Die Geschichte von Dr. Bassam Youssef ist in mancher Hinsicht die Geschichte der ägyptischen Revolution. Sie beginnt, wie die Revolution, mit einem unerwarteten, kometenhaften Aufstieg. Sie droht nun, wie die Revolution, dem Streit zwischen den Islamisten und den Säkularisten zum Opfer zu fallen.
Dr. Bassam Youssef, ein Herzchirurg von damals 33 Jahren, dachte daran, nach Amerika auszuwandern und wusste schon, an welchem Spital dort er arbeiten werde. Der Arzt war auch ein grosser Bewunderer des amerikanischen Fernsehsatirikers Jon Stewart.
Als die Revolution am Tahrir-Platz ausbrach, begann er auf seinem Laptop und in seiner Waschküche, die er als Studio benützte, satirische Kommentare zur ägyptischen Politik aufzunehmen und auszustrahlen. Hauptattraktion sind witzige Imitationen von Politikern.
Er dachte, wie er später erzählte, dass etwa 10‘000 Zuschauer die Sendungen anklicken würden. Doch seine witzigen Darstellungen der Politiker wurden dermassen beliebt, dass er in den Tagen der Revolution bald auf fünf Millionen Klicks kam. Die Ägypter sind dafür berühmt, dass sie es lieben zu lachen. Über Mubarak lachen zu dürfen, was bisher verboten war, bildete ein doppeltes Vergnügen.
Die populärste Sendung
Nach dem Sturz von Mubarak, als private Fernsehstationen zu senden begannen, kam der Arzt auf die grossen Bildschirme und wurde noch berühmter. Seine Sendung "al-Barnamag" (das Programm) wird jeden Freitagabend um elf Uhr ausgestrahlt. Sie zieht jeweils ein 30 Millionen-Publikum an und ist damit die meistgesehene Sendung im Land. Sie wird hochprofessionell in einem Studio mit Studiogästen realisiert. Dreissig Personen arbeiten daran. Sie visionieren während der Woche die Auftritte der Politiker und münzen sie – falls geeignet – satirisch um.
Doch der Arzt und Fernsehstar weiss: Ägypten ist nicht Amerika, wo es von aggressiven, satirischen Sendungen sprudelt. In Ägypten ist es nicht Usus, Politiker zu verulken. Solche Sendungen geniessen keinen verfassungsrechtlichen Schutz.
Mundtot oder mausetot
In der ungefestigten und vorerst nur beabsichtigten Demokratie des ägyptischen Übergangs kann man leicht unbequem und zum Stein des Anstosses werden. Man muss damit rechnen, mundtot gemacht zu werden – wenn nicht mausetot.
Die Revolution erleidet mehr und mehr Rückschläge. Der Streit zwischen Islamisten und Säkularisten nimmt immer radikalere Formen an. Beide weisen sich gegenseitig die Schuld zu. Der Arzt, Satiriker und Fernsehstar steht auf Seiten der Säkularisten. Er unterstreicht aber immer wieder, es gehe ihm nicht darum, die Religion anzugreifen. Er versuche vielmehr, jene zu entlarven, "welche die Religion benützen, um Prominenz und Macht zu erlangen“. Dadurch würden sie der Religion schaden.
Eine seiner berühmtesten Aussagen war: „Denen, die mir vorwerfen: ‚Du beleidigst Scheichs und Gelehrte‘, antworte ich: ‚Die Gleichung ist ganz einfach: Genauso wie ihr uns nicht als Muslime anerkennt, anerkennen wir euch nicht als Scheichs und Gelehrte‘."
Weiter sagte er: "Ich befasse mich nicht mit Religion. Vielmehr ist es so, dass ich jene angreife, die Religion missbrauchen und ihr damit einen schlechten Namen verschaffen."
Wo die Witze aufhören
Der Satiriker gibt zu, dass es Ereignisse gibt, die er nicht für seine Sendungen verwenden kann. Sie sind zu ernst und zu grausam. "Mit politischem Material kann ich arbeiten. Doch Blut und Gewalt, das ist eine Folter für mich. Ich habe versucht, eine Folge zu schreiben, die sich mit den Vorgängen in al-Mansoura befasste (eine Stadt im Delta, wo es blutige Unruhen gab), aber ich konnte es nicht."
Mursi nimmt er gern aufs Korn. Sein "Super-Mursi" tritt als Pharao auf. Einmal hat er sein Bild auf ein herzförmiges Kissen reproduziert, weil der Präsident immer wieder von "lieben" sprach. Das gab Anlass zu einer gerichtlichen "Untersuchung" gegen ihn - wegen möglicher Beleidigung des Präsidenten.
Damals, im vergangenen Januar, wies das Gericht die Klage ab. Fünf Muslimbrüder hatten eine Klage eingereicht und behauptet, wegen der Angriffe des Satirikers hätten sie Nervenzusammenbrüche erlitten. Auch diese Klage wurde abgewiesen.
Haftbefehl
Doch nun, Ende März, hat Talat Abdullah, der Oberste Staatsanwalt, den Klagen mehrerer Anwälte, die die Muslimbrüder vertreten, stattgegeben. Talat Abdullah war von Mursi eingesetzt worden. Seine Berufung ist von vielen Richtern in Frage gestellt worden.
Wegen „Beleidigung des Präsidenten“ erliess Talat Abdullah Haftbefehl Bassam Youssef. Vorgeworfen wird ihm auch die „Verbreitung falscher Nachrichten mit dem Ziel, Unruhe zu stiften“.
