Zwei Wochen vor den Wahlen am 4. März hat eine Hochrechnung der Römer Zeitung „La Repubblica“ wie ein Blitz eingeschlagen.
Danach fehlen dem von Berlusconi angeführten Rechtsbündnis nur wenige Stimmen, um erneut die Regierung zu stellen. Möglich werden könnte dies vor allem wegen des neuen Wahlgesetzes, von dem Berlusconi profitiert.
Mehrheit in beiden Kammern?
Die italienische Abgeordnetenkammer zählt 630 Sitze. Laut der Hochrechnung der Repubblica käme das Berlusconi-Bündnis auf 312 Sitze. Es fehlen ihm also nur 4 Sitze zur absoluten Mehrheit.
Die zurzeit regierenden Sozialdemokraten würden laut der Berechnung abgeschlagen mit 141 Sitzen folgen. Die Protestbewegung „Cinque stelle“ käme auf 140 Sitze.
La Repubblica hat ihre Projektion aufgrund von zehn Meinungsumfragen erstellt, die zwischen dem 14. und 16. Februar durchgeführt wurden. Erarbeitet wurde die Berechnung von Salvatore Vassallo, Professor an der Universität von Bologna.
Danach könnte der „Centrodestra“ auch im Senat, der kleinen Kammer, eine Mehrheit erringen. Berlusconi könnte in diesem Jahr wegen einer Verurteilung noch nicht Ministerpräsident werden. Doch er könnte einen Strohmann vorschieben und diesen dann ab 2019 ablösen.
Fremdenfeindliche Töne
Dem Rechtsbündnis gehören sowohl Berlusconis „Forza Italia“ als auch die populistische, teils rassistische „Lega“ sowie die postfaschistischen „Fratelli d’Italia“ an.
Alle drei haben in den letzten Tagen massive fremdenfeindliche Töne angeschlagen und hoffen, damit bei den Wahlen die fehlenden Stimmen zu erobern.
Ende Januar hatte ein Afrikaner im Städtchen Macerate in der Region Marken eine 18-jährige Drogenabhängige getötet und die Leiche zerstückelt. Danach schoss ein 28-jähriger Rechtsextremer wahllos auf Dunkelhäutige und verletzte sechs Menschen. Anschliessend fuhr er zu einem Kriegsdenkmal, warf eine italienische Fahne um sich, rief „Italien den Italienern“ und streckte die Hand zum Faschistengruss.
„Zeitbombe“
Matteo Salvini, der Chef der Lega, witterte sofort in der Wählerschaft ein fremdenfeindliches Potential. Er beschuldigte nicht den rechtsextremen Schützen, sondern gab jenen, „die Italien mit Einwanderern gefüllt haben“, die moralische Schuld.
Auch Berlusconi, der bis anhin kaum mit rassistischen Parolen aufgefallen war, hoffte plötzlich auf Stimmen aus dem fremdenfeindlichen Sumpf und spricht von einer Zeitbombe, einer „sozialen Bombe, die jederzeit explodieren kann“. Plötzlich fordert er „die Ausweisung von 600'000 Illegalen“. Die Zahl ist zwar weit übertrieben, aber das stört die Wahlkampfmanager nicht.
Matteo Renzi, der frühere Ministerpräsident erinnerte Berlusconi daran, dass er an der Situation weitgehend mitschuldig sei. Er, Berlusconi, habe die Dublin-Verträge unterschrieben, wonach ankommende Flüchtlinge im Ankunftsland bleiben müssen. Zudem habe er den Krieg in Libyen mitangezettelt.
Das Gespür des Populisten
Ob Berlusconis Fischen im fremdenfeindlichen Teich allerdings erfolgreich ist, bleibt abzuwarten. Denn die Gefahr besteht, dass er zwar Fremdenhasser gewinnt, anderseits aber liberale Wählerinnen und Wähler verliert.
Berlusconi war zwar ein miserabler Politiker, der dem Land nur geschadet hat, doch etwas zeichnet ihn aus: Der Populist hat ein Gespür dafür, wie ein grosser Teil des Volkes fühlt und denkt.
Zwar ist in Italien die Kriminalität zurückgegangen – auch die Ausländerkriminalität. Doch Umfragen zeigen, dass sich die Bevölkerung immer unsicherer fühlt.
Ehrenbürger Mussolini
Davon profitieren populistische, rechtsnationale und rechtsextremistische Kreise. In Italien gab es schon immer rassistische Tendenzen, doch dieser Rassismus ist öffentlicher geworden. Er findet nicht nur in den sozialen Medien statt, sondern tritt offen zutage. Rechtsextreme und solche, die sich offen als Faschisten bezeichnen, organisieren Kundgebungen in den Städten, so am vergangenen Wochenende in Bologna. Während es in Deutschland vor allem kahlköpfige Menschen mit Stiernacken sind, die protestieren, treten viele junge italienische Rechtsextreme mit Krawatte und smarten Anzügen auf. Die rechtsextremen Organisationen „Casa Pound“ und „Forza Nuova“ gewinnen immer mehr an Zulauf.
