„Verflucht sei der, der Rache sagt!“ (Chaim Nachman Bialik, israelischer Dichter 9.1.1873-4.7.1934)
Manchmal häufen sich Zufälle. Vor fünf oder sechs Wochen fragte ich einen arabisch-israelischen Freund, was er zu der neuen und erfolgreichen Terroristenarmee ISIS im Irak denke. Ihr fanatischer Hass, nicht nur auf Juden, übertrifft den Hass von Hamas und Hisbollah bei weitem. Ihre barbarischen Aktionen und ihr Khalifatskult erinnert an den ägyptischen Mahdi Ende des neunzehnten Jahrhunderts, dessen Aufstand erst durch die britische Armee niedergeschlagen wurde.
Die Morde an Jugendlichen auf beiden Seiten
Der arabische Freund begann zu weinen, als ich ihm diese Frage stellte und erwiderte, dieser von Islamisten dem arabischen Volk aufoktroyierte Islam sei nicht sein Islam. Ich fragte ihn, warum er und andere liberale und moderne Muslime sich nicht öffentlich davon distanzieren und meinte: „Sie können nicht, sie haben schreckliche Angst“, und Zivilcourage ist in der islamisch-arabischen Welt noch immer ein Fremdwort. Gegen Machthaber, seien sie Islamisten oder säkulare Diktatoren, ist Widerspruch lebensgefährlich, sogar unter israelischen Arabern. Zudem weiss ich aus eigener Erfahrung wie sehr arabische Friedensaktivisten aus eigenen Reihen bedroht werden.
Nach diesem Gespräch geschahen die grässlichen Morde an jüdischen und muslimischen Jugendlichen, welche das bestehende Verhältnis zwischen Palästinensern und Juden noch weiter verschlechterten. Nach diesem schrecklichen Vorfall kam es zum noch barbarischeren Mord an einem arabischen Knaben, der – wie mir von einem mit der Polizei verbundenen arabischen Bekannten gesagt wurde – von einem ultra-orthodoxen jüdischen Vater und zwei seiner Söhne ausgeführt worden sei. Sie hätten ihn gezwungen, Dieselöl zu trinken und es zusätzlich über ihn geschüttet, bevor sie ihn angezündet hätten. Anständige Israelis schämen sich, und viele meinen, damit habe Israel seine Unschuld verloren. Ein stückweit ist das so, doch diese Unschuld steht seit längerem auf wackligen Füssen.
Respekt vor dem Verhalten der Opfer-Familien
Der palästinensische Mord an den drei Teenagern aus der Westbank, die beim leichtsinnigen Autostoppen entführt und kurz darauf ermordet worden waren, erfreute viele Palästinenser, vor allem die der Westbank. Sie feierten die Untat mit Tanz, Gebäck und Süssigkeiten. Viele Einzelheiten sind von der Polizei noch nicht publiziert worden, auch wenn schon Fotos in Umlauf gebracht worden sind. Seit ich vor kurzem einen wirklich blutrünstigen und detaillierten Film über die Massenhinrichtung ziviler Männer durch ISIS (sie sind an ihrer schwarzen Bekleidung zu erkennen) gesehen habe, ist meine Sympathie für Islamisten und ihre jüdischen Geistesverwandten noch weiter gesunken.
Die Reaktionen auf die zwei Mordtaten waren nicht sehr verschieden. Die jüdischen Eltern der drei Teenager trauerten, es gab eine würdige Beerdigung. Auf dem Friedhof liegen ihre Gräber nebeneinander. Die Eltern, Siedler der Westbank, riefen dazu auf, keine Rache zu nehmen, ja nicht einmal daran zu denken. Die Mütter wollten Versöhnung, sie standen öffentlich in vielen Medien dafür ein. Eine von ihnen sagte, Mord sei Mord wer immer das Opfer sei und das Blut aller Menschen sei gleich.
Amos Oz über jüdische Neonazis
Trotzdem gab es teilweise gewalttätige Demonstrationen jüdischer Extremisten mit dem Aufruf zur Rache. Auf palästinensischer Seite wurden die palästinensischen Täter zu Helden erhoben, doch waren auch zahlreiche Aufforderungen zur Ruhe und Versöhnung zu hören. Dann fanden gegenseitige Familienbesuche zwischen den Familien beider Seiten statt. Dieser würdige Aspekt der Mordaffäre demonstriert leider auch, wie sehr Extremisten beider Seiten die Region Israel/Palästina beherrschen, doch gleichzeitig auch, dass Versöhnlichkeit für mutige Menschen möglich ist. Auch wenn sie dazu, so denke ich, ebenfalls auf beiden Seiten alte blutige Traditionen überwinden müssen.
