Bisher wurden drei Blauhelm-Soldaten der UNIFIL-Einheiten im Süden Libanons durch israelischen Beschuss «nur» verletzt – es ist wohl lediglich eine Frage der Zeit, bis die total mehr als 10’000 Mann starke Befriedungs-Truppe auch Todesopfer zu beklagen hat. Denn die israelischen Streitkräfte scheinen bitter entschlossen, aus dem bisher begrenzten einen umfassenden Krieg zu machen, mit dem Ziel, alle Stützpunkte und alle Raketen-Abschussrampen von Hisbollah zu zerstören – da werden so genannte Kollateralschäden offenbar ohne grössere Skrupel in Kauf genommen.
Nur: Israels Premier Netanjahu bewegt sich auf sehr dünnem Eis, wenn er die Uno-Truppe dringend auffordert, sich aus dem Konfliktgebiet zurückzuziehen. Israel ist ja noch immer Mitglied der Uno, ist also gebunden an die Resolutionen des Uno-Sicherheitsrats, und dieser Rat ist es nun einmal, der (mit israelischem Einverständnis) die Bildung von UNIFIL beschlossen hat.
Stationierung vor einem halben Jahrhundert beschlossen
Das liegt zwar lange zurück; das Gremium fasste diesen Beschluss im März 1978 und unter anderen Bedingungen, als sie heute herrschen: Die Blauhelme sollten den Rückzug der israelischen Truppen aus dem Südlibanon überwachen (diese kontrollierten die Region damals seit gut zwei Jahren, um ein Überschwappen der Gewalt als Folge des libanesischen Bürgerkriegs zu verhindern), aber damit hatten sie keinen erkennbaren Erfolg: Die Israelis zogen sich zwar vorübergehend zurück, besetzten den südlichen Libanon aber wieder und wurden erst im Jahr 2000 zum Rückzug gezwungen, und zwar nicht durch die Blauhelme, sondern durch Hisbollah.
Die UNIFIL aber blieb. Dass sie wenig Macht hatte, konnten Reporter (auch ich war einer von ihnen) auf Schritt und Tritt beobachten. Ein Beispiel: In der hügeligen Region oberhalb von Saida kontrollierten UNIFIL-Soldaten ein Fahrzeug auf mitgeführte Waffen. Sie öffneten den Kofferraum – und fanden sechs oder mehr Gewehre. Aber die Fahrer des Autos wurden durchgewinkt – auf die Frage weshalb, antwortete der Chef der Einheit, da habe es sich nur um Jagdwaffen gehandelt, also hätte man keinen Anlass gehabt, dem Fahrzeug die Weiterfahrt zu verweigern.
Präsent, aber machtlos
Tja, Jagdwaffen – danach sah es eigentlich nicht aus … Die Episode ist charakteristisch: Die rund 10’000 Angehörigen von UNIFIL hatten nie ein Mandat zur Friedens-Erzwingung (ein solches gab es in der Geschichte der UNO nur im Kongo, in den sechziger Jahren), sondern lediglich zur Friedens-Erhaltung. Sie erhielten zwar im Jahr 2006 ein, wie damals betont wurde, «robusteres» Mandat, dessen Inhalt darin bestand, dass sie dafür sorgen sollten, dass Hisbollah keine Attacken mehr gegen Israel lancieren konnte und dass die libanesische Armee die Kontrolle über die Region zurückerhielt.
Nur interessierte sich diese Armee, also eigentlich die offizielle Verteidigungsmacht aller Libanesinnen und Libanesen, nie für diese Aufgabe: Ihre Soldaten und Offiziere verschlossen die Augen, wann immer Hisbollah sich zeigte, Raketenstellungen installierte und Tunnels baute.
Zahnlose Uno-Resolutionen
Bis zum 7. Oktober 2023, (also dem Hamas-Überfall auf Israel und dem Beginn der erst noch sporadischen, später alltäglichen Raketen-Attacken von Hisbollah gegen Israel) herrschte bei den UNIFIL-Einheiten so etwas wie Routine. Sie patrouillierten in Fahrzeugen oder zu Fuss regelmässig, und sie rapportierten ebenso regelmässig Verstösse gegen den Status quo. Die Verstösse betrafen einerseits die Resolution 1701 aus dem Jahr 2006, mit der dem Hisbollah verboten wurde, Stützpunkte zwischen dem Litani-Fluss und der Grenze Libanons zu Israel (Luftlinie im Durchschnitt von Nord nach Süd etwa 30 Kilometer) zu errichten. Und sie betrafen die knapp 30 Jahre früher erlassene Resolution, mit der Israel verpflichtet werden sollte, sich aus dem Süden Libanons zurückzuziehen.
Seit dem 7. Oktober 2023 sind die Aktionsmöglichkeiten von UNIFIL noch mehr eingegrenzt. Unternahmen die Blauhelme vorher noch rund 6000 Rekognoszierungs-Fahrten pro Monat, sind es seither nur noch rund 300 – und das in immer kleinerem Radius, weil die Gefahr, ins Kreuzfeuer zu geraten, drastisch gewachsen ist. Die Kosten für die UNIFIL-Mission aber sind nicht geringer geworden; es sind pro Jahr rund 500 Millionen Dollar.
Jetzt stellt sich die Grundsatzfrage: Sollte die Uno kapitulieren, sich den Forderungen des israelischen Premiers beugen und die Fahnen im Libanon streichen – oder sollte sie darauf beharren, dass sie mit UNIFIL das Menschenmögliche (oder –unmögliche) versucht, um die Eskalation des Konflikts wenigstens auf dem Gebiet des Libanon zu verhindern?