Iran greift nicht offiziell ein, aber entsendet Berater aus den Rängen der Revolutionswächter, zudem Waffen und Geld. Die Russen haben ihrerseits bestätigt, dass sie ihre hochentwickelten Yakhon Raketen an Syrien verkauft und geliefert haben. Dies sind Raketensysteme, die gebaut wurden, um Kriegsschiffe abzuwehren oder anzugreifen. Sie fliegen sehr schnell und sehr niedrig über dem Wasser; sie können fünf Sprengköpfe auf einmal tragen, und diese suchen individuell ihre Ziele, nachdem die Mutterrakete in die Nähe der Ziele vorgedrungen ist.
Wer bedient die neuen Raketen?
Solche Raketen könnten gegen amerikanische Absichten gerichtet sein, Truppen anzulanden. Doch die Waffenfachleute meinen, die syrischen Soldaten müssten mindestens ein Jahr lang ausgebildet werden, um sie erfolgreich einsetzen zu können. Heisst das, dass diese Raketen im Notfall von russischen Spezialisten bedient würden? Es gab Zeiten, in denen russische Fachleute damit betraut waren, sowjetische Luftabwehrraketen am Rande des Suezkanals zu bedienen, auf dessen anderem Ufer die Israeli standen. Das war im Nachkrieg nach dem Sechstagekrieg von 1967, nachdem die Israeli Ziele im Niltal weit über den Kanal hinaus bombardiert hatten und damals von "Tiefenpenetration" nach Ägypten redeten.
Aus Moskau verlautet weiter, die Lieferung von S 300 Raketen an Syrien werde in Betracht gezogen, andere Quellen sagen "geplant". Dies wären Raketen, die die israelischen Kampfflugzeuge im Luftraum über Syrien und wohl auch über Teilen von Libanon bedrohen könnten, was gegenwärtig kaum der Fall ist. Auch dafür gilt, dass die Lieferung noch nicht bedeutet, dass die syrischen Soldaten sofort in der Lage wären, solche Raketen auch zu bedienen.
Die Verträge für den Verkauf der Yakhon, so erklärten die Russen, seien schon 2007 abgeschlossen worden, und wie Aussenminister Lavrov hinzufügte, Russland wolle sein Renommee als zuverlässiger Waffenlieferant nicht aufs Spiel setzen.
Israels rote Linie
Die Israeli haben ihrerseits zweimal Luftschläge auf syrisches Territorium vorgenommen. Diese galten wahrscheinlich iranischem Kriegsmaterial, das an Hizbullah in Libanon weitergegeben werden sollte. Israel hat dadurch eine "rote Linie" gezogen. Es wird wieder angreifen, wenn es vermutet, weitere Lieferungen von Raketen an Hizbullah könnten vorbereitet werden. Hochentwickelte Raketen in der Hand von Hizbullah würden in Tel Aviv als eine Veränderung des bestehenden strategischen Gleichgewichtes aufgefasst, was "das Spiel verändern würde", wie die Amerikaner sagen.
Syrien sieht diese Linie, die gewissermassen in Syrien gezogen wird, als eine Einschränkung seiner Souveränität an, und die Spannungen zwischen den beiden Ländern haben zugenommen. Theoretisch besteht ohnehin Kriegszustand zwischen Syrien und Israel. Doch die Waffenstillstandslinie vor den Golanhöhen war Jahrzehnte lang ziemlich ruhig. Sie wird von Unosoldaten überwacht. Aber es kommt dort immer wieder zu Schiessereien. Diese gehen zum Teil auf die inneren Unruhen in Syrien zurück.
Doch Damaskus behauptete kürzlich, seine Soldaten hätten ein israelisches Militärfahrzeug, das die Waffenstillstandslinie verletzt habe, "mit seinem gesamten Inhalt" beschossen und zerstört. Aus Israel kam keine Bestätigung. Doch verlautete, die Standartbefehle seien geändert worden. Bisher hätten sie gelautet, auf syrisches Feuer sei zurückzuschiessen, gleich woher es käme. Doch nun sollen die Weisungen lauten, womöglich zu unterscheiden, ob es sich um Feuer handle, das gezielt über die Waffenstillstandslinie eröffnet werde, oder eher um Streufeuer, das aus den innersyrischen Kämpfen hervorgehe. Nur im ersten Fall sei zurückzuschiessen.
