Wenn es nach den Fantasten der EU ginge, ist ab gestern die geordnete Rückzahlung der läppischen 330 Milliarden Euro Staatsschulden Griechenlands in trockenen Tüchern. Darüber muss man ja wohl in Ernst kein weiteres Wort verlieren. Aber vielleicht kennen Sie den Film «Und täglich grüsst das Murmeltier». Da sitzt ein grossartiger Bill Murray in einem kleinen Kaff fest und erlebt immer wieder den gleichen Tag. Und nur er weiss das.
Was hat diese Hollywood-Komödie mit der Griechen-Tragödie zu tun? Sehr viel. Denn wir befinden uns wieder im Jahre 2008. Nur wenige wissen das. Aber man erinnert sich: Damals explodierte der Markt der Hypothekarschrottpapiere, auch bekannt als CDO, und die Pleite der Zockerbank Lehman Brothers brachte den grössten Bankraub aller Zeiten, auch bekannt als Finanzkrise, ins allgemeine Bewusstsein.
Der hässliche Bruder der CDO
Jetzt ist es Zeit, eine weitere finanzielle Massenvernichtungswaffe aus dem Arsenal des modernen «Financial Engineering» vorzustellen: den Credit Default Swap (CDS). Der Bruder einer CDO ist eine Kreditausfallversicherung, mit der sich ein Gläubiger, zum Beispiel eine Bank, gegen den Totalausfall eines Schuldners, zum Beispiel ein Staat, schützen kann. Eigentlich eine gute Sache, so wie auch eine Hypothek an und für sich eine sinnvolle Erfindung ist. Ausser natürlich, solche Instrumente geraten in die Hände verantwortungs- und skrupellos zockender Bangster. Denn die griechischen Staatsschuldpapiere, auf denen vor allem deutsche und französische Banken sitzen, sind natürlich nur die Spitze des Eisbergs.
Eines sehr grossen Eisbergs: Die Gesamtsumme aller aktuell ausstehenden CDS-Kontrakte beläuft sich auf schätzungsweise 26 000 000 000 000 Dollar. Laut Angaben der ISDA, einer Art Handelsorganisation dieses Spielcasinos. Wer sich in den vielen Nullen verläuft: Das sind 26 Billionen Dollar. Den Betrag muss man schätzen, weil der Handel mit solchen Derivaten, also Wettscheinen, überwiegend OTC ausgeführt wird. Das bedeutet «over the counter» auf Banglisch, auf Deutsch: keine Regeln, keine staatliche Aufsicht, keine Kontrolle. Und was hat das mit Griechenland zu tun? Gemach, moderne Finanztragödien sind ein kleines bisschen komplizierter als ihr klassisches Vorbild, haben aber das gleiche Ende.
Die Wall Street beginnt zu zittern
Zurück in die Zeitschlaufe: Bei der letzten Finanzkrise erwischte es den US-Finanzriesen AIG besonders schwer, weil der die Hyposchrottpapiere CDO mit den Kreditausfallversicherungen CDS garantierte. Die Rettung der AIG kostete damals den amerikanischen Steuerzahler 182 Milliarden Dollar. Nun sind US-Banken nur unbedeutend bei griechischen, portugiesischen oder irischen Staatsschuldpapieren engagiert. Aber ganz gewaltig, wie europäische Banken übrigens auch, bei deren Absicherung durch CDS. Und, jetzt kommt noch eine Prise Humor in die Tragödie, weil diese Geschäfte unreguliert «over the counter» ablaufen, weiss niemand genau, wie gewaltig.
In den USA werden alleine für Griechen-CDS Beträge zwischen 8 bis 80 Milliarden Dollar herumgeboten. Von europäischen und Schweizer Banken gibt es dazu überhaupt keine Zahlen. Na, da sind wir uns von einer richtigen Finanzkrise doch andere Summen gewohnt, mag man einwenden. Gemach, wir nähern uns nach kurzem Chorgesang schon dem Ende der Zeitschlaufe, pardon, der Tragödie.
