Mindestens zehn Millionen Menschen weltweit sind staatenlos und werden deshalb auf allen Ebenen diskriminiert. Im Scheinwerferlicht stehen derzeit die Rohingya aus Burma. Bisher sind 800’000 Angehörige dieser Minderheit geflüchtet oder vertrieben worden. Weder Burma noch das Aufnahmeland Bangladesch will sie einbürgern. Sie bleiben, was sie seit vielen Generationen sind: staatenlos.
Das Uno-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) hat einen neuen Bericht über die Lage der Staatenlosen in aller Welt vorgelegt. „Staatenlose streben bloss die gleichen Grundrechte wie die ihrer Mitbürger an“, erklärte Flüchtlings-Hochkommissar Filippo Grandi. Er will einen früheren Beschluss der Uno bekräftigen, der die Lösung des Problems bis 2024 vorsieht.
Verbreitete Staatenlosigkeit in Asien
Wie wird man staatenlos? Drei Viertel der Menschen ohne Bürgerrechte gehören ethnischen oder religiösen Minderheiten an, denen die dominierenden Gruppen die Integration verwehren. Im Norden Thailands zum Beispiel leben mehr als eine Million Angehörige so genannter „Bergvölker“, deren Siedlungsgebiet auch Regionen von Burma und Laos umfasst. In den letzten Jahren hat die thailändische Regierung ihre strikte Ausgrenzung gelockert, doch die meisten Betroffenen kennen ihre Rechte nicht. Sie sprechen kaum Thailändisch. Ausserdem ist der Weg zur Distriktbehörde weit und mit Kosten verbunden.
In etlichen patriarchalisch ausgerichteten Staaten Asiens werden Kinder schon bei der Geburt staatenlos, wenn ihr Vater untergetaucht ist. Der Staatsbürgerschaftsnachweis der Mutter zählt nicht. In bäuerlichen Gegenden lassen die Eltern ihre Kinder einfach nicht behördlich registrieren. Diese haben später keinen Zugang zu Schulbildung, Gesundheitsdiensten, qualifizierten Jobs und einem Reisepass.
Vergangenes Jahr beantworteten 75 Regierungen einen Fragebogen des UNHCR über die Zahl der auf ihrem Territorium lebenden Staatenlosen. Sie kamen zusammen auf 3,2 Millionen. Fast zwei Drittel der Uno-Mitglieder ignorierten aber die Fragen des Flüchtlings-Hochkommissariats.
Nansen-Pass
Das Problem der Staatenlosigkeit hat eine lange Geschichte. Nach der Oktoberrevolution vor hundert Jahren flüchteten zahlreiche Russen ins Ausland. Die Aufspaltung Österreich-Ungarns nach dem Ersten Weltkrieg schuf neue Grenzen und neue ethnische Minderheiten. Viele flohen vor nationalistischer Willkür. Der Hochkommissar des Völkerbundes für Flüchtlingsfragen, Fridtjof Nansen, entwarf daraufhin ein Reisedokument für staatenlose Flüchtlinge – den Nansen-Pass. Der Norweger erhielt dafür 1922 den Friedensnobelpreis. Der Pass wurde von 53 Staaten anerkannt.
Der Nansen-Pass existiert noch heute unter anderem Namen. Er ist eine humanitäre Errungenschaft. Unter seinen Nutzern befinden sich zahlreiche Berühmte wie Marc Chagall, Igor Strawinsky, Aristoteles Onassis oder Rudolf Nurejew. Hitler wie Stalin und seine Nachfolger liessen Regimekritiker ausbürgern.
Staatenlose in Afrika und in der Ex-Sowjetunion
Während des Zweiten Weltkriegs und danach wurden enorme Menschenmassen durcheinander gewirbelt. Durch die Entkolonialisierung Afrikas entstanden über fünfzig neue Staaten innerhalb der von den Kolonialmächten mit dem Lineal gezogenen Grenzen, gefolgt von ethnischen Auseinandersetzungen und Kämpfen um die Bodenschätze. Afrika zählt heute die meisten Flüchtlinge auf der Welt. Viele von ihnen sind staatenlos.
Auch der Zusammenbruch der Sowjetunion schuf neue Staatenlose – vor allem Russen, die in einer anderen früheren Sowjetrepublik leben. In Westeuropa konnte das Problem der Staatenlosigkeit im Laufe der Jahrzehnte weitgehend entschärft werden. Doch die Kriege in Asien und Afrika generieren neue Flüchtlingswellen. Dazu kommen Ströme von Migranten, die ein besseres Leben erhoffen. Viele zerstören ihre Dokumente und legen sich eine neue Identität zu, um leichter Asyl zu erhalten.
Das UNHCR legt seinem Bericht einen Aktionsplan bei. Danach sollen alle Kinder die Nationalität des Landes erhalten können, in dem sie geboren sind, wenn sie andernfalls staatenlos würden. Diskriminierende Gesetze und Praktiken, die Menschen aus ethnischen, religiösen oder sprachlichen Gründen daran hindern, die Staatsbürgerschaft ihres Wohnlandes zu erwerben, sollen abgeschafft werden.