Wer hätte dieses Szenario vorausgesagt? Welch dramatische Zuspitzung eines Kampfs um Sein und Nichtsein in der Schweizer Medienszene. Zum grossen Showdown in der Auseinandersetzung über die Zukunft des öffentlichen Rundfunks in der Schweiz kommt nun auch der Kampf um die Existenz der SDA. Gleich zwei Grundpfeiler im Mediensystem Schweiz stehen auf dem Spiel – die Schweizer Medienlandschaft erlebt die grösste Erschütterung ihrer Geschichte.
Der angekündigte Abbau bei der Agentur SDA gefährdet nicht nur die Zukunft einer Infrastruktur, welche für das ganze Mediensystem der Schweiz existenziell ist. Eine massive Schwächung oder gar eine Zerstörung der SDA würde der Informationsversorgung und der Informationsqualität für die ganze Schweiz irreparablen Schaden zufügen. Denn bei der SDA geht es um die Grundversorgung quasi aller Redaktionen und Medien in der Schweiz mit Nachrichten, es geht um einen neutralen Rohstoff-Lieferanten von hoher Qualität und breitem Themenspektrum.
Darüber hinaus stellt der Kampf um die SDA aber zugespitzt jene Frage, welche generell für die Zukunft des Schweizer Mediensystems zentral ist: Die Frage nach Rentabilität, nach Gewinn und Profit. Oder anders herum: Wie werden notwendige Informationsleistungen finanziert?
Wenn über die Finanznöte der SDA diskutiert wird, dann gilt es an vier Besonderheiten zu erinnern: Die SDA war als Selbsthilfeorganisation konzipiert und bis kürzlich als „nicht gewinnorientiert, aber den Prinzipien der Eigenwirtschaftlichkeit verpflichtet“. Diese historische Eigendefinition ist offenbar aufgehoben. Zweitens: Die SDA hat in den letzten Jahren mit Gewinnen eine Reserve von 18 Millionen angehäuft. Diese werden jetzt nicht in einen (offenbar notwendigen) Strukturumbau investiert, allenfalls auch zur Finanzierung von Sozialkosten, welche durch eine Umstrukturierung anfallen können. Nein, die 18 Millionen Reserve sollen an die bisherigen Aktionäre ausbezahlt werden. Besonderheit Nummer drei: Die Aktionäre der SDA sind Vertreter der grossen Medienhäuser, von welchen zu erwarten wäre, dass sie die SDA als Kernstück des Schweizer Nachrichtenwesens mit besonderer Sorgfalt pflegen. Und – Besonderheit Nummer vier – diese Besitzer sowie die Kunden der SDA sind weitgehend identisch. Heisst: die grossen Verlagshäuser haben als Kunden von der SDA verlangt, ihre Leistungen billiger zu liefern. Als Besitzer der SDA haben diese Medienhäuser ihrer eigenen Forderung nachgegeben und die Tarife massiv gesenkt. Resultat: ein hausgemachtes Defizit.
Es ist dies eine kaum nachvollziehbare Absurdität: ein Besitzer verordnet seinem Unternehmen eine Tarifreduktion, wovon er als Kunde profitiert – als Besitzer nun aber über Einnahmeverluste klagt und damit die Teilzerstörung seines eigenen Betriebs begründet.
Damit zurück zur Frage der Rentabilität: Beim traditionallen Geschäftsmodell im Medienbereich standen auf der Ausgabenseite Posten für die Beschaffung und Verbreitung von Information, also für Löhne von Journalisten, Redaktorinnen und Korrespondenten, für Agenturen und für die technische Infrastruktur (inklusive Vertrieb). Auf der Einnahmeseite standen die Posten „Verkauf“ von Anzeigen und von Abos.
Richtig und nachvollziehbar ist, dass die Einnahmeseite eingebrochen ist – weniger Anzeigenverkauf, weniger Abos. Dennoch schreiben die grossen Medienhäuser nach vielen Jahren mit fetten Profiten weiterhin – zum Teil sehr gute – Gewinne. Diese Gewinne werden zu einem Teil durch neue digitale Anzeigen- und Verkaufsgeschäfte erzielt, aber vom publizistischen Geschäft buchhalterisch strikte getrennt: Hier grosser Gewinn, dort lediglich kleiner Gewinn oder auch mal ein kleiner Verlust.
Diese Logik, die Publizistik zum Kostenverursacher, zum Defizitgeschäft zu isolieren, erfährt mit der neuen Geschäftspolitik der SDA eine neue Eskalationsstufe: ein traditioneller Kostenfaktor, die Beschaffung der Rohstoffe zum Verkauf von Infos, soll nun selbst rentabel werden. Die SDA habe das Ziel, angemessene Gewinne zu machen, sagt ihr CEO Markus Schwab. Mit dieser Profitlogik wird jede Informationsbeschaffung – durch einen Korrespondenten, eine recherchierende Journalistin, eine Redakteurin oder eben durch eine Agentur – zum störenden Verlustgeschäft deklariert.
Anders formuliert: Beim Geschäft des Informationsverkaufs sollen möglichst keine Kosten für das eigentliche Handwerk, die Produktion der Information, entstehen.
Die Grundsatzfrage im Mediensektor stellt sich verschärft: Ist die Vermittlung von Information ein Geschäft, das den Mechanismen des Marktes überlassen werden kann? Wenn der CEO der SDA sagt, die SDA sei nur ihren Aktionären etwas schuldig, dann scheint es höchste Zeit, die Vermittlung von gesellschaftlich relevanter Information aus dieser Marktlogik herauszulösen und als Service public zu definieren. Ein solcher wäre der Allgemeinheit, dem Bedürfnis nach unabhängiger, seriöser und breiter Information verpflichtet, und nicht der Gewinnlogik der Aktionäre.
Der Zufall, das zeitliche Zusammenfallen der Auseinandersetzung um den öffentlichen Rundfunk und um die SDA, ist in der Marktlogik gar keiner. Das Versagen des Markts provoziert, die Aufgabe des Service public im Medienbereich neu zu denken.