Was kostet ein CDS auf ein Griechenpapier?
Die Versicherungsprämie, das ist auch bei einem CDS so, hängt von der Eintrittswahrscheinlichkeit des Schadens ab. Vor Kurzem kostete beispielsweise ein CDS auf eine griechische Staatsanleihe von 10 Millionen Euro und einer Laufzeit von 5 Jahren 2500 Basispunkte. Das sind 2,5 Millionen Euro. Pro Jahr. Der Totalverlust ist also, wie man so schön sagt, bereits mehr als eingepreist. Ein Bombengeschäft für den Versicherer, wenn Griechenland in den nächsten fünf Jahren nicht Pleite gehen sollte. Eine tickende Zeitbombe, wenn es das dieses Jahr tut.
Und ein schlagendes Argument, um jeden aus der Diskussion zu lachen, der behauptet, der Markt habe noch irgendwelches Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit Griechenlands. Ach, ausserdem gibt es natürlich, wie damals bei den CDO, auch CDS-Baskets, also gescheibelte, verwurstete, in Risikoklassen aufgesplittete Pakete mit einem hübschen Schleifchen drum herum, deren Inhalt niemand mehr erkennen kann. Nach diesem kleinen Zwischenakt kommen wir nun zum Höhepunkt.
Die nächste Kernschmelze
Wenn Griechenland also, Sparpaket hin, Rettungspaket her, in den Bankrott schliddert, dann werden diese Kreditausfallversicherungen fällig. Auf einen Schlag. Weltweit. Da Banken sich aber gegenseitig kennen und daher nicht über den Weg trauen, kommt zunächst einmal das Interbanking-Geschäft, wie bei der letzten Finanzkrise, zum Erliegen. Das bedeutet, keine Bank leiht einer anderen mehr Geld. Das bedeutet, dass Banken, die CDS auszahlen müssen, sich keine Liquidität beschaffen können.
Das bedeutet, dass auch unbeteiligte Banken plötzlich ins Rutschen kommen. Das bedeutet, dass plötzlich wieder der Staat als «lender of last resort» auftreten muss, also den Markt mit künstlich hergestelltem Geld überschwemmen. Nur, das haben die industrialisierten Staaten erst vor Kurzem getan und sind seither selbst verlumpt und überschuldet und kaufen schon seit Längerem ihre eigenen Staatsschuldpapiere selber auf, weil es sonst niemand mehr tut. Ein Schuldner kauft seinen eigenen Schuldschein mit einem neuen Schuldschein, ein Taschenspielertrick der übelsten Sorte.
Und wann grüsst die nächste Finanzkrise?
Da Prognosen schwierig sind, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen, lässt sich schwer ein genaues Datum nennen. Aus historischen Gründen wäre es natürlich putzig wenn es wieder der 15. September wäre, der Tag im Jahre 2008, als Lehman Pleite ging. Wenn es griechische Götter gibt, die bekanntlich sehr viel Humor haben sollen, wer weiss. Sicher ist hingegen, dass alle Voraussetzungen für die nächste Finanzkrise vollständig versammelt sind. Insolvente Schuldner, diesmal nicht Hausbesitzer, sondern Staaten.
Ein völlig unkontrollierter und gigantisch aufgepumpter Markt von Derivaten, also Wettscheinen ohne Wert, diesmal keine CDO, sondern CDS. Und haftungsfrei und daher hemmungslos zockende Banker. Das war damals so, das ist heute so. Und hilflose und unfähige Politiker in deren Geiselhaft, die seit 2008 bis heute keine einzige Regulierung solcher Märkte zustande gebracht haben und mit der Fortsetzung ihrer verbrecherischen Niedrigzinspolitik das Spielgeld für die nächste Finanzkrise zur Verfügung stellten. Wenn es Hollywood wäre, gäbe es allerdings wie bei «Und täglich grüsst das Murmeltier» ein Happy-End. Aber da es Griechenland ist ...