehr. Die Kostenwahrheit im Verkehr bringe den öffentlichen Haushalten Überschüsse von 16 bis 18 Milliarden Franken. Prof. Eichenberger hat das Projekt leider nicht vorangetrieben.
Warum sind Banken bei der Mehrwertsteuer privilegiert?
Banken geniessen bei der Mehrwertsteuer eine Vorzugsbehandlung. Es ist unverständlich, dass sie steuerlich bevorzugt werden. Sollte jemals eine gesellschaftliche Notwendigkeit bestanden haben – was zweifelhaft ist – so ist die Privilegierung des unterbesteuerten Finanzsektors mit seinen Übertreibungen und Skandalen heute geradezu stossend.
Exponentielles Wachstum der Finanzmärkte
In den letzten dreissig Jahren sind die Finanzmärkte exponentiell gewachsen. Die reale Wirtschaftsleistung hat sich seit 1990 dreieinhalbmal erhöht. Der Boom im Aktien- und Bondhandel schwoll seither auf das Zwanzigfache an. Gemäss Martin Neff, Chefökonom der Raiffeisengruppe, dürften heute 800-mal mehr Finanzderivate (inklusive Fremdwährungsoptionen) umgeschlagen werden als vor dreissig Jahren. Kryptowährungen wachsen wie Pilze aus dem Boden, Milliarden anderer Finanztransaktionen gehen über den virtuellen Bankschalter.
Dazu kommt ein nie da gewesenes Wachstum des elektronischen Zahlungsverkehrs, auch ausserhalb des Bankwesens. Die Big Tech, Apple, Google, Facebook, Amazon haben alle eigene Apps für ihren Zahlungsverkehr. Wer keine eigenen Systeme hat, kauft sie dazu, wie Twitter mit Afterpay. Bekannt werden viele Zahlungsdienstleister erst nach einem Skandal, wie das bei Wirecard der Fall war.
Mikrosteuer auf dem Zahlungsverkehr
Nach der Theorie der Effizienz von Steuern ist es richtig, ein grosses Substrat wie den Zahlungsverkehr mit einem kleinen Satz anzuzapfen, statt ein kleines Substrat wie Einkommen und Gewinn mit einem grossen Steuersatz zu belasten. Die eidgenössische Volksinitiative Mikrosteuer, für die zurzeit Unterschriften gesammelt werden, erfüllt dieses Kriterium. Nach der erfolgreichen Sammlung wird die eigentliche politische Diskussion losgehen wie eine Rakete. Martin Neff sagt dazu: Die Mikrosteuer ist «zweifellos revolutionär, so revolutionär, dass sie wahrscheinlich scheitern wird, weil sie zu früh kommt und die üblichen Abwehrreflexe mobilisiert». Die Spontanreaktion eines führenden Steuerjournalisten zeigt die hierzulande typische Geisteshaltung: «Gute Idee, aber in der Schweiz mahlen die Mühlen langsam, gehen Sie doch zuerst nach Schweden und wenn es dort funktioniert, können wir es uns dann überlegen.» Aber: Warum nicht jetzt schon anfangen zu denken?
Die Stärke der Initiative: Sie ist parteipolitisch neutral und hält sich ausserhalb des Parteien-Gezänks.
Einfach, fair, ertragreich und zeitgemäss
Die Schweiz konnte in der Vergangenheit häufig von der Erfahrung anderer Länder profitieren. Rosinenpickerei wurde ihr angedichtet. Beim Bankgeheimnis haben die Schweizer Banken genüsslich ausländische Steuersysteme unterlaufen, was prompt für die Schweiz zum Scherbenhaufen wurde.
Im Interesse der wirtschaftlichen Zukunft der Schweiz ist es richtig, wie von der Initiative vorgeschlagen, drei Steuern abzuschaffen – nämlich den Wurmfortsatz der ehemaligen Wehrsteuer (direkte Bundessteuer), die Steuer mit dem falschen Namen (Mehrwertsteuer) und die von den Banken beklagte Stempelsteuer – und all dies im Tausch gegen die Einführung der einfachen, fairen, ertragreichen und zeitgemässen Mikrosteuer. Bei einem Satz von 0,1% wird sie dem Bund mehr als CHF 100 Milliarden einbringen, also doppelt so viel wie die drei Steuern, die in die ewigen Jagdgründe eingehen werden.
Respekt vor der Verfassung, den Kantonen und Banken
Die Mikrosteuer greift nicht in die kantonale Steuersouveränität ein. Sie respektiert den in der Bevölkerung tief verankerten Föderalismus.
Im Gegensatz zur Mehrwertsteuer, bei der die KMU für den Einzug der Steuer gratis arbeiten, werden die Banken für die Inkasso-Arbeit für die Mikrosteuer entschädigt.
Wichtiger Punkt im Initiativtext: «Sinn und Zweck der Mikrosteuer sind zu respektieren.»
Damit wird verhindert, dass Bundesparlament bzw. Interessenvertreter Sinn und Zweck der Volksinitiative verwässern. Bei der Minder-Initiative z. B. wurden Sinn und Zweck nicht umgesetzt. Managerlöhne und Boni der Grossbankmanager sind nicht gesunken, das fröhliche Treiben geht weiter. Wenn das Parlament den Sinn und Zweck einer Verfassungsinitiative ins Gegenteil verkehrt, schadet es Rechtsstaat und Demokratie, schafft Unzufriedenheit und Missstimmung in der Bevölkerung. Verletzung von Verfassung und des Grundsatzes von Treu und Glauben wirken sich langfristig auch in der Politik negativ aus.
Jacob Zgraggen, ist Mitglied des Initiativkomitees www.mikrosteuer.ch