Vor wenigen Wochen verursachte Israels bekanntester Autor, Amos Oz, einen Skandal, als er öffentlich sagte, in Israel gäbe es jüdische Neonazis. Er wurde beschimpft und bedroht. Mit dem Mord am 16-jährigen Mohammed Abu Khdeir sollte die Aussage von Amos Oz unzweifelhaft bestätigt sein, obwohl sie für jeden Israeli mit wachem Hirn seit Jahren kein Geheimnis verrät. Hut ab vor Amos Oz! Der frühere Staatspräsident Shimon Peres und sein Nachfolger Rubi Rivlin besuchten die Trauerfamilien, die arabische und die jüdischen. Für den Besuch bei den Eltern Mohammeds wurde sie von „patriotischen“ Israelis beschimpft und zur Hölle gewünscht. Es stimmt viele traurig – ich gehöre dazu –, solches zu erleben.
Der neueste Gazakrieg
Inzwischen hat sich Israels Bevölkerung beruhigt, wenigstens im Zusammenhang mit den Morden. Es scheint, dass das so menschliche Verhalten der betroffenen Familien darauf einen Einfluss hatte. In Israels grösster islamischer Stadt Umm el-Fahm, in der, wie in vielen anderen arabischen Dörfern Israels, wilde antiisraelische Demonstrationen stattfanden, stiegen die lokalen Scheichs zu den Demonstranten hinunter, sprachen ihnen gut zu und schickten sie nach Hause. Seither sei es still in Umm el-Fahm. Aber dann begann der Krieg gegen die Hamas in Gaza.
Der neueste Gazakrieg als Antwort auf die seit Wochen andauernden Raketen-Angriffe auf Israel in dichter Folge scheint vorerst dadurch gekennzeichnet, dass die israelischen Luftangriffe diesmal präziser ausfallen und die israelische Raketenabwehr noch erfolgreicher funktioniert als bei den vorhergehenden militärischen Konfrontationen. Dies hat auch zur Folge, dass bisher den palästinischen Medien weniger Stoff zur propagandistischen Aufbereitung zur Verfügung steht.
Israels Raketenabwehr Iron Dome
Die ungenauen Raketen der Hamas verursachen zwar einige Schäden, doch auch sie treffen vorranging offene Felder oder wurden, wo notwendig, abgeschossen. Das israelische Raketenabwehrsystem Iron Dome ist so gebaut, dass es feindliche Raketen nur dann abschiesst, wenn diese Schäden anrichten könnten. Wenn der Computer errechnet, dass die Feindrakete auf offene Felder fallen wird, wird sie nicht abgeschossen.
Etwas jedoch hat sich heute geändert. Hamas begann vor kurzem Raketen mit längerem Schussbereich einzusetzen, und solche sind schon in Tel Aviv und Jerusalem angelangt. Die Armee bereitet den Einmarsch nach Gaza vor. Ob er stattfinden wird, weiss niemand. In der Zwischenzeit wird Gaza aus der Luft bombardiert. Auch wenn Zivilisten vor der Bombardierung gewarnt werden, gibt es Opfer, wie ein Anführer der Hamas, der von seiner eigenen Organisation gewarnt worden war, doch mit seiner Familie in die Wohnung zurückkehrte. Prompt wurde sie getötet.
Erstaunliche Gelassenheit trotz Raktenbeschuss
In den Medien sind Details über die israelische Militärtechnologie zu sehen und zu lesen, wie der Film, in dem die Ankunft und die kurz darauf erfolgte Tötung von fünf Hamas-Aktivisten zu sehen war. Man konnte sie aus dem Meer steigen sehen, sie über eine kurze Distanz in den Sanddünen verfolgen und dann den „shoot-out“ mit einer Einheit Soldaten der Elite Givati Brigade beobachten. Offenbar wollten sie einen Überfall auf eine militärische Einrichtung ausführen. Diese Filmaufnahmen wurden mit stationären Kameras automatisch aufgenommen.
Noch immer bin ich erstaunt über die im Lande herrschende Gelassenheit der Bevölkerung. In Tel Aviv gehen die Leute ihrer Arbeit nach, sitzen in den Cafés und eilen bei Sirenenalarm – mit zu viel Gelassenheit – in die Luftschutzkeller, die inzwischen stadtweit geöffnet sind. Diese Gelassenheit wird von den Luftschutzbehörden kritisiert. Andere bleiben einfach sitzen und warten, bis es vorbei ist.
Geteilte Meinungen über einen Einmarsch in Gaza
Die israelische Öffentlichkeit wartet, bis sich die Regierung entscheidet, ob sie einen Einmarsch im Gazastreifen für notwendig hält. Die Meinungen darüber sind im Volk geteilt. Traditionell sind die rechten Parteien dafür, die Linken mahnen zur Vorsicht. Ob eine totale Niederlage der Hamas möglich ist, kann wohl niemand eindeutig beurteilen. Vielleicht unter Mithilfe Ägyptens? Wie sich die heute Israel unterstützende westliche Welt verhalten wird, wissen wir nicht, doch wenn Israel etwas aus seiner eigenen Kriegsgeschichte gelernt haben sollte, könnte sich diese Unterstützung bei einer Verschärfung der Situation oder gar Liquidierung der Hamasführung schnell ändern.