Die asymmetrische Kriegslage
Das Asad Regime verfügt nach wie vor über eine einsatzbereite Armee. Es erhält fortlaufend Waffen und Munition aus Russland und aus Iran. Dank seiner schweren Bewaffnung kann es jederzeit Truppen gegen einen der Fokalpunkte der Erhebung konzentrieren und diese vollständig zerschlagen. Doch die syrische Armee verfügt nicht über genügend zuverlässige Soldaten, um solche Aktionen gleichzeitig überall im Land durchzuführen, wo sich die Bewohner erheben.
Dies beruht auf der Bevölkerungsstruktur. Die Alawiten, die das Regime tragen und stützen, sind höchsten 15 Prozent der Bevölkerung, die Sunniten, die zur grossen Mehrheit das Regime hassen und zu Fall bringen möchten, machen fast 70 Prozent der Bevölkerung aus, damit auch einen Grossteil jener Soldaten, die möglicherweise auf die Seite der Rebellion überlaufen könnten.
Milizen zur Ergänzung der Truppe
Die syrische Regierung versucht, so viele zusätzliche Milizen wie möglich zu mobilisieren. Die Schabiha Milizen, die meist aus Alawiten und einigen Berufsverbrechern bestehen, operieren schon seit geraumer Zeit auf Seiten des Regimes. Doch auch Hizbullah-Kämpfer schreiten nun zur Unterstützung von Damaskus ein. Neuerdings wurde bekannt, dass es auch irakische Schiiten gibt, die auf Seiten von Damaskus "kämpfen", weil die Schiiten im Irak begonnen haben, Bilder und Gedenksprüche zur Erinnerung an die irakischen "Märtyrer" zu veröffentlichen, die im Kampf gegen die "Terroristen" der Gegenseite in Syrien gefallen sind. Anonyme und vermummte Sprecher im Irak haben ausgesagt, "Tausende" von irakischen Schiiten seien schon rekrutiert worden, um dem Regime von Damaskus zu helfen.
Aus dem Irak und über die irakische Grenze kommen auch schon seit geraumer Zeit sunnitische Kämpfer, um den Rebellen zu helfen. Bei ihnen handelt es sich um radikalisierte Sunniten aus dem Irak oder aus anderen sunnitischen Ländern. Die Tunesier sollen eine grössere Gruppe von derartigen Jihadisten gestellt haben. Der "Glaubenskampf" im Ausland dürfte für manche einen Ausweg darstellen, um der heimischen Arbeitslosigkeit und Aussichtslosigkeit zu entrinnen.
Die Regierung von Tunesien erklärt, sie könne den Tunesiern die Ausreise ins Ausland nicht verbieten.
Die Gefahr von Massakern wächst
Weil der Mangel an Kämpfern, mehr als der Mangel an Kampfmitteln, auf Seiten der Regierung den schwächsten Punkt ihrer Position bildet, sind solche Hilfsvölker für Damaskus sehr wichtig. Wenn es genug von ihnen gäbe, könnte das Regime möglicherweise durch sie seine grösste Schwäche, den Mangel an verlässlichem Kampfpersonal, ausgleichen. Doch Milizen sind weniger diszipliniert als Soldaten und viele von ihnen engagieren sich auf Grund von persönlichen Emotionen, etwa persönlichen oder kollektiven Rachegefühlen.
Deshalb ist zu befürchten, dass sie Zivilisten der "feindlichen" Bevölkerungsgruppen noch unmenschlicher behandeln als reguläre Truppen, und die Schabiha sind für ihre Massaker bekannt. Entsprechend warten alawitische Bevölkerungsgruppen die Ankunft von Rebellenkämpfern, wenn diese alawitische Dörfer bedrohen, nicht ab, sondern sie fliehen im voraus, weil sie wissen, was ihnen bevorstehen könnte.
Hizbollah als Hilfsvolk
Schiitische Kämpfer von Hizbullah haben sich auf Seiten der Regierung engagiert. Offiziell sollen sie nur die kleinen Gemeinschaften von 12er Schiiten verteidigen, die jenseits der libanesischen Grenze leben und zur gleichen Religionsgemeinschaft gehören wie die Libanesischen Hizbullah-Kämpfer. Doch verlautet auch, sie würden zur Verteidigung der 12er schiitischen Heiligtümer im Inneren Syriens eingesetzt. Das wichtigste davon ist jenes von Saida Zeinab, nah bei Damaskus, um das herum sich eine ganze Siedlung von 12er Schiiten gebildet hat, auch solchen, die als Händler und geistliche Pilgerbetreuer aus Iran eingewandert sind. Der Schrein der Heiligen Zeinab ist von Iran zu einer Kultstätte ganz im iranischen Baustil ausgebaut und geschmückt worden.
