Journal 21 stellt in dieser neuen Rubrik ausgewählten Personen aus Politik, Wissenschaft und Kultur «die Gretchenfrage» zu einem hintergründig aktuellen Problem. In der zweiten Runde geht es um die Frage; Sollen ältere Leute nicht mehr in den Genuss aller medizinischen Leistungen kommen? Wäre das ein Mittel zu einer Kostenreduktion im Gesundheitswesen?
Früher oder später musste diese Frage kommen. Lang genug hat man uns die Alterspyramide vorgesetzt und unterschwellig kommuniziert, es gäbe dereinst einen Überschuss an Alten. Man hätte auch sagen können, die Gesellschaft sei unfähig, genügend Junge zu produzieren. Wer macht sich schon gerne selber zum Sündenbock? Also sind die Alten das "gesellschaftliche" Problem. Der heutige Mensch will jung und schön, quasi unsterblich sein. Weil wir alle satt sind und fast alles haben, wurde die Gesundheit zum höchsten Wert. Wir wissen, im Herbst wird wiederum eine Erhöhung der Krankenkassenprämien angekündigt. Das ist normal, schliesslich haben wir aus den Krankenkassen längst Gesundheitskassen gemacht. Gesundheit scheint eine nach oben offene Werteskala zu sein.
Gesundheit kostet. Verständlich, dass als erstes die Raucher störten, schliesslich treten sie die Gesundheit mit Füssen. Weil Raucher früher sterben, sind sie billiger, also kann man daraus eigentlich kein Problem für die Gesellschaft machen. Daher wurde das Passivrauchen erfunden und zu einer gleich grossen Gefahr für die Gesundheit, sprich für den Geldbeutel herauf stilisiert.
Zuerst störten die Raucher, dann die Dicken
Es war abzusehen, dass nächstens die Dicken zu einem gesellschaftlichen Problem gemacht werden. An einem Workshops der Uni Basel kamen kürzlich Juristen und internationale Experten aus Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation WHO zum Schluss: "Übergewicht und Fettleibigkeit sind weltweit zu einem Problem der öffentlichen Gesundheit geworden." Etwas weniger geschwollen ausgedrückt: Die Fresssucht ist eine öffentliche Krankheit, also nicht das Problem der Dicken.
Sportler werden noch verschont. Sport wird mit Gesundheit assoziiert und da duldet man einen Kollateralschaden. Sportverletzungen sind für unsere Krankenversicherungen ein beträchtlicher Posten. Aber da es um Gesundheit geht, ist man bereit die Schäden, welche der Sport anrichtet, noch zu bezahlen. Mit steigenden Gesundheitskosten werden die Extremsportler möglicherweise als nächste in die Schublade der Raucher und Dicken gesteckt.
Im Altersheim zerrinnt das Erbe
Bevor am sportlichen Gesundheitsglauben gerüttelt wird, bietet sich die medizinische Versorgung der Senioren als Sparpotential an. AHV-Bezüger werden schliesslich immer sportlicher und viele wollen nicht früh genug sterben. Vorbei sind die Zeiten, wo Medikamente für Alte quasi eine Begleitung in den Tod waren. Heute wollen die rüstigen 60-plus-Menschen leistungsfördernde Präparate. Einverstanden, ich finde, sie sollten legalen Zugang zu Doping erhalten, etwa EPO gegen die Altersblutarmut oder Wachstumshormone um die Leistungsfähigkeit zu steigern. Im Alter kümmert man sich weniger um Nebenwirkungen von Medikamenten, da die Lebensqualität wichtiger ist als die effektive Lebensdauer. Menschen über 60 besitzen einen Grossteil des Volksvermögens. Also hätten sie ja eigentlich das Geld, um sich jede Art der Therapie leisten zu können.
Raucher und Dicke sind einfach als gesellschaftliches Problem abzustempeln, bei älteren Menschen ist das anders. Sie werden oft zum persönlichen Problem für die Angehörigen, da ihr Erbe dahin schmilzt. Muss ein alter Mensch ins Altersheim, zerrinnt das Ersparte. Da wäre es doch nett, wenn man daraus ein gesellschaftliches Problem machen könnte, damit andere bezahlen.
Im Ernst. Die Frage der Rationierung ist berechtigt. Sie wird aber auf eine andere Art auf uns zukommen. Bereits heute haben wir zu viele und zu teure Medikamente auf dem Markt. In der Schweiz sind mehr als vierzig gentechnisch hergestellte Medikamente auf dem Markt, die alle einen deftiges Preisschild tragen. Betrachtet man die Pipeline der Pharmaindustrie, werden wir wahrscheinlich nicht um eine Rationierung herum kommen. Das Wort Rationierung ist allerdings derart negativ belastet, dass man sicher andere Begriffe verwenden wird, etwa "Kosten-Nutzen Analyse". Dabei hat die Schweiz tatsächlich ein spezielles gesellschaftliches Problem.
Medikamente ohne Spur eines Wirkstoffes
Es sind dies für einmal die Gesunden. Schliesslich haben sie einer Initiative zugestimmt, welche die Alternativmedizin in der Verfassung verankerte. Wir haben somit Medikamente, in denen keine Spur eines Wirkstoffs vorhanden ist und von denen man seit 200 Jahren weiss, dass sie nicht wirksam sind. Nur Gesunde können auf die Idee kommen, der Placebo-Effekt sei eine Wirkung. Die Gesundheitslatte liegt bei uns derart hoch, dass ein geringe Befindlichkeitsstörung mit Notfalltropfen behandelt wird.
Es wird keine Rationierung auf uns zukommen, sondern eine Kosten-Nutzen Betrachtung. Neue Medikamente sollten nur noch zugelassen, wenn sie erwiesenermassen besser sind als die bestehenden. Sollten sie gleich gut sein, entscheidet der Preis. Damit müssten allenfalls auch alte Medikament vom Markt genommen werden. Bei Schmerzmitteln würde das eine interessante Diskussion auslösen, aber wahrscheinlich zu einer Kostenreduktion führen.
Warum lässt man alte Menschen nicht mitreden?
Diese versteckte Rationierung würde natürlich Jung und Alt gleichermassen treffen. Es blieben die altersbedingten Situationen, in denen entschieden werden muss, weil ein Medikament das Leben nur um Wochen oder wenige Monate verlängert. Ich glaube nicht, dass alte Menschen dagegen protestieren würden. Oft müssen solche Entscheide ja vom behandelnden Arzt mit den Angehörigen getätigt werden. Ich würde also zum Schluss die Frage gerne umkehren: Warum lässt man alte Menschen nicht mitreden und selber entscheiden, welche Medikamente ab einem gewissen Alter nicht mehr zur Verfügung gestellt werden sollten?
Ich bin mir fast sicher, die meisten älteren Menschen wären in der Lage einen Konsens zu finden. Alt sein ist schliesslich keine Krankheit und zudem geht diese Frage die Jugend noch nichts an. Wir Alte sollten darüber entscheiden und nicht die Gesundheitsökonomen, nicht die Ärzte, nicht die Pflegenden und vor allem nicht die Erben.