Politiker reden viel und sagen oft gar nichts. Sie verschanzen sich hinter Phrasen, Floskeln und leeren Sätzen.
Angela Merkel ist eine „Grossmeisterin“ des Blablas und der Worthülsen. Ihre Reden sind derart floskelhaft, „dass das Zuhören schwerfällt“. Dieses Urteil fällt Oliver Georgi, Redaktor bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ).
Doch in seinem Buch *) zerzaust der Autor nicht nur die Sprache von Angela Merkel: Bei fast allen Politikern ortet er ein riesiges Potential an purem Nonsens. So kritisiert er auch die leeren, technokratischen Phrasen von Andrea Nahles und Olaf Scholz. Und da wundern sich die beiden, schreibt Georgi, „warum ihrer Partei die Wähler weglaufen“.
„Mit Phrasen macht man nichts falsch“
Denn die „Entleerung der politischen Sprache“ führe dazu, dass immer weniger Menschen ihre Volksvertreter als glaubwürdig empfinden. Für die Glaubwürdigkeit der Politiker sei die Phrasendrescherei fatal.
Warum sprechen Politikerinnen und Politiker so? Sie haben Angst, sich festzulegen, Angst, etwas Falsches zu sagen. „Mit Phrasen macht man erst mal nichts falsch“, schreibt Georgi. Ziel sei es, sich erst einmal nicht angreifbar zu machen. Alles ist schneller geworden heute. Schon wenige Minuten nach einem Ereignis verlangen die Medien von den Politikern eine Einschätzung. Dieses Tempo fördert die „Lingua blablativa“.
In der Ära Merkel sei die politische Kommunikation derart phrasenhaft geworden, schreibt Georgi, „dass es unserer Demokratie längst zu schaden beginnt“. Denn die schablonenhafte Sprache führe dazu, dass die Forderung der AfD, endlich wieder „Klartext“ zu reden, Auftrieb erhalte.
Steilvorlage für die AfD
Die Kanzlerin habe viele Hülsen in ihrem Wortschatz, die das Vertrauen vieler Wähler beschädigt hätten. Als Beispiel nennt der Autor Merkels oft verwendetes Adjektiv „alternativlos“. Das Wort solle Handlungsfähigkeit signalisieren, bewirke aber das Gegenteil. Nichts ist alternativlos. Mit dem Ausdruck „alternativlos“ wischt Merkel arrogant alle anderen Meinungen beiseite. Diskussionen um die beste Lösung werden als sinnlos diskreditiert. Was soll man noch abstimmen oder wählen, wie soll man noch ein politischer Mensch sein, wenn wir „alternativlose“, also in Stein gemeisselte Entscheide vorgesetzt bekommen?
Diese alternativlose Rhetorik Merkels „hat den Erfolg der Rechtspopulisten in Deutschland mit befeuert“, schreibt Georgi. Denn: „Wenn ausgerechnet die Bundeskanzlerin mit ihrer Rhetorik einen Alleingeltungsanspruch formuliert und andere Meinungen damit für nichtig erklärt, ist das eine Steilvorlage für jene, die sich als Anwälte einer ‚schweigenden Mehrheit’ gegen die ‚Meinungsdiktatur’ inszenieren.“
„Je gleichförmiger und wolkiger die Sprache der ‚etablierten’ Parteien, deso leichter können Populisten mit ihrem vorgeblichen ‚Klartext’ bei den Unzufriedenen punkten“, schreibt Georgi.
„Mut zur Erneuerung“
Der Autor zitiert die beliebtesten Phrasen der Politiker: „Neuer Aufbruch“, „Impulse für die Zukunft geben“, „neue Dynamik schaffen“, „die Zukunft neugestalten“, „Meilensteine setzen“, „Mut zur Veränderung“, „Mut zur Erneuerung“.
