Dass der Superwurm Stuxnet, der die Zentrifugen zur Urananreicherung der Iraner teils zerstörte, teils behinderte, von einer staatlichen Organisation herkommen müsse, wurde seit geraumer Zeit vermutet. Dass Amerika und Israel ihn produziert hatten, galt als wahrscheinlich oder beinahe gewiss. Doch nun erfährt David E. Sanger, durchgesickert aus staatlichen Quellen, die anonym bleiben wollen, zahlreiche Einzelheiten über diese erste Episode des Digitalkrieges, ihren Verlauf und ihre Geschichte. ("Obama´s Secret Wars and Surprising Use of American Power", Crown Publishers 2012).
Eine neue "Kriegswaffe"?
Seine Einblicke lassen erkennen, dass es sich wirklich um den Beginn einer neuen Form der Kriegsführung handelt, vergleichbar dem Einsatz der ersten "Tanks" von englischer Seite während dem Ersten Weltkrieg. (Die Tanks heissen bis heute so, weil die ersten dieser gepanzerten Raupenfahrzeuge zur Geheimhaltung verhüllt und als "Tanks" bezeichnet über den Kanal nach Frankreich geschafft wurden.)
Die Entwicklung des Wurms begann 2004 unter Bush. Obama liess sie vorantreiben und brachte die neue Waffe zum Einsatz. Israel arbeitete mit. Man erfährt, dass eine der Hauptschwierigkeiten darin lag, den Wurm auf die vom Internet abgetrennten Computer der iranischen Zentrifugenanlagen zu bringen. Wie das genau geschah, bleibt verschleiert, möglicherweise weil menschliche Agenten mit im Spiel waren. Es wird auch klar, dass der Wurm jahrelang im geschlossenen Kreis der Zentrifugenanlagen umging und dass er so raffiniert zusammengesetzt war, dass die Iraner geraume Zeit lang nicht wussten, was die Schäden ihrer Zentrifugen veranlasste.
Stuxnet entfloh
Das Ende für Stuxnet kam, als der Wurm im Sommer 2010 "entschlüpfte". Es sei ein Programmierfehler gewesen, der ihn schliesslich dazu brachte, aus dem geschlossenen Kreis der Zentrifugencomputer auszubrechen und sich über den Computer eines Ingenieurs, der an den Anreicherungsarbeiten mitgewirkt hatte, im Internet auszubreiten. Dies führte dann dazu, dass die Fachleute für Internet Würmer ihn isolierten und analysierten und seine Existenz öffentlich machten. Erst auf diesem Wege wurde er der Aussenwelt und auch den angegriffenen Iranern bekannt. Nach den amerikanischen Quellen der NYT hätten einige der amerikanischen Sachverständigen ihre israelischen Kollegen als dafür verantwortlich erklärt, dass der entscheidende Programmfehler passierte. Obama habe sich gefragt, ob die Operation eingestellt werden müsse, doch dann entschieden sie fortzuführen.
Weiterverwendung nach der Enttarnung
Den Entscheid für die Fortführung habe die Überlegung gegeben, dass mit der Bremswirkung, die der elektronische Angriff für das iranische Anreicherungsprojekt bedeutete, eine Chance entstand, Zeit zu gewinnen, um die Boykottaktionen gegen Iran soweit auszubauen und voranzutreiben, dass eine Aussicht bestand, sie könnten dann genügend Druck auf Iran auslösen, um das Land zum Nachgeben in dem Streit um die Urananreicherung zu veranlassen. Auf diesem Weg wurde erhofft, der Notwendigkeit eines konventionellen Krieges gegen Iran auszuweichen.
Die USA besonders gefährdet
Nach der Darstellung war Obama dabei bewusst, dass die neue Waffe früher oder später auch gegen Amerika eingesetzt werden könnte, und er erkannte die Gefahr, welcher die Vereinigten Staaten besonders ausgesetzt sind, weil es in keinem Land soviele lebenswichtige Ziele für digitale Angriffe gibt wie in den USA. Nirgends können mehr lebensnotwendige Voraussetzungen des täglichen Lebens und der gesamten Ökonomie durch Angriffe auf die sie steuernden Computer stillgelegt werden als dort.
Lies: Wasserversorgung, Elektrizitätsversorgung, Atomindustrie, Banken- und Zahlungswesen, Transportwesen, Schienen- und Luftverkehr, Industrieanlagen aller Natur und das gesamte Internet mit all seinen Abhängigkeiten. Iran hat inzwischen, wie zu erwarten war, seine eigene Abteilung für digitale Kriegsführung aufgestellt. Auch aus Amerika wird gemeldet, es gebe nun eine eigene Abteilung für "Cyber Wars"
Die neue Entdeckung: "Flame"
Ein Abkömmling und Nachfahre von Stuxnet scheint "Flame", die Flamme, zu sein. Dieser Superwurm soll auch schon geraume Zeit im Nahen Osten im Umlauf gewesen sein, nach dem russischen Labor, das ihn untersuchte,seit 5 Jahren. Er ist spezialisiert auf das Stehlen von Informationen aus den von ihm befallenen Computern. Das heisst Spionage.
