Wie soll sich die Schweiz in der geopolitisch unruhigen Welt positionieren? Wenn dies an der ETH gefragt wird, erfolgen konkrete Antworten.
Die weltpolitische Lage – dies ist Titel und Inhalt einer jährlichen Zusammenfassung der Arbeit des Zentrums für Sicherheitsstudien (CSS) der ETH Zürich. Anlässlich einer Tagung werden die auch in Buchform erhältlichen Resultate jeweils vorgestellt und einem erlesenen Parkett von Sicherheits- und Aussenpolitikern vorgelegt.
Das CSS wird vom VBS unterstützt, an der Tagung sind aber Persönlichkeiten aus allen mit Sicherheitsfragen beauftragten Organen, aus dem akademischen Bereich und den Medien vertreten.
Unruhige Welt
Unruhig bedeutet für die international zusammengesetzten CSS-Experten, dass einerseits auf höchster Ebene ein bipolares Seilziehen USA-China stattfindet (welches zahlreiche Bereiche internationaler Zusammenarbeit beeinträchtigt), aber andererseits auch starke multipolare Kräfte wirken. Die neben China und seinem Halb-Satelliten Russland übrigen BRICS-Länder (Brasilien, Indien und Südafrika), aber auch die südostasiatischen Staaten wollen sich keinem der beiden Hauptlager zuordnen lassen; aktuelles Beispiel ist die Haltung des globalen Südens gegenüber dem Ukrainekrieg.
Die Polarisierung USA-China wird exemplarisch sichtbar durch den «Silicon Curtain», die Verhinderung von Handelsaustausch im Bereich Halbleiter und zu deren Herstellung benötigte Maschinen – jüngstes Beispiel ist das erlassene Exportverbot nach China durch den holländischen Weltmarktführer in der Herstellung von Halbleiter-Fertigungsmaschinen – sowie im Rüstungsbereich durch Blockierung von Rüstungskontroll-Vereinbarungen, was zu drohender Weitergabe von Nuklearwaffen führt. Die gleichzeitig wirkenden multipolaren Kräfte führen letztlich zur Frage nach der Gestalt der neuen Weltordnung. Wo soll, muss sich die Schweiz darin positionieren?
Ruhige Schweiz?
Wie der Podiumsteilnehmer Sebastian Ramspeck, internationaler Korrespondent von SRF feststellte, erfreute sich die Schweiz während des Kalten Krieges eines «guten Laufs». Als «free rider», Trittbrettfahrer ohne vertragliche Verpflichtung unter dem westlichen Nuklearschirm, wurde der kriegsbedingte Startvorteil geschickt ausgenutzt, um rasch zu produzieren und Dienstleistungen zu erbringen – mit vergleichsweise minimalen internationalen Schranken und Kontrollen. Dies ist in der heutigen vernetzten und durch Technologie offenen und öffentlichen Welt nicht mehr möglich. Wird die Schweiz vermehrt Farbe bekennen müssen?
Ramspeck glaubt, dass Herr und Frau Helvetia – wohl durch die erwähnten fetten Jahre verwöhnt – sich in der Rolle des internationalen Durchwurstelns, sich nur bei übermächtigem Druck von aussen flexibel zeigend, durchaus wohlfühle. Dem wurde in der Diskussion entgegengehalten. Wenn der Druck nämlich so stark werde, sei es wegen interner Einsicht gegenüber dem Selbstbild des internationalen «free riders» sei es weil das Profil als Schmarotzer zu offensichtlich wird (Stichwort Russlandsanktionen), dass wirklicher Schmerz (Stichworte Energie und Personenfreizügigkeit in der Europapolitik) entsteht, wird sich auch Helvetia aus ihrem aussenpolitischen Schneckenhaus bequemen.
Beitritt zu westlichen Bündnissen als mögliche Lösung
Momentan bastelt die offizielle Schweiz an komplexen Gebilden wie «kooperativer» oder gar «integrativer» Neutralität mit Blick auf ihre Sicherheitspolitik und komplexen, vertraglichen Gesamtpaketen zur Rettung des Binnenmarktzugangs der EU. Dabei gäbe es einen einfacheren und in jeder Beziehung besseren Ausweg aus aussenpolitischer Sackgasse und Bedeutungslosigkeit der politischen Schweiz. Das ist natürlich der Beitritt der Schweiz zur EU und – je nach Ausgang des Ukrainekrieges (gemeint ist die potentielle Erhaltung des Putinschen Aggressionspotenzials nach Kriegsende) – der Beitritt zur NATO. In beiden Machtblöcken könnten wir eigene Vorstellungen und Werte besser einbringen denn als hässliches Entlein von ausserhalb.
Was dann wiederum Thema künftiger derartiger Tagungen sein könnte, wenn und wann die allenthalben nötige Zivilcourage zum Vorstoss dieser längst überfällige, innenpolitischen Diskussion aufgebracht wird.