Alessandra Mussolini, die umtriebige Enkelin von Mussolini, verlangte dieser Tage doch tatsächlich, dass ihr Grossvater weiterhin das Ehrenbürgerrecht des Toscana-Städtchens Certaldo behalten darf. Dieses Bürgerrecht war ihm 1924 zugesprochen worden. Der jetzige Bürgermeister wusste nichts davon und will – post mortem – dem Duce die Ehrenauszeichnung entziehen. Dagegen läuft jetzt seine Enkelin Sturm. Ihr Vorstoss fand im Netz sofort Zustimmung und wurde innert weniger Tage mit 40’000 Likes gutgeheissen.
Deutschland, der Feind
Die Wirtschaft sieht den Wahlen mit unguten Gefühlen entgegen. Dem früheren sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi trauern viele wichtige Wirtschaftsvertreter nach. Endlich habe einer begonnen, die dringend notwendigen Strukturreformen einzuleiten. Renzi ist nicht wegen seiner Politik in Ungnade gefallen, sondern wegen seiner Überheblichkeit. Renzis Nachfolger, der Sozialdemokrat Paolo Gentiloni, hat in jüngster Zeit an Statur gewonnen und das Vertrauen in das Land zumindest ein wenig verbessern können. Es wäre eine Überraschung, wenn er nach den Wahlen Ministerpräsident bliebe.
Die Wirtschaftslage hat sich in Italien in den letzten Monaten leicht gebessert. Dies ist weniger das Verdienst der Politik als der allgemeinen Konjunktur. Doch dieses zarte Pflänzchen könnte wieder in Gefahr geraten. Die Wahlversprechen, die Berlusconi und Salvini abgeben, entsetzen viele Ökonomen. Lega-Chef Salvini will aus der Währungsunion austreten und die Lira wieder einführen. Zudem schürt er Ressentiments gegen Deutschland. Italien gehe es schlecht, weil die Deutschen die EU dominierten und alle Profite absahnten. Deutschland wolle, dass „wir die Sklaven Europas sind“. Solche Aussagen sind nicht gerade dazu angetan, das Vertrauen ausländischer Investoren zu fördern.
Wer soll das bezahlen?
Doch auch Berlusconis Wahlversprechen wirken wenig realistisch. Dass er Steuerreduktionen durchsetzen will, wird zwar in einem Land mit unappetitlich hohen Steuersätzen allgemein gutgeheissen. Doch seine vorgeschlagene Flat Tax sei unrealistisch, sagen Wirtschaftsvertreter. Ferner verspricht Berlusconi jetzt ein bedingungsloses Grundeinkommen von tausend Euro und eine ebenso hohe minimale Rente. Die Fahrzeugsteuer soll abgeschafft werden, Mütter sollen einen Bonus erhalten. Wie soll das alles in dem hochverschuldeten Staat bezahlt werden? Ökonomen rechnen aus, dass Berlusconis Versprechen das Land zwischen 15 und 20 Milliarden Euro kosten würden.
Doch nicht nur die Wirtschaftsvorstellungen des Centrodestra lassen viel Ungutes vermuten. Berlusconi und Salvini mögen sich gar nicht. Wie sie zusammen regieren wollen, ist vielen rätselhaft. Salvini könnte versuchen, Berlusconi in eine Art Geiselhaft zu nehmen, um viele seiner radikalen Vorstellungen durchzusetzen. Zudem muss Berlusconi bangen, dass die Lega mehr Stimmen macht als seine Forza Italia. Wäre dies der Fall, würde Salvini den Posten des Ministerpräsidenten verlangen. Im Moment kommt Forza Italia auf 16,3 Prozent der Stimmen und die Lega auf 13,2 Prozent.
Der Rattenfänger
Berlusconi wird bald 82 Jahre alt. Er war vier Mal Ministerpräsident und hat das Land fast in den Ruin geführt. Seit zwanzig Jahren überhäuft er Italien mit Versprechen – und hat nichts gehalten. 2011 wurde er davongejagt. Und nun soll er wieder an die Macht?
Es ist erstaunlich, mit welcher Unverfrorenheit Berlusconi sein Volk erneut ködern will. Doch noch mehr erstaunt, wie viele Italiener und Italienerinnen einmal mehr diesem Rattenfänger auf den Leim kriechen könnten. Ein Journalist der Zeitung La Repubblica fragt im vertraulichen Gespräch: „Sind wir das dümmste Volk Europas?“