Er wurde dadurch bekannt, dass eine Uno Stelle, alarmiert von Iran, das russische Labor Kaspersky beauftragte, ihn zu untersuchen, nachdem auch er offenbar "fremd gegangen" war und auf vielen nahöstlichen Computern auftauchte. Kasparov hat seine Zusammensetzung bekannt gegeben. Er soll aus 20 mal mehr Bestandteilen bestehen als Stuxnet. Von Stuxnet heisst es, er habe die Länge von 50 "gewöhnlichen" Würmern.
Israel hat dementiert, für "Flame" verantwortlich zu sein, doch Washington hat sich geweigert zu dementieren oder zu bestätigen.
Kriegsrecht für Digitalkrieg ?
Reuter meldet aus Washington, das Pentagon sei neuerdings der Ansicht, elektronische Angriffe könnten als Kriegsangriffe (acts of war) eingestuft werden, und Washington könne daher mit Waffengewalt auf sie reagieren. Die amerikanischen Behörden haben dem Parlament Gesetzesvorschläge über Digitalangriffe vorgelegt. Sie sind auf Kritik von den digitalen Fachleuten gestossen, weil sie erlauben würden, auf kriminelle Akte von Einzelnen oder Kleingruppen, wie sie die weit grösste Zahl der Angriffe ausmachen, mit kriegerischen Mitteln zu antworten, das heisst unter Umständen mit der gesamten Kriegsmacht der USA.
Die Ähnlichkeit mit dem "Krieg gegen den Terrorismus", den Bush proklamierte, ist frappierend. Obama hat diesen Krieg als Slogan abgeschafft, in der Realität in Afghanistan aber weitergeführt, Auch in diesem Fall wurde "Krieg" erklärt und geführt, nicht gegen einen anderen Staat sondern gegen eine Gruppierung krimineller Natur in religösem Gewande. Weil kriegerische Mittel eingesetzt wurden, musste sich der Krieg gegen Staaten wenden: Afghanistan zuerst mit Teilen von Pakistan, dann, völlig ungerechtfertigt, gegen den Irak. Der Einsatz eines konventionellen Kriegsheeres erfordert einen konventionellen, staatlichen Gegner, der zu bekämpfen wäre. Wenn dieser nicht da ist, schafft er sich ihn.
Welches Ziel für den Kriegsakt?
Wenn nun eine Gruppe oder ein Individuum einen digitalen Angriff auf die USA unternähme, und dass dies geschehen könnte, ist wohl nur eine Frage der Zeit, und wenn dann das Pentagon berechtigt sein soll, mit konventionellen Waffen zurückzuschlagen, entsteht die Frage, auf wen zurückschlagen? - Möglicherweise, wie es bisher gewesen ist, auf den Staat und dessen Armee welcher den digitalen Verbrecher beherbergt, oder von dem angenommen wird, er beherberge ihn. Ein konventioneller Krieg wird vom Zaun gebrochen, weil ein vermeintlicher Anlass besteht, "Krieg" zu führen.
Die Grenze zwischen Kriegsaktion und Polizeiaktion wird vermischt, wenn es erlaubt sein soll, auf kriminelle Akte mit Kriegsaktionen zu antworten. Der grundlegendste Unterschied zwischen Polizei- und Kriegsaktion liegt darin, dass eine richterliche Instanz letzlich zu entscheiden hat, ob die Polizeiaktion gerechtfertigt war. Im Falle der Kriegsaktion gibt sie es nicht. (Internationale Gerichtsinstanzen sind meistens, und gerade in den am schwersten wiegenden Fällen von Militärangriffen machtlos).
Parallelfall: die Drohnen
Der heute eskalierende Drohnenkrieg ist ebenfalls ein Beispiel für diese Vermischung der Zuständigkeiten. In Jemen, in Afghanistan und in Pakistan wird dieser Drohnenkrieg halboffizell bis inoffizell von den USA geführt, wohlgemerkt im Land von "Verbündeten". Weil Kriegsinstrumente im Gebiet der Verbündeten eingesetzt werden und weil sie als Kriegsinstrumente wirken, nicht als Polizeimassnahmen, indem sie Schuldige und Unschuldige töten, ohne dass die Verursacher zur Rechenschaft gezogen werden könnten, führen sie zu flammendem Hass der angegriffenen Bevölkerungsteile gegen die USA und gegen ihre eigene Regierung, die den Drohnenkrieg der USA duldet, ja an ihm beteiligt ist.
Die Drohnen rekrutieren so neue Feinde für den "inkonventionellen Krieg" z.B. mit Selbstmordbomben, der dann gegen die eigene Regierung und ihren Übervater, die USA, entfesselt wird.