Der Angeschuldigte begab sich freiwillig zum Richter. Er erlaubte es sich dabei, einen sehr breitkrempigen Hut zu tragen. Einen ähnlichen Hut, den Mursi bei der Verleihung der Ehrendoktorwürde in Pakistan getragen hatte. Darüber hatte sich Bassam Youssef schon in einer seiner Sendung lustig gemacht.
Der Angeklagte liess sich auf Twitter vernehmen, er sei nett empfangen worden. Richter und Polizisten hätten sich zusammen mit ihm fotographieren lassen. "Vielleicht war das der Grund, dass sie mich bestellt haben?"
Frei auf Kaution
Der Richter befahl ihm, diese Twitter-Nachricht zu löschen. Was er auch tat. Nur hatte sie sich inzwischen im Internet lawinenartig verbreitet. Basam Youssef wurde fünf Stunden lang verhört. Dann wurde er auf Kaution frei gelassen. Er musste 150‘000 ägyptische Pfund hinterlegen (heute nur noch gegen 2‘200 Dollar).
Natürlich erregte der Vorfall gewaltiges Aufsehen. Scharen von Fans hatten sich vor dem Gericht eingefunden. Doch auch die Menschenrechtsorganisationen und ein Sprecher des amerikanischen Aussenministeriums erklärten sich beunruhigt.
“… dem breche ich das Genick“
Mursi hatte kurz zuvor eine Rede gehalten, in der er ankündigte, er gedenke nun, mit aller Strenge gegen Unruhestifter vorzugehen. Auch der ägyptische Präsident benutzt Twitter. In einem Tweet meldete er: "Wer Unruhe stiftet, dem breche ich das Genick!"
Mursis umstrittener Staatsanwalt hatte schon im vergangenen Januar damit begonnen, Journalisten vorzuladen. Ihnen wurde vorgeworfen, den Staatschef beleidigt zu haben. Doch Haftbefehle wurden zunächst keine ausgesprochen.
Das hat sich jetzt geändert. In den letzten Tagen wurde eine Reihe von Journalisten festgenommen – ebenso fünf bekannte Blogger. Sie gehören zu den wichtigsten Stimmen der Revolution. Einige blieben in Untersuchungshaft, die Bekanntesten wurden auf Kaution freigelassen, so auch Bassem Youssef.
Kampagne zur Einschüchterung der Presse
Menschenrechtsbeobachter in Kairo betonen, dass es in den 30 Jahren der Mubarak-Herrschaft 50 Prozesse wegen Beleidigung des Präsidenten gegeben habe. In den ersten 15 Monaten der Mursi-Präsidentschaft sind es 200, also vier Mal so viele.
Menschenrechtsorganisationen sehen in diesen Prozessen den Anfang einer Kampagne zur Einschüchterung der Presse. Ziel ist es, die Pressefreiheit, die seit dem Sturz Mubaraks aufgeblüht war, wieder abzuwürgen.
Die wichtige staatliche Presse sowie das staatliche Radio und Fernsehen können von Staats wegen gebändigt werden. Der Staat, also Mursi und seine Entourage, ernennen die Hauptverantwortlichen der staatlichen Zeitungen und der staatlichen elektronischen Medien.
Doch seit dem Sturz des alten Machthabers sind private Zeitungen, Fernsehsender und Radiostationen lanciert worden. Ihre Journalisten gilt es nun "einzuschüchtern", wie sie selbst sagen - oder zu "disziplinieren", wie der Staat sich ausdrücken möchte.
“Beleidigung des Präsidenten“
Die neue und bitter umstrittene Verfassung garantiert im Prinzip Meinungsfreiheit. Doch das ägyptische Gesetz kennt die Straftat der „Beleidigung des Präsidenten“. Dieses Gesetz gilt so lange, bis seine Vorschriften vom Verfassungsgericht als „unkonstitutionell“ erkannt werden.
Die neue Verfassung verbietet ausdrücklich, sich über Religion lustig zu machen. Die gegenwärtigen Vorgänge werden deshalb als ein erster Versuch gewertet, die wichtige Errungenschaft der Revolution, welche die Meinungsfreiheit darstellt, wieder auszuhöhlen.
Blindwütige, grobschlächtige Muslimbrüder
Dass eine bekannte und beliebte Persönlichkeit wie Bassem Youssef aufs Korn genommen wird, macht deutlich, dass die Muslimbrüder weiterhin glauben, sie allein könnten die Geschicke Ägyptens lenken. Ihre Ansichten und ihre Meinungen seien die alleingültigen. Mit der Verfolgung von Bassem Youssef fordern sie Millionen ihrer Mitbürger heraus. Diese Mitbürger betrachten die Muslimbrüder wegen ihres Wahlsieges als „rechtmässige“ Untergebene.
Dies ist ein Verhalten, das man nur als unvorsichtig und unklug beschreiben kann. Wahrscheinlich ist es dadurch zu erklären, dass Mursi und die Seinen nach wie vor reaktiv regieren. Sie sehen sich von ihren säkularistischen Kritikern herausgefordert, ja bedroht. Sie reagieren blindwütig aber schwerfällig und grobschlächtig und bieten dadurch ihren Widersachern noch mehr Anlass zu Kritik.
Die ägyptische Wirtschaft befindet sich in einem derart desolaten Zustand, dass eigentliche Energien zu ihrer Rettung eingesetzt werden sollten. Stattdessen werden Machtkämpfe um Belange geführt, die vielleicht bald einmal keine Rolle mehr spielen dürften. Bald einmal könnte es nur noch um eines gehen: Wie können 80 Millionen Ägypter ernährt werden?