„Die heutigen komplizierten und unübersichtlichen Verfahrensabläufe zu vereinfachen und zu beschleunigen“, sind das Hauptziel der gegenwärtigen Revision des Asylgesetzes. Dieser Satz ist in einem Bericht enthalten, den das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) kürzlich veröffentlicht hat. Er bedeutet, dass auch die letzte Revision des Asylgesetzes, die erst Anfang 2008 in Kraft trat, missraten ist und die Erwartungen keineswegs erfüllte. Das negative Urteil überrascht nicht sonderlich, denn schon die vielen früheren Gesetzesrevisionen hielten nicht, was sie versprochen hatten. Einzig die Bedingungen, um Asyl zu erhalten, wurden strenger und strenger.
Bundesrat wollte rasches und faires Verfahren
Im Jahr 1990 beschloss der Bundesrat - damals war Arnold Koller Justizminister – bereits die dritte Revision des 1981 in Kraft getretenen Asylgesetztes. Die Regierung gestand damals in ihrer Botschaft ans Parlament: „Trotz gesetzgeberischen, personellen und organisatorischen Vorkehren gelang es bisher nicht, die gestellten Gesuche innert nützlicher Frist zu behandeln. Die Entwicklung im Asylbereich ist Ausdruck eines weltweit zunehmenden Migrationsdrucks. Massnahmen, die zu einer Verminderung der Wanderungsbewegungen führen würden, sind nur langfristig und durch wesentlich verstärkte internationale Zusammenarbeit zu erreichen. Auf nationaler Ebene sind kurzfristig die derzeit vordringlichsten Fragen ohne Verzug anzugehen. Diese betreffen die Bereitstellung eines raschen und fairen Verfahrens (…).“ Gegen 40% der Asylverfahren dauerten damals länger als ein Jahr.
Anlässlich der Totalrevision des Asylgesetzes, die der Bundesrat 1995 dem Parlament unterbreitete, hiess es etwas schönfärberisch, die Asylverfahren hätten beschleunigt werden können. Auch der Änderungsvorschlag aus dem Jahr 2002, der unter Justizministerin Ruth Metzler ausgearbeitet wurde, aber 2004 vom neuen Justizminister Christoph Blocher in Missachtung geltender Regeln zusätzlich stark verschärft wurde, sollte mithelfen, das Verfahren zu beschleunigen. Offenbar ist auch diese 10. Revision nicht gelungen, wie der eingangs zitierte Satz aus einem Bericht des EJPD vom vergangenen April aufzeigt. Noch schlimmer: Während der vier Jahre, da Blocher fürs Dossier Asyl verantwortlich war, haben deutlich weniger Menschen Asyl verlangt als in den Vorjahren, was ihn dazu verleitet hat, den Personalbestand im Bundesamt für Migration zu verkleinern und die Kantone anzuhalten, die Kapazitäten für den Empfang von Asylbewerbern markant zu reduzieren, was dann zu Engpässen und Schwierigkeiten führte, als die Asylgesuche wieder zunahmen. Ausbaden musste Blochers Fehleinschätzung dessen Nachfolgerin Eveline Widmer-Schlumpf. Auch sie hatte mit ihrem Änderungsvorschlag vom Mai 2010 keine glückliche Hand; die Ständeratskommission hat ihn gestoppt. Inzwischen ist Sommaruga Justizministerin: mit neuem Schwung hat sie das Steuer übernommen.
Fassen wir zusammen: Seit der Asylgesetzrevision von 1990 war ein rasches Asylverfahren stets ein vordringliches Bestreben – auch um Kosten für den Aufenthalt von Asylsuchenden zu sparen. Das Ziel bleibt jedoch in weiter Ferne: das Asylverfahren dauert immer noch sehr lang, zwei oder drei Jahre. Einzig für jene, die offensichtlich keine Asylgründe geltend machen können, ist das Verfahren in einigen Monaten abgeschlossen, denn auf ihr Gesuch wird gar nicht eingetreten.
Bundeslager für 400 Personen – riskant
Aufgrund dieser Erfahrungen ist Bundesrätin Sommaruga kühn, ihr ehrgeiziges Ziel anzustreben, nämlich über 80 Prozent der Asylgesuche innert vier Monaten definitiv zu erledigen und über die restlichen innerhalb eines Jahres. Die von ihr ins Spiel gebrachten Bundeszentren – dort müssten jeweils 400 Asylsuchende während rund 120 Tagen den Abschluss ihres Verfahrens abwarten - sind eine heikle Sache. Sie müssten sorgfältig geplant und eingerichtet werden. Zudem wäre ein breites Beschäftigungs- und Freizeitangebot erforderlich, denn vorwiegend junge Männer aus sehr unterschiedlichen Ländern, kann man in heissen Sommern und kalten Wintern nicht einfach in engen Unterkünften sich selber überlassen, sonst sind Konflikte unvermeidlich. Ob die kurze Verfahrensdauer dazu führen wird, dass die Menschen, deren Asylgesuch abgelehnt wird, unser Land tatsächlich verlassen, ist nicht garantiert. Voraussetzung ist, dass einerseits die Herkunftsländer bereit sind, ihre Landsleute aufzunehmen, und andererseits die Rückkehrhilfe so gestaltet wird, dass sie den Heimkehrende auch mittelfristig etwas bringt. Dazu braucht es viel Überzeugungsarbeit.
Als das Asylgesetz in den 70er Jahren geschaffen wurde, befanden wir uns noch in einer zweigeteilten Welt mit vielfältigen Reisebeschränkungen und hohen Transportkosten. Nach dem Fall der Sowjetunion und der Deregulierung sind weltweit viel mehr Menschen auf der Flucht, nicht nur weil sie vor Diktatoren und Bürgerkriegen fliehen, sondern auch um dem Elend zu entkommen. Inzwischen hat die Schweiz die Einwanderung aus den Staaten des Südens und des Ostens rigoros eingeschränkt. Heute haben Menschen aus diesen Ländern praktisch nur noch die Möglichkeit, über ein Asylgesuche Einlass in die Schweiz zu erhalten. Deshalb gibt es eine bedeutenden Anteil von Asylsuchenden, die zwar verständliche Gründe haben, ihr Land zu verlassen, aber nicht eigentlich verfolgt werden. Man mag es bedauern, und es ist paradox: aber je mehr abgewiesen Asylbewerber die Schweiz verlassen, je besser sind die Chancen, dass gesetzlich anerkannte Flüchtlinge und Opfer von Bürgerkriegen bei uns Aufnahme finden. Verlässt nur ein kleiner Teil der abgewiesen Asylbewerber unser Land und wird das Asylgesetz unterlaufen, dann schwindet nämlich die Bereitschaft in der Bevölkerung, Flüchtlinge aufzunehmen.
Misserfolg würde nicht verziehen
Die neue Justizministerin bewegt sich auf unsicherem Gelände. Sofern sie umsichtig vorgeht, keine unbedachten Entscheide fällt und die Bevölkerung offen über die heikle Situation orientiert, ist es möglich, dass sie sich in einigen Jahren ihrem Ziel nähert. Das wäre ein grosser Erfolg für Simonetta Sommaruga. Sollte es ihr nicht gelingen und sollte sie – wie ihre Vorgänger – scheitern, würde man ihr das verübeln. Weil sie den Anspruch erhebt, glaubwürdig zu sein und viel versprochen hat.