Die Wahlen für die Knesset sind vorbei, und das Ergebnis wird mit fortschreitender Auszählung der abgegebenen Stimmen nur umso deutlicher: Der nächste Ministerpräsident heisst Benjamin Netanjahu.
Netanjahu ist der israelische Politiker mit der – über Teile mehrerer Legislaturperioden verstreuten – längsten Amtszeit eines israelischen Regierungschefs. Noch dazu eines Politikers, der sich bereits seit zwei Jahren vor einem Jerusalemer Gericht gegen mehrere Klagen wegen Korruption, Untreue und Macht-Missbrauch verteidigen muss.
Weggefährte Trump
Netanjahu, der als enger Verbündeter und Weggefährte des bisher vorletzten US-Präsidenten, Donald Trump, gilt, ist – wie Trump selbst – einer der entschiedensten Gegner eines konzilianten Kurses gegenüber Iran. Ähnlich seine Haltung gegenüber den Palästinensern in den seit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 besetzten Gebieten, deren Wohngebiete «Bibi» immer mehr durch den Bau jüdischer Siedlungen und Annexionspläne zu reduzieren versucht hat. Und selbst jenen Palästinensern, die – weil im israelischen Staatsgebiet ansässig – eigentlich als gleichberechtigte Bürger Israels behandelt werden müssten, hat er durch die Verabschiedung eines «Nationalstaatsgesetzes» eben solche Rechte vorzuenthalten versucht.
Die fünfte Wahl innerhalb von zweieinhalb Jahren scheint nun unter Beweis gestellt zu haben, dass der bisherige Kurs Netanjahus heutzutage keineswegs auf breite Ablehnung in der Bevölkerung stösst. Im Gegenteil: In den letzten Jahren hat sich in Israel das rechte, nationalistische und extrem orthodoxe Lager verstärkt. Hier hat Netanjahu eine wachsende Gefolgschaft gefunden, die offenbar bereit ist, seine Fehler der Vergangenheit zu vergessen und ihn zu einem noch krasseren Kurs zu drängen und damit die Ansicht endgültig zu Grabe zu tragen, Israel sei «die einzige Demokratie in der Region».
Trügerische Hoffnung
Einst hatte es in Israel noch Sozialdemokraten («Arbeiterpartei») und Linksliberale («Shinui» und später «Meretz») gegeben, und selbst die lange erfolglos gebliebenen arabischen Parteien Israels machten erste Fortschritte – besonders, nachdem sie sich zu einem Parteienbündnis zusammengefunden haben. Die letzten Jahre allerdings brachten – ähnlich wie in anderen Ländern – einen immer rascheren Verfall der alten und einst staatstragenden Parteien. Und beim arabischen Bündnis ging das noch rascher: Die Parteien traten diesmal zum Teil wieder einzeln und zum Teil überhaupt nicht mehr an.
Als auch Netanjahu mit seinem rechten «Likud» vor anderthalb Jahren scheinbar endgültig in die Opposition gedrängt wurde, da entstand eine Regierungskoalition aus mehreren kleineren Parteien (unter ihnen zum ersten Mal sogar eine arabische Partei). Was sie in erster Linie vereinte, war das Gefühl, Netanjahu «endlich losgeworden» zu sein. So verständlich dies gewesen sein mag, so trügerisch war es doch auch:
Denn der erste Ministerpräsident nach Netanjahu wurde Naftali Bennett, der kaum verbergen konnte, wohin er politisch eigentlich gehört: ins rechte Lager Netanjahus. Unter anderem, weil Bennett in der Siedlerbewegung aktiv war und ist und weil er sich – ähnlich wie «Bibi» – für die Annexion weiter Teile der besetzten Gebiete stark macht. Er muss es selbst gemerkt haben, mit der Folge, dass er schliesslich seinem liberalen Partner Yair Lapid die Rolle des «Übergangs-Premiers» abtrat.
«Zweistaaten-Lösung»
Der ursprüngliche Journalist und Schauspieler Lapid und dessen «Zukunftspartei» waren für viele ein Lichtblick, weil sie sich doch klar abhoben vom Likud Netanjahus und auch den immer konservativer werdenden religiösen Parteien. Lapid bediente solchen Optimismus auch in geeigneter Form:
Etwa, indem er vor der UN-Generalversammlung die «Zweistaaten-Lösung» für Israel und Palästina befürwortete. Eine Lösung, die erklärtes internationales Ziel ist, von der Donald Trump aber abgerückt war und für die andere Staaten praktisch nichts taten. Im wachsenden rechten Lager Israels löste Lapids Erklärung deswegen auch einigen Ärger aus.
Ähnlich im Fall Russland, Ukraine und Iran: Netanjahu hatte sich bei den Wahlkämpfen der Vergangenheit in der Rolle eines Politikers gefallen, der mit den «Grossen der Welt» verkehrt. Unter anderem mit Wladimir Putin. Diesem schien die vermeintlich gute Beziehung zu Israel auch zu gefallen, sicher mit ein Grund dafür, dass die russischen Einheiten in Syrien nichts gegen die zahlreichen israelischen Luftangriffe unternahmen, mit denen Israel gegen iranisches Militär und anti-israelische Verbündete Teherans in Syrien vorgingen.
Offene Fragen
Seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine hat Letztere immer wieder auch Israel aufgefordert, ihr gegen die Bombardierungen durch die Russen zu helfen und ihr israelische Luftabwehrwaffen zu liefern. In Jerusalem löste dies einige politische Unruhe aus: Aus dem Kreis um Netanjahu hiess es unzweideutig, dass man sich damit die Beziehungen zu Moskau und damit die Aktionsfreiheit im syrischen Luftraum verderben würde. Wirklich ernst wurde die Diskussion allerdings, als bekannt wurde, dass die Russen iranische Drohnen gegen die Ukraine einsetzen. Dementis aus Moskau und aus Teheran fruchteten nichts, die israelische Übergangsregierung machte erste Anstalten, nun doch auch die Ukraine zu unterstützen. Netanjahu dürfte das gar nicht gefallen haben, weil er dadurch die «Freundschaft» mit Moskau gefährden könnte.
Aber da kamen dann echte oder angebliche Beweise, dass Iran Russland mit Drohnen zum Angriff auf die Ukraine beliefere. Lapid war der erste, der ankündigte, Israel werde im Fall seines Wahlsieges die Lieferung von Waffen an die Ukraine in Erwägung ziehen. Solches wird nun kaum geschehen. Zumindest nicht auf Anordnung Lapids. Was aber Netanjahu tun wird, vermag man noch nicht klar einzuschätzen. Er hat sich immer als resoluter Gegner Irans aufgeführt, und Zurückhaltung wäre vermutlich der falsche Rat für Netanjahu. Das umso mehr, als nun auch bei den Zwischenwahlen in den Vereinigten Staaten ein weiterer Schritt zur Stärkung der Republikaner und damit auch dem Netanjahu-Freund Trump unternommen werden dürfte.