Manchmal ist die Geschichte wie ein Karussell, in dem die hölzernen Pferde regelmässig von Träumern geritten werden, die glauben, den Hengst gefunden zu haben, der sie zum Sieg führen wird. Natürlich ist jede Epoche anders. Aber es gibt auch erstaunliche Übereinstimmungen über die Jahrhunderte hinweg. Plötzlich scheint ein kultureller Impuls oder eine politische Entscheidung von heute unverändert aus der Vergangenheit zu stammen. So erinnert die gegenwärtige Schieflage der Schweiz in Bezug auf Europa auf merkwürdige Weise an die Blindheit der Eidgenossen, die im Jahre 1515 zum Desaster von Marignano führte.
Damals hatten sich die Schweizer völlig verschätzt, als sie die Po-Ebene betraten. Sie haben die Armee von François I. schlichtweg verkannt, haben geglaubt, dass seine Artillerie niemals die Alpen überqueren würde, und sie hatten seine Truppen an den falschen Stellen vermutet. In der Tat hatten sie trotz ihrem Kampfeswillen keine Chance, eine Schlacht zu gewinnen. Heute machen die Scharfmacher, die den Zugang zum europäischen Markt behalten wollen, ohne die Regeln zu respektieren, den gleichen Fehler und täuschen sich über die Kräfte, denen sie gegenüberstehen.
Auf der Gegenseite hat sich damals der König von Frankreich über seine Gegner keineswegs geirrt. Er erkannte, dass die Bergbewohner ohne politische Visionen nur einen Ehrgeiz hatten: Italien zu verwüsten und, nachdem sie es geplündert hätten, in ihre Täler zurückzukehren. Wie unsere Zeitgenossen, welche die Europäische Union auf einen grossen Markt reduzieren, betrachteten sie die Gebiete rund um ihre Alpen als riesigen Wohlstandsspeicher. Da er ihre Motive kannte und ihre taktischen Fehler sah, begann François I. mit Verhandlungen: «Warum sich mit uns anlegen und tapfere Männer in den Tod schicken? Wollt ihr eine Entschädigung? Diese werde ich Euch geben. Lasst uns diskutieren und uns zum Wohle aller einigen!»
Von da an werden die Ähnlichkeiten mit den gegenwärtigen Schwierigkeiten verblüffend. Die Schweizer Hauptleute, die von der Tagsatzung die Verhandlungsvollmacht erhalten hatten, prüften die Vorschläge der französischen Diplomatie. Am Ende eingehender Gespräche unterzeichneten die damaligen Balzarettis am 8. September 1515 den Vertrag von Gallarate. Dies war eine Art Rahmenvertrag, der alle militärischen und finanziellen Beziehungen zwischen Frankreich und den Kantonen regelte.
Doch angesichts dieses friedlichen und lukrativen Geschäfts rebellierten die Befürworter der Kampfhandlungen. Matthäus Schiner, Kardinal und Fürstbischof von Sitten, Anstifter des Italienfeldzuges, der Christoph Blocher jener Zeit, wurde aktiv. Er manipulierte, spaltete, heizte die Gemüter an, drängte gewisse Schweizer Unterhändler zum Meineid und liess sie glauben, dass Reichtum in Reichweite sei, vorausgesetzt, sie griffen an. Die Verwirrung war total. Die Berner, die Freiburger und die Solothurner machten sich auf den Heimweg, während von einer Tagsatzung, die so zerstritten und unstrategisch war wie der aktuelle Bundesrat, neue Truppen erwartet wurden. Während sich die Franzosen verraten fühlten, kamen neue Kämpfer an. Und diese waren wie heute Gewerkschafter oder Finanziers von ihren eigenen Analysen so überzeugt, dass sie jedes Verhandlungsresultat ablehnten. Das Ergebnis ist bekannt. Weil sie ihre Macht überschätzt, ihre Unterschriften verleugnet und den Krieg gewollt hatten, liessen die Montagnards ihre Täler ausbluten. Ein Jahr später unterzeichneten sie den Frieden von Freiburg, der ihnen zwar gute Einnahmen brachte, sie aber bis zur Französischen Revolution de facto zu Untertanen Frankreichs machte.
Heute steht zum Glück kein Menschenleben auf dem Spiel. Dennoch sind die gleichen Illusionen und Inkompetenzen am Werk. In der Renaissance hatten die Alpenbewohner kein Verständnis für das Aufkommen von Staaten, die entschlossen waren, ihre militärischen Abenteuer einzudämmen. Im 21. Jahrhundert scheinen sie nun den strategischen, wirtschaftlichen, politischen, ethischen, sozialen und kulturellen Wert der Europäischen Union nicht zu erkennen. Wenn die Schweiz den Weg des Kräftemessens wählt, um eine mythische Souveränität, die sie bedroht glaubt, und ihren Reichtum zu schützen, dann läuft sie Gefahr, in eine Katastrophe zu laufen. Eine Art Marignano, zwar ohne Leichen, aber mit den zunehmend schmerzhaften Wunden einer langsamen Marginalisierung.
Der Beitrag ist auf Französisch am 4. Februar 2021 in «Le Temps» erschienen. Gret Haller hat ihn für Journal 21 übersetzt.