Inoffiziell wird manchmal erwähnt, dass Hizbullah-Kämpfer auch als Ausbildner auf der Regierungsseite aktiv seien. Dies dürfte vor allem die Ausbildung der Milizen betreffen.
Den Rebellen fehlen die Waffen
Der Schwachpunkt der syrischen Rebellen hingegen liegt nicht auf Seiten des Personals, sondern auf Seiten der Waffen. Wenn sie genügend schwere Waffen erhielten, um jenen der Regierung entgegenzutreten, könnten sie mit entscheidenden und bleibenden Erfolgen rechnen. Doch ihre bisherigen Waffenlieferanten beginnen zu zögern. Amerika sucht Saudi Arabien und Qatar davon zu überzeugen, dass es notwendig sei, Waffen nur zuverlässigen Gruppen zukommen zu lassen, von denen ganz sicher ist, dass sie diese nicht an "Qaeda Kämpfer" oder Qaeda Freunde weiterreichten.
Heimlich liefert Washington über die CIA auch mehr als das „nicht tödliche“ Kriegsgerät. Man darf annehmen, dass sich Washington dabei darum bemüht, nur an Gruppen zu liefern, denen es voll vertraut – auch wenn es deren nur wenige gibt.
Freunde und Feinde der Muslimbrüder
Man weiss, dass der zweite Hauptlieferant von Waffen an die Rebellen, Qatar, mit Saudi Arabien darin uneins ist, ob man die syrischen Muslimbrüder unterstützen solle. Die Saudis sind dagegen, die Qatari dafür. Die Saudis trauen den Brüdern nicht mehr, seitdem diese in Ägypten und in Tunesien (dort ist es Nahda, die eine vergleichbare Rolle spielt) mitgewirkt haben, die alten Regime abzusetzen, und dann durch Wahlen selbst die Macht übernahmen. Weder Revolutionen noch Wahlen sind bei den saudischen Herrschern beliebt.
Im Falle der Salafiten jedoch, die den Saudis als Glaubenslehre sympathisch sind, ist es stets schwer zu beurteilen, ob sie in einer Kriegssituation nicht doch mit Qaeda und deren Gefolgsleuten zusammenspannen, weil die Ideologien die gleichen sind, nur bei Qaeda mehr weltweit nach aussen, bei den meisten Salafiten mehr nach innen, auf "Islamisierung" des eigenen Landes hin, ausgerichtet.
Qusair, ein strategischer Punkt
Es dürfte primär der abnehmende Strom von Waffen und Munition sein, der zur Zeit den Rebellen Rückschläge einbringt und die Gegenoffensiven der Regierung erfolgreich verlaufen lässt. Die Regierung hat gegenwärtig einen bedeutenden Teil ihrer Mittel bei Qusair konzentriert und scheint im Begriff, die dortigen Rebellengruppen aufzureiben. Die umliegenden Dörfer sind bereits von der syrischen Armee eingenommen und besetzt worden. Der Flecken Qusair ist umzingelt, und es scheint dort noch Kämpfe zu geben.
Der Ort liegt nah an der libanesischen Grenze an der Strasse nach Homs, und die Beherrschung des Städtchens und seiner umgebenden Dörfer hatte bisher den Rebellengruppen einen freien Zugang nach Libanon ermöglicht. Dorther sollen bedeutende Waffenlieferungen gekommen sein, bezahlt aus den Golfstaaten, aber organisiert, gelenkt und geschützt von libanesischen Sunniten - weitgehend gegen den Willen der Behörden von Beirut. Von Qusair aus flossen die Waffen weiter in Richtung Homs und wohl auch bis nach Edlib und in den Raum von Aleppo.
