In Rom werden T-Shirts mit seinem Porträt verkauft. Auf einem andern Shirt steht sein Ausruf: „Vada a bordo, cazzo“. Im Facebook überschlagen sich die Lobeshymnen: Italien hat einen neuen Helden.
Gregorio De Falco war es, der den Kapitän der Costa Concordia aufforderte, aufs Schiff zurückzukehren. „Gehen sie an Bord, sie Arsch!“.
De Falco, ein Offizier der Küstenwache, hatte in jener fatalen Nacht Dienst. Sein Telefongespräch mit dem fliehenden Kapitän ist im Internet zum Renner geworden. Schlagartig ist der 46-jährige Küstenwächter aus Sorrent zum Star geworden.
Direkt neben Sorrent liegt das Städtchen Meta. Es ist eine Art Vorort von Sorrent. Und aus Meta stammt die Hauptfigur dieses Dramas. Er ist der Anti-Star; er ist heute der wohl meistgehasste Mann Italiens.
Verletzte Volksseele
Francesco Schettino, der Kapitän, hat das fast 300 Meter lange Schiff nicht nur auf einen Felsen vor Giglio gefahren. Er hat die italienische Volksseele, die sich langsam zu regenerieren begann, aufs Tiefste verletzt.
Die Italiener wussten, dass sie im Ausland verlacht wurden. Sie wussten, dass ihr Ministerpräsident als sieben Mal gelifteter Polit-Clown verhöhnt wurde. Sie wussten auch, dass man sie nicht ernst nahm, dass man ihre Ineffizienz und ihren wirtschaftlichen Niedergang, ihre Shows und ihren Bluff verspottete. Sie wussten es nicht nur, sie litten darunter. Sie waren tief in ihrem Stolz verletzt.
Doch der Bunga-Bunga-Harlekin wurde davongejagt. An seine Stelle trat ein ernsthafter ruhiger Mann. Was Mario Monti und seine Notstandsregierung auch immer zustandebringen – oder nicht zustandebringen –, Italien hat an Reputation wieder gewonnen. Monti wird auf internationalem Parkett gelobt. Kein Spott mehr, keine Schmäh. Italien muss sich nicht mehr schämen. Mario Monti hat dem Belpaese wieder etwas von seiner Würde zurückgegeben.
"Unverantwortlich, liederlich, feige"
Und jetzt sinkt die Costa Concordia. Und jetzt brechen die alten anti-italienischen Klischees wieder auf: „Typisch italienisch“, heisst es. Schon malen die internationalen Medien wieder das Bild vom hässlichen Italiener. Unverantwortlich, liederlich, unseriös, feige. Wieder wird daran erinnert, wie die Italiener in die Kriege gezogen sind „und wie Hasen davonrannten“ (Il Giornale). Wie der Kapitän zu seiner Mamma eilt und sich dort ausweint. Wie die Italiener eben nur an sich denken.
„Wir sind gerade aus dem Bunga-Bunga-Tunnel heraus“, schreibt die linke Zeitung Il Fatto Quotidiano. Nach dem Sturz von Berlusconi haben wir begonnen, aufzuatmen. Wir holten uns etwas von unserer internationalen Glaubwürdigkeit zurück. Und jetzt steuern wir direkt auf den Titanic-Alptraum zu. Das Ausland spottet wieder über Italien.
Natürlich ist – wie in jedem italienischen Drama eine Frau im Spiel: die 25-jährige Moldaverin mit rumänischem Pass. Mit ihr trank der Kapitän so viel Wein, dass er – wie eine Augenzeugin sagte – „keine Vespa hätte mehr steuern können“. Aber er steuerte ein 114‘000 Tonnen Schiff mit 4200 Personen.
"Ich tat nur meine Pflicht"
Da die italienische Volksseele wieder geschunden ist, braucht es Leute wie Gregorio De Falco. Er zeigt, dass eben nicht alle Italiener liederlich, unseriös und verantwortungslos sind. Seine Heldenverehrung ist in diesem Zusammenhang zu sehen.