Das wichtigste Wort der Politiker sei „Vertrauen“, „Kultur des Vertrauens“. Wenn etwas über Gebühr betont werde, sei es meist nicht mehr allzu ernst gemeint. Mehrmals habe Merkel einem Politiker ihr „vollstes Vertrauen“ ausgesprochen – und ihn kurz darauf gefeuert. „Je überschwänglicher Politiker ihr gegenseitiges Vertrauen betonen, desto härter werden in den Taschen schon die Fäuste geballt.“
Das zweitwichtigste Wort sei „Ehrlichkeit“. Immer gibt man vor, „ehrlich“ zu sein. Bei Wahlniederlagen stellt man eine „schonungslose Analyse der Lage“ in Aussicht. Man will „die Hausaufgaben machen“, doch dann geschieht nichts. Man will „Gemeinsames in den Vordergrund stellen“, „verlorenes Vertrauen zurückgewinnen“. Man verspricht „Mut zur Zukunft“. Doch mit solchen Phrasen könnten Politiker nicht übertünchen, dass ihnen meist der Mut zu radikal neuen Denkansätzen fehle.
Das heisst alles und nichts
„Ergebnisoffene Verhandlungen“ – was für ein unsinniger Pleonasmus. Wenn Verhandlungen geführt werden, bei denen das Ergebnis schon feststeht, sind es keine Verhandlungen. Jede echte Verhandlung ist „ergebnisoffen“.
Zu den abgegriffensten Ausdrücken gehört die inflationär verwendete „Nachhaltigkeit“. Das heisse alles und nichts. Die Mehrdeutigkeit mache den Begriff „unbrauchbar“, zitiert Georgi den Journalisten und Kolumnisten Axel Bojanowski.
Auch „Authentizität“ ist ein Schlagwort, dessen sich viele Politiker bedienen. Sie geben vor, „authentisch“ zu sein. Damit wollen sie signalisieren: Ich sage, was ist, ich stehe ausserhalb des Politbetriebs, ich scheue mich nicht, unbequeme Wahrheiten zu sagen, ich unterscheide mich von den andern. Doch sogenannt „authentische“ Politiker hätten sich „längst von der Lebenswirklichkeit ihrer Wähler entfremdet“.
„Wir haben die Flüchtlingskrise unterschätzt“
Die „political correctness“ trage dazu bei, die Sprache der Politiker zu entleeren. Man habe verlernt zu streiten. Debatten würden so ängstlich geführt, dass echte Kontroversen, die die Unterschiede zwischen den Politikern deutlich machen könnten, zunehmend ausblieben. „Wenn man nichts mehr sagen kann aus Angst, das Gegenüber zu verletzen, dann ist keine Kommunikation mehr möglich“ wird der Journalist und Autor Harald Martenstein zitiert.
Was also tun? „Eindeutig kommunizieren“, fordert Georgi, nicht von Ehrlichkeit sprechen, sondern ehrlich sein. Zugeben, dass es in der Partei Krach gibt, dass man im Moment nicht weiterweiss. Mit Fakten auf die Argumente der Populisten antworten, anstatt zu verschleiern, zu täuschen, zu vernebeln, zu verklausulieren. Zu sagen: Ja, wir haben manches falsch gemacht. „Wir haben die Flüchtlingskrise unterschätzt und den Menschen nicht genügend erklärt, was die Chancen, aber auch die Risiken sind. Vor allem haben wir nicht offen genug kommuniziert und die AfD damit erst stark gemacht. Das wäre ‚Klartext’ im besten Wortsinn gewesen, ohne in populistische Reflexe zu verfallen.“
Den Politikern fehle der Mut, zum Beispiel in der Integrations- und Migrationspolitik auch unbequeme Fragen und Antworten anzusprechen. Nein, man schliesse die Augen vor unbequemen Realitäten, aus Angst, falsch verstanden zu werden, aus Angst sich festzulegen. Man bleibe rhetorisch im Ungefähren, um sich nicht angreifbar zu machen, schreibt Georgi. So würden sich die Politiker immer mehr vom „kleinen Mann“ entfremden.
„Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“
Was lernen wir aus diesem Buch? Wenn sich Politiker als makellose Superhelden präsentieren und vorgeben, alles im Griff zu haben, dann verlieren sie Vertrauen. Denn die Wählerinnen und Wähler haben längst gemerkt, dass sie eben nicht alles im Griff haben. Wenn sie aber der Bevölkerung reinen Wein einschenken, sie für die Probleme sensibilisieren, zugeben, dass die Aufgaben schwierig zu lösen sind, dass es verschiedene Optionen gibt, bessere und weniger gute, dass man bei der Suche einer Lösung andere Meinungen einfliessen lässt, dann gewinnt man Vertrauen – mehr jedenfalls, als wenn die Probleme mit salbungsvollem Nonsens verkleistert werden. Dann auch nimmt man den Populisten Wind aus den Segeln.
Früher begnügten sich manche Politiker weniger um einlullende Phrasenwolken. Willy Brandt, Helmut Schmidt, Heiner Geissler gaben wenig auf Floskeln – und Gerhard Schröder und Joschka Fischer schon gar nicht. Fischer sprach oft saftig. „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch.“ Oder: „Es gibt doch eine ganze Latte politischer Halbleichen bis Leichen, die hier auf Kabinettsposten herummodern.“ Kohl nannte er „drei Zentner fleischgewordene Vergangenheit“.
Darf ein hochrangiger Politiker echten Klartext reden, so wie Joschka Fischer? Sollen Politiker auf den Tisch hauen? Das kommt heute nicht nur gut an.
Also doch: Phrasen
Als ein rechtsextremer Mob im sächsischen Heidenau wütete, sagte Angela Merkel: „Es gibt keine Toleranz gegenüber denjenigen, die die Würde anderer in Frage stellen.“ Der SPD-Mann Sigmar Gabriel fand deftigere Worte. Er nannte die gewalttätigen Rechtspopulisten von Heidenau „ein Pack“.
Und was geschah? Gabriel wurde kritisiert. Kein Mensch sei ein „Pack“. Schon sprach man von der „Beschädigung der politischen Kultur“. „Wir lieben klare Worte ... aber bitte nur theoretisch und solange es nicht wehtut.“
Politiker hätten gelernt, dass klare Worte gefährlich sein können, weil die Wähler sie in Wirklichkeit doch nicht so schätzen. „Wer kann es Politikern da verübeln, dass sie ... lieber den sichereren Weg durch die Welt der Phrasen wählen.“ Harte, offene Worte werden schnell als billigen Stimmenfang diskreditiert. Also doch: Phrasen und Phrasen.
Doch nicht nur Politiker reden so. Ihre Leerformeln würden mehr und mehr auch die Medien infizieren. Journalisten seien durch lange Jahre im Phrasendschungel „längst auf den Austausch leerer Floskeln konditioniert“.
Immerhin: ein schlechtes Gewissen
Das Buch behandelt die deutsche Politszene. Und wie steht es in der Schweiz? Schweizerische Politikerinnen und Politiker (und Wirtschaftsvertreter) stehen in Sachen Phrasendrescherei den deutschen wohl wenig nach. Auch über das Vokabular der schweizerischen Politiker könnte man ein Buch schreiben.
Das farbig und süffig geschriebene Buch von Olivier Georgi ist jeder Politikerin und jedem Politiker wärmstens zu empfehlen. Ob sich dann allerdings der Phrasendschungel lichtet, ist zu bezweifeln. Doch die Politiker bekommen beim Lesen immerhin ein schlechtes Gewissen – und damit ist schon etwas erreicht.
*) Oliver Georgi: „Und täglich grüsst das Phrasenschwein“, Dudenverlag, Berlin, 2019, 224 Seiten, auch als E-Book