Plötzlich taucht eine Kolonne alter Fiat 500 auf. Sie sind rot, weiss und grün bemalt. Auf diesen Moment hat Ministerpräsident Matteo Renzi gewartet. Er steht im Apenninen-Dorf Castiglione dei Pepoli vor vielen hundert Gästen. Auf einem riesigen Bildschirm wird die Auto-Parade live übertragen. Rot, weiss, grün - die Farben der italienischen Trikolore.
Das war kurz vor Weihnachten. Renzi eröffnete eines der wichtigsten Autobahnteilstücke Italiens: die Parallel-Autobahn über den Apennin zwischen Bologna und Florenz, ein Prachtstück italienischer Ingenieurkunst.
"Wo seid ihr, ihr Miesmacher?"
In seiner Eröffnungsansprache legte der Premier gleich los: Dieses Werk strafe all jene, die ständig lamentieren und die sagen, Italien könne und tauge nichts mehr. Ein Chefingenieur rief den geladenen Gästen zu: „Seht euch dieses italienische Wunderwerk an, wo seid ihr jetzt, ihr Miesmacher und Pessimisten?“
Tatsächlich: Die 60 Kilometer lange neue Autobahn über den langen Berg ist Balsam auf die italienische Seele. Von Como bis Syrakus ist das Meisterwerk Gesprächsstoff. Die Zeitungen berichten flächendeckend. Wie viele Italiener versanken doch in den letzten Jahren in der Lethargie: „Wir bringen nichts mehr zustande, wir werden verspottet, die guten Zeiten sind vorbei. Wir sind faul und korrupt.“ Und jetzt dies.
Die alte Bergüberquerung - ein Albtraum
Zwischen Bologna und Florenz gibt es schon seit 55 Jahren eine Autobahn. Dieses Teilstück der Autostrada del Sole war im Jahr 1960 eingeweiht worden, und zwar von den genau gleichen Fiat 500, die jetzt wieder im Einsatz fuhren.
Diese alte Autobahn zwischen der Emilia-Romagna und der Toskana ist für jeden Autofahrer ein Albtraum: Kilometer lange Staus bis tief in die Nacht hinein, Unfälle, 25'000 Lastwagen und Busse zwängen sich täglich über Viadukte, enge Kurven und schlecht ausgebaute Tunnels. Bis zu 90'000 Autos befahren die Strecke jeden Tag. Gebaut wurde die Strasse damals für kleine, schwache Autos. Mindestens zwei Mal pro Tag brach hier in jüngster Zeit der Verkehr zusammen. Der Übergang über den Apennin ist das gefährlichste Teilstück des italienischen Autobahnnetzes. Und es ist die Klammer zwischen Nord- und Mittelitalien, ein Symbol für das (erhoffte) Zusammenwachsen des Landes.
"Variante di Valico"
Die jetzt eingeweihte Autobahn, die fast parallel zur bestehenden verläuft, bringt Entlastung und führt über 41 neue Tunnels und Viadukte. Die Fahrt von Bologna nach Florenz verringert sich um eine gute Viertelstunde. Da die neue Strecke nach neuesten Standards ausgebaut ist, reduziert sie die Gefahr von Unfällen. Die vielen Tunnels sind breit, hoch, gut beleuchtet und verfügen über modernste Fluchtnischen.
„Variante di valico“ heisst die neue Parallel-Autobahn (valico = Pass). Sie ist 62,8 Kilometer lang und stellte die Ingenieure vor riesige Probleme, denn sie führt über weite Strecken durch brüchiges Gestein. Mehr als 20 Kilometer des Teilstücks verlaufen in Tunnels. Da und dort stürzten beim Bau Höhlen ein, überall gab es Wassereinbrüche; sogar Gas-Adern taten sich auf. Seit Jahren behaupteten die Pessimisten: „Ihr schafft es nie, dort eine Autobahn zu bauen“. Sie schafften es.
Tiefer gelegener Basistunnel
Die alte Autobahn (hier grün eingezeichnet) überquert den Apennin auf einer Höhe von 726 Metern über Meer. Um auf diese Höhe zu gelangen, schlängelt sich die Autostrada über weite Strecken dem Berg entlang. Die neue Strecke (blau) liegt dank eines richtungsgetrennten 8,6 Kilometer langen Basistunnels auf höchstens 490 Metern Höhe. Dieser Tunnel ist das Prunkstück des Bauwerks. Damit wurde eine geradere Streckenführung möglich. Da die Autos weniger hoch hinauffahren müssen, würden pro Jahr hundert Millionen Liter Benzin eingespart, hiess es an der Eröffnung.
Die neue Autobahn, an der elf Jahre gebaut wurde, ist zum Teil zwei-, drei- oder gar vierspurig. Sie führt zwei Mal unter dem alten Trassee hindurch. Die bisherige Strecke wird auf drei Spuren ausgebaut.
Die Autofahrer haben jetzt die Möglichkeit, entweder über die alte oder über die neue Autobahn den Berg zu überqueren. Vorschläge in Blogs, wonach die alte Strasse für Lastwagen und die neue für Personenwagen reserviert werden sollen, wurden nicht berücksichtigt.
Korruption
Auch wenn Renzi erklärt, die neue Autobahn sei „Symbol des italienischen Aufschwungs“: nicht alles ist lobenswert. Vieles war beim Bau doch „typisch italienisch“. Vor genau dreissig Jahren hatte man mit der Projektierung begonnen. Begleitet wurden die Arbeiten von Streitereien, Polemik, riesigen Planungsfehlern, Schlampereien, Verzögerungen und Korruptionsvorwürfen. Einige wenige verdienten daran sehr viel Geld. Die Kosten des Bauwerks waren auf 2,5 Milliarden Euro veranschlagt. Nach offiziellen Angaben betrugen sie schliesslich 4,1 Milliarden. Inoffizielle Zahlen sprechen gar von 5 Milliarden, also doppelt so viel wie geplant.
Trotz des neuen Meisterwerks: Die Überquerung des Apennins wird auch weiterhin nicht immer ein Kinderspiel sein. Kurz nach der offiziellen Eröffnung kam es zu dem, was man eigentlich vermeiden will: zu einem ersten zwölf Kilometer langen Stau.