Rank und schlank, mit dunklem Bubikopf, strahlend blauen Augen und wachem Blick: Elisabeth Sobotka ist Anlaufstelle für die Mitwirkenden und Mittelpunkt des Grossunternehmens «Bregenzer Festspiele». Dabei war Bregenz keineswegs ihr berufliches Traumziel. Oper und Musik aber schon. «Seit 1990 bin ich im Operngeschäft», sagt sie.
Konkret heisst das: nach dem Musikstudium und einem Lehrgang für Kulturelles Management arbeitete sie im Betriebsbüro der Salzburger Festspiele, dann an der Oper Leipzig, sie wurde Betriebsdirektorin an der Wiener Staatsoper und ging als Operndirektorin nach Berlin an die Staatsoper Unter den Linden. Ausgerüstet mit so viel praktischer Erfahrung und noch mehr Liebe zur Oper stieg sie dann zur Intendantin der Oper Graz auf. «Es war eine wahnsinnig schöne und intensive Zeit in Graz», meint sie rückblickend. «Ich habe aber auch gespürt, dass ich meine innere Batterie wieder aufladen muss, damit neue Ideen entstehen können.»
Freiluft, Spektakel und so
Als David Pountney 2014 nach zehn Jahren die Leitung der Bregenzer Festspiele abgab und sein Nachfolger vom Posten zurücktrat, bevor er ihn überhaupt angetreten hatte, da war Elisabeth Sobotkas Stunde gekommen. Man bot ihr die Intendanz an. «Ich weiss nicht so recht ….», war Sobotkas zögerliche Antwort. «Freiluft, Spektakel und so … aber dann habe ich Bregenz unter dem Aspekt, die Festspiele zu übernehmen, noch einmal angesehen und es war ein traumhafter Tag, die Wellen kräuselten sich und es war verführerisch schön. Da habe ich ein bisserl überlegt, habe Für und Wider abgewogen und zugesagt. Es musste ja schnell gehen.» Bereut hat sie den Entscheid nicht. Inzwischen präsentiert sie bereits ihre zweite Spielzeit.
Eine der beliebtesten Opern überhaupt wird auf der Seebühne gezeigt: «Carmen» von George Bizet, das Drama um Liebe und Eifersucht, spektakulär in Szene gesetzt vom dänischen Regisseur Kasper Holten in einem nicht minder spektakulären Bühnenbild von Ev Devlin. Zwei Riesenhände mit rotlackierten Fingernägeln und zarten Rosen-Tattoos auf den Unterarmen werfen 59 überdimensionierte Spielkarten in die Luft. Es ist der Moment, in dem Carmen ihre Zukunft aus den Karten liest.
Im Festspielhaus wird unterdessen «Moses in Ägypten» von Gioacchino Rossini aufgeführt, ein düsterer, alttestamentarischer Stoff, inszeniert vom niederländischen Theaterkollektiv «Hotel Modern», das mit lebendingen Sängern, aber auch mit abgefilmten Objekten und Miniaturpuppen arbeitet.
Für Kenner und Neulinge
Beide Produktionen gehen eigenwillige Wege und sind keineswegs gängiger Standard. Der See soll auch nicht einfach schön sein. «Ich glaube, dass weder David Pountney noch sein Vorgänger Alfred Wopmann oder ich selbst hier glücklich geworden wären, wenn es bei den Festspielen nur um den See ginge», sagt Elisabeth Sobotka. «Wir wollen mit dem Theater etwas bewegen und Menschen erreichen. Der See bietet die geniale Grundvoraussetzung, dass eine Produktion – wenn alles klappt – Opernkenner und Menschen, die zum ersten Mal in eine Vorstellung gehen, gleichermassen erreicht. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Aber wir wollen natürlich auch Themen behandeln, Geschichten erzählen und Stücke spielen, die uns persönlich ganz besonders am Herzen liegen. Dafür ist der See nicht immer der ideale Ort. Aber wir haben ja zum Glück neben der Seebühne die Guckkastenbühne im Festspielhaus und die Werkstattbühne. Dafür Visionen zu entwickeln, die genau auf den Ort zugespitzt sind, das ist Luxus!»
