Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit haben von Russland inspirierte und ausgerüstete Separatisten in der Ostukraine die MH 17 der Malaysian Airlines abgeschossen und damit fast 300 Personen umgebracht. Letzte Sicherheit wird, wenn überhaupt, erst eine internationale Untersuchung bringen – wenn die Separatisten nicht bereits die wichtigsten Beweismittel beseitigt oder verändert haben. Alles andere ist offizielle russische Verneblungstaktik, nachdem die Politik Putins zur direkten (Krim) und indirekten (Ostukraine) Annektion eines anderen Staates als Rohrkrepierer nun wuchtig auf ihn zurückfällt.
Verfehlte Zurückhaltung bei Sanktionen
Eine Anzahl selbsternannter hiesiger Aussenpolitiker verlangt nun «Zurückhaltung der Schweiz», welche «nicht mit den Hunden heulen» dürfe, damit die «neutrale Schweiz ihre Rolle als glaubwürdige Vermittlerin spielen könne». Die Schweiz soll sich also westlichen Sanktionen nicht anschliessen. Dies ist gleich dreimal falsch.
Erstens spricht dies jedem Rechtsempfinden Hohn. Es ist ein Gebot simpler Gerechtigkeit, die Schuldigen für dieses Massaker unter Zwang zu nehmen, um sie bestrafen zu können. Die Opfer waren bekanntlich Holländer, Malaysier, Australier und andere, aber keine schweizerischen Staatsbürger. Würden schweizerische Politiker ebenfalls zu «neutraler Zurückhaltung» aufrufen, wenn die MH 17 von Zürich aus gestartet, oder eine Maschine der Swiss vom Himmel geholt worden wäre? Zum Zeitpunkt des Verbrechens flog die Swiss nach allem, was wir heute wissen, auf denselben Fernostrouten wie die Malaysian Airways, welche offensichtlich zufällig getroffen wurde.
Neutral ist die Schweiz in der Ukrainekrise lediglich in der Vorstellung unbedarfter hiesiger Beobachter. Diese riefen bereits unmittelbar nach der Tragödie den Bundesrat und die Weltöffentlichkeit auf, «neutrale schweizerische Experten» zu berufen und eine «neutrale schweizerische Untersuchung» einzuleiten. Die Weltöffentlichkeit hat davon keinerlei Notiz genommen. Kein Mensch ausserhalb der Schweiz hat auch nur ein Wort über eine entsprechende «neutrale Rolle» der Schweiz verloren. Naturgemäss und selbstverständlich wurden die beiden hauptbetroffenen Länder Malaysia und Holland mit der Bergung der Opfer und der unabhängigen Untersuchung beauftragt.
Positive Rolle im OSZE-Präsidium
Etwas ganz anderes ist die Rolle der Schweiz als Präsidialland der OSZE. Hier hat die Schweiz bereits bislang – eine OSZE-Delegation war unter den ersten unabhängigen Beobachtern an der Unfallstelle – eine positive Rolle gespielt und wird sie hoffentlich in der Leitung der OSZE-Beaufsichtigung und zum Schutz der internationalen Untersuchung weiter spielen können. Dies hat aber nichts mit Neutralität zu tun, sondern mit dem Ansehen, welches sich die Schweiz als aktives und initiatives Mitglied der KSZE/OSZE seit Beginn des «Helsinki-Prozesses» in den 1970er Jahren aufgebaut hat. Darum, und nicht weil sie neutral wäre, wurde der Schweiz die OSZE-Präsidentschaft seit 1990 bereits zum zweiten Mal übertragen.
Ungeschickt wäre schliesslich eine Nichtteilnahme an westlichen und EU-Sanktionen, weil dies ausserhalb der Schweiz nicht als neutral, sondern als Parteinahme für Putin verstanden würde. Einen Vermittler zu Putin will und braucht weder Washington noch Brüssel.
Man erinnert sich, wie die USA kürzlich gegen Banken vorgegangen sind, die den Iran-Boykott gebrochen haben. Ähnliches hätten die Schweiz und schweizerische Unternehmen zu gewärtigen, falls auch nur der Courant normal mit Russland, geschweige denn die geplanten bilateralen Festivitäten aufrechterhalten werden. Auch Brüssel dürfte ein als Neutralität kaschiertes Ausscheren aus der westlichen Sanktionsfront lediglich als schweizerische Geschäftlhuberei sehen. Unser ohnehin angespanntes Verhältnis mit der EU würde unnötigerweise weiteren Schaden nehmen.