De Falco selbst ist erstaunt über den Jubel. „Ich tat nur meine Pflicht“, sagte er, „ich tat das, was man von einem Küstenwächter erwartet.“ Seine Frau doppelt nach: „Es ist beunruhigend, dass in Italien Leute, die ihren Job so machen, wie man es erwartet, sofort zu Idolen, zu Helden, zu Persönlichkeiten empor gejubelt werden.“
Die Zeitungen nehmen das Thema auf. Beamte gelten in Italien als faul und ineffizient. Und da verrichtet einer dieser Staatsangestellten seine Arbeit – und alle klatschen und bewundern ihn. Zeitungen und Fernsehsender lauern ihm auf, filmen in Livorno und Sorrent und interviewen jeden, der ihm einmal begegnet ist.
So erfährt man denn jetzt, dass er zwei Töchter hat, Jurist ist und auf dem Hafengelände von Livorno wohnt. Dort arbeitet er seit 2005. Man erfährt auch, dass er in seiner Freizeit mit einer Suzuki 1000 cc über toskanische Strassen flitzt.
Parallelen zu Berlusconi?
Der Corriere della sera stellt die beiden Protagonisten einander gegenüber. Das Telefongespräch zwischen De Falco und Schettino zeige die beiden italienischen Seelen. Auf der einen Seite ein Kapitän, der vor seiner Verantwortung flieht und nur an sich denkt. Auf der andern Seite ein Landsmann, der sofort die Dimension der Tragödie erfasst und versucht zu tun, was man noch tun kann.
Die Italiener haben schnell Parallelen zwischen dem Giglio-Drama und ihrem Staat gesehen. Der Kapitän wollte das Ausmass der Katastrophe nicht sehen, er schloss die Augen davor, handelte falsch, flüchtete und belog alle.
Auch Berlusconi wollte nicht sehen. Die Wirtschaftslage verschlechterte sich zunehmend und er posaunte ins Land hinaus, wie gut es Italien gehe. Längst war Wasser in den Maschinenraum des italienischen Staates eingedrungen, doch Berlusconi belog sein Volk. Eine seiner Miinisterinnen hatte zugegeben, dass Berlusconi das Ausmass des Desasters kannte. Und als die Situation dramatisch wurde, rannte er davon. Die Verantwortung musste dann ein anderer übernehmen. Abgesehen von einigen bizarren Sprüchen hört man nichts mehr vom Cavaliere.
"Ihr könnt nicht mehr vor eurer Verantwortung fliehen
„Vada a bordo, cazzo“ ist eigentlich auch das Credo von Mario Monti. „Geht endlich an Bord des italienischen Schiffes“, ruft er seinen Landsleuten zu. Zeigt endlich Verantwortung, denkt nicht nur an Euch und Euren Clan. Zahlt endlich Steuern. Betrügt den Staat nicht mehr. Ihr könnt nicht mehr vor eurer Verantwortung fliehen. Persönliche Interessen müssen zurückgestellt werden.
Das Telefongespräch, das um 01.46 Uhr geführt wurde und jetzt in aller Munde ist, hätte eigentlich nicht veröffentlicht werden dürfen. Der Beschuldigte hätte ein Recht darauf, dass es erst nach einer Verurteilung publik wird. Die Veröffentlichung zeigt, dass in Italien Gesetze nicht ganz so wichtig sind. Doch das interessiert in diesem Fall keinen. Keinen ausser Schettino. Das Gespräch hat ihn zum Schafott geführt.
Einem Kind Platz gemacht - auch das ist Italien
Doch längst nicht alle Italiener sind wie er. Und De Falco ist nicht der Einzige, der eine ehrenvolle Rolle gespielt hat. Ein Kapitän, der nicht im Dienst stand, harrte bis am Schluss auf dem Schiff aus. Da war Schettino längst an Land. Auch zwei Offiziere blieben bis zum Schluss. Und die Rettungsmannschaften, die mit gefährlichen, halsbrecherischen Einsätzen versuchten zu retten, wer zu retten war.
Unter den Vermissten befindet sich auch Giuseppe Girolamo, ein Dreissigjähriger aus dem apulischen Städtchen Alberobello. Er war der Schlagzeuger der Dee Dee Smith-Band, des Schiffsorchesters. Jetzt ist er verschwunden.
Seine Familie ist auf Giglio angekommen. Sie hängt Plakate mit seinem Foto auf. „Wenn ihr etwas wisst, ruft uns an“, heisst es.
Giuseppe Girolamo hatte schon einen Platz in einem Rettungsboot. Doch er stieg aus und machte einem Kind Platz. Seither hat man ihn nicht mehr gesehen. Auch das ist Italien.
Und auch das: Schaulustige Touristen mieten Boote und fahren um die Concordia herum.