Weil Qusair so wichtig für die Rebellen ist, haben sie kürzlich alle Gruppen dazu aufgerufen, Qusair zu Hilfe zu eilen. Dass dort auch libanesische Sunniten zusammen mit den Rebellen kämpfen, wird behauptet und ist nicht unwahrscheinlich, weil es sich um den Endpunkt der Waffen- und Munitionslieferungen handelt, die aus Libanon kommen. Weniger gewiss, aber nicht unmöglich ist auch, wie ebenfalls zu hören war, dass Hizbullah-Kämpfer auch an dieser Front auf Seiten der Regierung aktiv sein sollen, so dass dort Libanesen direkt gegeneinander stünden.
Mehr Tote in Tripolis
Jedenfalls haben in Inneren Libanons die Spannungen weiter zugenommen. In Tripolis, wo es direkt neben dem sunnitischen Volksquartier von Souk ad-Tabbana ein Wohngebiet von Alawiten gibt, die ursprünglich aus Syrien eingewandert waren, Jebel Muhsin genannt, sind neue Kämpfe ausgebrochen. Sie dauerten vier Tage an und haben 10 Tote und gegen 70 Verwundete gekostet. Die Armee versucht, die beiden seit Jahren feindlichen Quartiere getrennt zu halten. Sie hat dabei zwei ihrer Soldaten verloren.
Rückschläge auch im Süden des Landes
Auch an der südlichen Front nah an der jordanischen Grenze hat die reguläre Armee von Damaskus ebenfalls Erfolge zu verzeichnen. Sie hat den Ort Deraa wieder eingenommen und scheint zur Zeit den Raum zwischen der Grenze und Damaskus weitgehend zu beherrschen. Diese Front ist wichtig, weil ein amerikanisch-saudischer Plan bestand, in Jordanien Kämpfer der Rebellen auszubilden, die als Gegengewicht gegen die Islamisten und Verbündete der westlichen Mächte wirken sollten.
Fernziel einer solchen Aktion wäre gewesen, vom Süden her in den naheliegenden Raum von Damaskus einzudringen. Doch die Regierungsarmee kennt diese in der Presse diskutierten Pläne natürlich ebenfalls, und sie scheint ihnen zuvorgekommen zu sein, indem sie bis an die Grenze vorstiess.
Die Waffen als Hebel der Aussenmächte
Je länger die Kämpfe in Syrien andauern, desto mehr sind die Aussenmächte in der Lage, den Verlauf des Krieges durch ihre Waffenlieferungen zu beeinflussen. Doch es ist viel schwieriger, den Waffenstrom so zu regulieren, dass der Kriegsverlauf den Wünschen und Zielen der westlichen Aussenmächte entspricht.
Die asymmetrische Kriegslage in Syrien macht es für die russisch-iranische Seite relativ leicht, ihr Ziel zu verfolgen, das man als das Überleben des Asad Regimes ansehen kann. Für die Amerikaner und die Seite der "Freunde Syriens" ist die Lage viel schwieriger. Ihr erklärtes Ziel ist es, "auf beide Seiten" genügend Druck auszuüben, dass sie sich am Ende entschliessen, miteinander zu verhandeln und Frieden zu schliessen.
Doch die Druckmöglichkeiten auf Damaskus sind beschränkt, jene auf die Rebellen bestehen darin, dass Waffenlieferungen gesteigert oder gebremst werden können. Wenn zu viele Waffen geliefert werden, besteht für die Rebellen kein Grund, sich mit Damaskus zu verständigen. Sie hoffen in diesem Fall auf einen Sieg. Wenn aber die Lieferungen eingeschränkt werden, wächst die Gefahr, dass die Aufständischen von der Regierung niedergekämpft werden.
Feinregulierung so gut wie unmöglich
Die Versorgung mit Waffen soweit aufrecht zu erhalten, dass die Rebellion zwar überleben kann, aber nur soweit, dass sie sich gezwungen sieht, mit Asad zu verhandeln, und gleichzeitig doch so weit, dass die Rebellen genügend Druck auf Asad ausüben, um ihn zu entscheidenden Konzessionen zu zwingen, ist theoretisch möglich. Doch setzte ein solches Vorgehen in der Praxis eine Feinregulierung der Waffenversorgung voraus, die nicht geleistet werden kann. Das funktioniert schon darum nicht, weil die Waffen aus verschiedenen Quellen kommen und von unterschiedlichen Mächten finanziert werden, die im besten Fall nur sehr grob koordiniert werden können. Gar nicht zu reden davon, dass ja auch Gründe bestehen, die Lieferungen bestimmten Gruppen der Kämpfer zukommen zu lassen und ie anderen vorzuenthalten.