Nun haben ja die Bregenzer Festspiele mit den Wiener Symphonikern nicht nur ein exzellentes Orchester, sondern mit deren Chefdirigenten Philippe Jordan auch einen überaus opernerfahrenen Leiter, der allerdings nur ein Wagner-Konzert in Bregenz gibt. Wie wäre es denn mit einer Oper in Bregenz? «Wir haben darüber geredet, mehrfach …», antwortet Elisabeth Sobotka. «Vielleicht wird es ja mal klappen. Philippe Jordan hat aber gesagt, sein Opernschwerpunkt liege in Paris und wenn er nicht in Paris sei, würde er lieber Konzerte geben. Kommt hinzu, dass Jordan zurzeit mit der Eröffnungspremiere der Bayreuther Festspiele beschäftigt ist. Aber ich träume davon, ihn auch für die Oper in Bregenz zu gewinnen …», schwärmt Elisabeth Sobotka und fügt bei: «Er hat gesagt, er ist ‘offen’». Wer weiss …
Wir machen Stars
Ein gut dotiertes Notizbüchlein mit Namen von Sängern ist auch für Elisabeth Sobotka äusserst wichtig. Stehen in ihrem Büchlein andere Namen als beispielsweise bei Alexander Pereira für seine Scala-Produktionen? «Stars stehen weniger in meinem Büchlein, wir lassen sie eigentlich bewusst weg. Wir wollen stattdessen Stars machen. Und ich glaube, wir haben dieses Jahr mit Gaëlle Arquez eine Carmen gefunden, die alles hat, was man braucht: Stimme, Aussehen, Intelligenz. Unglaublich! Das ist wirklich der Idealfall: eine junge, aufgeschlossene Sängerin zu finden, die sagt, ja, ich will Carmen hier machen und ich lass mich auf das Abenteuer ein. Stars sind im Allgemeinen nicht bereit, sechs Wochen lang zu proben. Deshalb haben Pereira und ich unterschiedliche Namensbüchlein. Aber ich glaube, die Begeisterung, neue Entdeckungen zu machen, die verbindet Pereira und mich.»
Die Seebühne stellt für Sänger natürlich eine besondere Herausforderung dar. Sie müssen fit und schwindelfrei sein, sie müssen hoch klettern und schwimmen können und sie müssen bei Regen und bei Kälte singen. «Es gibt Sänger, die dann sagen, nein, das ist nichts für mich. Wir haben aber auch ein eigenes Opernstudio, wo wir junge Leute ausbilden. So haben wir ein gutes Reservoir und hören natürlich auch, was Dirigenten von anderen Häusern erzählen. Das ergibt ein gutes Netzwerk.»
Bitte nicht abbrechen …!
Über 200‘000 Zuschauer kommen in den rund viereinhalb Sommerwochen nach Bregenz. «Das ist enorm und verlangt viel Logistik, Aber wenn unsere Stücke Erfolg haben, wirkt sich das auch sofort auf die allgemeine Aufführungsstatistik eines Werkes aus. Die Wirkung ist unglaublich.» Der abendliche Blick gen Himmel gehört in Bregenz natürlich auch dazu. Und wann wird abgebrochen? «Also bei Nieselregen wird grundsätzlich gespielt», sagt Elisabeth Sobotka. «Bei Regen wägen wir immer ab, was man dem Publikum noch zumuten kann und was die Sänger auf der Bühne zurückmelden. Bei Gefahr, bei Gewitter oder Sturm wird sofort abgebrochen.» Das sei aber eher selten der Fall. «Nach meinen Erfahrungen in den letzten zwei Jahren ist es so, dass die Sänger mehr aushalten als das Publikum. Oft sagen sie: Bitte nicht abbrechen, wir sind grad so schön drin im Stück und jetzt muss ich gerade jemanden erdrosseln … bitte lasst es mich tun!»
Ob es sich bei der zu erdrosselnden Person um Petrus handelte, der Regen geschickt hat, mochte Elisabeth Sobotka nicht verraten. Sie hofft einfach auf einen schönen Sommer und gute Beziehungen zu Petrus.
Bregenzer Festspiele, 19. Juli bis 20. August 2017. «Carmen» auf der Seebühne. «Moses in Ägypten» im Festspielhaus. Diverse Konzerte, Meisterklassen, etc. www.bregenzerfestspiele.com