Hinter seiner Aussage steht der ideologisch gefärbte Wunsch nach Wiederherstellung einer Gesellschaft mit der alten familiären Weltordnung, in welcher der Ernährer tagsüber arbeitet, die Hausfrau sich um die Kinder kümmert und das Kind in den ersten drei Lebensjahren ausschliesslich am Rockzipfel der Mutter hängt. So wie früher, als alles noch besser war.
Doch was war eigentlich früher?
Zeit zum Spielen oder das Hausaufgaben-Kontrollieren hatten Eltern kaum. Das wurde auch nicht erwartet, denn das Grossfamilienleben war sehr streng. Für meine Urgrossmutter mit zwölf Kindern bedeutete das Einkaufen ohne Auto oder das Kleiderwaschen ohne Waschmaschine ein zeitaufwändiges Unternehmen, welches wenig Spielraum für Spiele mit Kindern zuliess. Hausfrau-Sein hiess in erster Linie krampfen. Kinder waren oftmals stundenlang draussen auf sich selbst angewiesen.
Im frühen 20. Jahrhundert waren den Frauen durch Gesellschaft, Kirche und Schule Leitplanken vorgegeben. Dies erleichterte zwar manche Bewältigung von Problemen, denn es gab eindeutige Richtlinien, Rituale und Traditionen, die für die Mehrheit galten. Auf der anderen Seite wurde wenig auf die persönlichen Bedürfnisse der Kinder eingegangen, Traditionen wurden überbewertet und starr angewendet. Wer nicht ins übliche Raster passte, wurde ausgegrenzt.
Für die Betreuung der Kinder war ein Netzwerk vorhanden, so mussten beispielsweise kinderlose Tanten im Elternhaus mithelfen, ihre Nichten und Neffen zu betreuen. Ob sie wollten oder nicht. Reiche Familien engagierten Ammen und Kindermädchen. Kaum jemand betrachtete diese „Fremdbetreuung“ als Übel. Es war normal.
Bis in die 1950er Jahre verdienten viele Männer zu wenig, um die Familie zu ernähren. Zusatzverdienste von Frauen und oft auch Kindern waren an der Tagesordnung. Erst in der Hochkonjunktur ab den 1960er Jahren wurde in breiten Kreisen der Mann zum Alleinverdiener.
Kinder hatten einen anderen Stellenwert als heute
Während die Geburt eines Kindes heute in erster Linie Sinngebung und Glück bedeutet, war dies zu früheren Zeiten auch aus praktischen Gründen ein materieller Wert für die Familie. Das Kind diente der Altersversorgung, wurde zum Mitverdiener oder zum Unterstützer im elterlichen Betrieb. Natürlich war Liebe da. Aber für Überbehütung – wie dies heute oft geschieht – war schlicht keine Zeit.
Ein afrikanisches Sprichwort sagt, es brauche ein ganzes Dorf, um Kinder aufzuziehen– ein familienübergreifendes Netzwerk von Beziehungen. Dieses Dorf fehlt den Eltern heute.
Warum Kitas für heutige Familien wichtig sind
Eltern können es sich heute oftmals gar nicht leisten, mit einem einzigen Einkommen auszukommen. Tendenz steigend. Sie sind auf zwei Einkommen angewiesen. So wie früher. Im Gegensatz zu meiner Urgrossmutter können sie aber nicht auf ein unterstützendes Netzwerk zugreifen: es gibt keinen sozialen Zwang mehr, kinderlose Tanten für die Kinderbetreuung einzusetzen. Und das ist auch gut so. Abgesehen davon, dass es heute die kinderlosen Tanten kaum mehr gibt, weil Familien kleiner geworden sind.
Eltern heute brauchen mehr Zeit, das heisst eine Elternzeit, im Minimum einen Vaterschaftsurlaub, und sie brauchen familienfreundliche Arbeitsbedingungen.
Kinder haben das Recht auf optimale Betreuung, Erziehung und Bildung ab Geburt. Altersgerechte Förderung und Betreuung von Kleinkindern durch kompetente, qualifizierte Personen sind in einer Kita gegeben. Als Ergänzung zur elterlichen Sorge. Kinder haben das Recht, im Kontakt zu anderen Kindern aufzuwachsen, zumal wir in einer Zeit leben, in welcher wenig bis gar keine Geschwister vorhanden sind.
Kinder brauchen Kontakt zu anderen Kindern und sie brauchen mehrere verlässliche Bezugspersonen. Früher waren dies Grosseltern, Tanten, Nachbarn oder eben Mitglieder aus der Sippe. Wenn diese Bezugspersonen heute zu einem grossen Teil fehlen, darf ruhig die Frage gestellt werden, warum Kitas oder Horte nicht diese Funktion übernehmen sollten.
Oder aber unsere Gesellschaft wird wieder kinderfreundlicher. So wie es ein Mann aus Afrika in einem Interview ausdrückte: „Bei euch muss sich eine Frau wehren, wenn sie einmal eine Stunde ohne ihr Baby sein will. Bei uns muss sich eine Frau wehren, damit sie ihr Kind einmal eine Stunde lang für sich haben kann.“