Es geht auch so: Eine Institution wird 150 Jahre alt, bleibt in junger Verfassung und bewahrt sich den heiteren Sinn, um das Jubiläum stilvoll, originell und ohne Eigenlob zu feiern. Das Textilmuseum St. Gallen macht es vor. Selbstverständlich mit einer Ausstellung und natürlich mit einer, die sich mit Textilien befasst unter dem Titel «Sammlungswelten – Die Welt in Schachteln». Es sind für den Besucher geöffnete Geschenkkartons mit wunderschönen und spannenden, vielfältigen und doch zusammengehörenden Inhalten.
Erlesene Preziosen
Die weissen und braunen, von Bernhard Duss inszenierten Schachtelberge erinnern zunächst ans Kaufmännische Directorium St. Gallen, das 1863 damit begann, planmässig Gewebemuster als Vorlagen für die Textilproduzenten zu sammeln. Daraus wurde der Grundstock der Museumsbestände. Diese Pionierleistung würdigt die von Ursula Karbacher kuratierte Ausstellung als Auftakt.
Sie ist im Weiteren eine Hommage an bedeutende Sammlerinnen und Sammler. Was etwa Leopold Iklé, der von Hamburg kommend 1861 in St. Gallen eine Stickereifirma gründete, und sein Neffe John Jacoby-Iklé, Stickerei- und Spitzenhändler in England, ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus beruflichen Gründen zusammentrugen, präsentiert sich heute als erlesene textile Preziosenschau.
«Kroatien in Schachteln» vermittelt Einblicke in die Kollektion von Erna Rothenhäusler-Šajs aus Büchern, Fotos, Schmuckstücken und Textilien zur kroatischen und dalmatinischen Tracht. Zeitgeschichtliche Augenfreude bietet die Auswahl der von Margarita Eva Hatsche mit viel Geld und sicherem Geschmack erworbenen Haute-Couture-Ensembles. Diese und auch andere Sammlungen von Charlotte Bing-Hübner, Friedrich Fischbach und Johann Ulrich Gröbli beispielsweise beleuchten einen wichtigen heimischen Industriezweig als ästhetisches Vergnügen.
Faszinierendes Forum
Die Schachteln bergen nicht nur textile Stoffe, sondern auch fragenden Stoff fürs Nachdenken über den Sinn und den Nutzen des Sammelns, über den richtigen und verirrten Sammeltrieb, über den Unterschied zwischen Anhäufen und Aneignen und jenen zwischen Ordnen und Beherrschen.
Die Antworten fehlen. Denn das seit anderthalb Jahren von Michaela Reichel geleitete Textilmuseum, in einem 1886 erbauten Stadtpalast repräsentativ untergebracht, will kein Hort didaktischen Eifers sein. Es versteht sich als modernes geschichtliches Forum, das seinen kostbaren Schätzen und seinen entdeckungslustigen Besucherinnen und Besuchern offenen Geistes verpflichtet ist. Darum auch kein jubilierendes Brimborium, sondern eine Ausstellung in der Qualität der Stickereien und Spitzen: elegant, kunstvoll, faszinierend.
Textilmuseum St. Gallen, "Sammlungswelten - Die Welt in Schachteln", bis 30. Dezember 2013, textilmuseum.ch