Während der Herrschaft von Schah Mohammad-Reza Pahlavi (1941–1979) lebten Sexarbeiterinnen der Hauptstadt Teheran, oft mit ihren Kindern, ausgestossen und abgedrängt in heruntergekommenen Häusern des Viertels „Shahreno“ (die neue Stadt) am südlichen Stadtrand.
Als Mohammad-Rezas Vater, Reza Khan, noch nicht König, sondern der Oberbefehlshaber der Armee war, hatte er von Vertrauten erfahren, dass die Engländer Pläne schmiedeten, um ihn zu entmachten. Reza Pahlavi nahm sich vor, ihnen einen Strich durch die Rechnung zu machen. Er wusste, dass zwei hohe britische Diplomaten hin und wieder das berühmt-berüchtigte „Freudenhaus“ von Aziz Kashi besuchten. Also befahl er seinen Soldaten, sie bei ihrem nächsten Besuch dort zu überraschen. Das war am 8. März 1922. Die Zeitungen berichteten ausführlich über den Vorfall, die beiden Diplomaten verliessen schleunigst das Land.
Nachdem Schah Reza den Thron bestiegen hatte, liess er den Qajar-Palast im Zentrum von Teheran niederreissen und die Frauen, die dort im Harem lebten und es nicht schafften, wohlhabende Männer aus der königlichen Familie zu heiraten, in das Qajar-Viertel bringen. Das Viertel liess er in der Folge ausbauen, damit dort Platz für die neu hinzugezogenen Prostituierten aus diversen „Freudenhäusern“ Teherans war, die er hatte schliessen lassen.
Damit wurden die Weichen für die Errichtung des Viertels Shahreno gelegt, in dem alle Sexarbeiterinnen Teherans leben konnten. Später, unter der Herrschaft von Reza Shahs Sohn, Mohammad Reza, wurde eine Mauer um das Viertel gebaut, um es besser kontrollieren zu können. Umgangssprachlich wurde es „Ghaleh“ (die Burg), genannt.
„Burg des Schweigens“
Als „Burg des Schweigens“ oder „Viertel der Traurigen“ wurde Shahreno von denen bezeichnet, die sich intellektuell oder künstlerisch mit dem Leben der Frauen dort befasst haben. Laute enge Gassen, hier und dort Cafés zogen sich durch das Viertel, in dem Hunderte Frauen mit ihren Kindern lebten. Jedes Haus hatte eine Chefin, die von den Bewohnerinnen ehrfürchtig mit „Frau Vorsteherin“ angeredet wurde. Sie kassierte das Geld und gewährte den Frauen Kost, Logis und Taschengeld.
Ein Teil des Dokumentarfilms Ghaleh von Kamran Shirdel:
Vor der Aufnahme in Shahreno mussten die Frauen von einem Mitglied des „Frauenrats“ begutachtet werden. Danach wurden sie von der Polizei des Viertels registriert und bekamen einen Ausweis sowie eine Gesundheitskarte. Damit waren sie als Bewohnerinnen des Viertels zugelassen. Mit der Gesundheitskarte gingen sie einmal in der Woche zu einer ärztlichen Untersuchung.
Bei der Aufnahme in eines der Häuser mussten die Bewohnerinnen mehrere Schuldscheine unterschreiben. An einen Austritt war aufgrund der Höhe der Schulden und des Makels, der ihnen als „ehrlose“ Prostituierte anhaftete, dann nicht mehr zu denken. Der Zutritt der nicht zugelassenen Frauen war in Shahreno unerwünscht.
Die Frauen hatten das Sagen
Die „Bosse“ in Shahreno waren auf allen Ebenen Frauen. Sie waren als Vermittlerinnen, die mit Sex Geschäfte machten, nicht völlig anders als Männer. Doch der Druck, der von ihnen ausging, war milder, zermürbte die Frauen zwar, zerstörte sie aber nicht. Auch körperliche Gewalt hatte mildere Formen. Männliche Nachtclubbesitzer oder „Vermittler“ versuchten zwar in Shahreno Einfluss auszuüben, doch die strukturelle Macht blieb bei den Vorsteherinnen und einflussreichen Frauen, die die Zügel in den Händen hielten. Verbrechen war in dem Viertel eine Seltenheit. Der einzige Verstoss gegen Recht und Ordnung war der Konsum von Opiaten und Heroin, der im Viertel weit verbreitet war. Mit ihm konnten die Sexarbeiterinnen Leid und Elend besser ertragen.
Damals waren aussereheliche sexuelle Kontakte von Frauen oder gar die Geburt eines unehelichen Kindes absolut tabu. Frauen, von denen solches bekannt wurde, wurden als „ehrlos“ ausgestossen, wenn sie nicht von männlichen Verwandten getötet wurden. Selbst wenn sie als Dienstmädchen von ihren Dienstherren oder in den Dörfern von Grossgrundbesitzern vergewaltigt worden waren, blieb ihnen nur der Weg frei, als Sexarbeiterin in einem Bordell zu überleben.
Shahreno und die Macht
Die Kunden der Sexarbeiterinnen in Shahreno stammten überwiegend aus der Mittel- und selten aus der Unterschicht. Es gab aber feste Verbindungen zwischen Shahreno und hohen Offizieren und einflussreichen Staatsmännern um den Schah. Dafür sorgten einige Frauen, unter anderem Maleke Etezadi. Ihre Vorfahren stammten aus der Qajar-Dynastie. Etezadi war klug, gebildet und ambitioniert, sie hatte in Paris studiert und war eine Schönheit. Sie hatte Affären mit einer Reihe von Offizieren und Staatsmännern und ging im Königspalast ein und aus. Es wird behauptet, dass sie ein Verhältnis mit Ministerpräsident Fazlollah Zahedi hatte und sogar eine Zeitlang die Mätresse des Schahs war.
Eine der einflussreichsten Frauen in Shahreno war Sakine Ghasemi, genannt „Pari Bolande“ (hochgewachsene Pari). Sie verfügte über Kontakte zu einflussreichen Männern und Politikern ebenso wie zu Hooligans und Draufgängern. Ghasemi, Vorsteherin eines Hauses in Shahreno, war reich und erschien mit Limousine und Fahrer zur Arbeit.
Der CIA-Putsch von 1953
Mohammad Mossadegh, eine Galionsfigur der iranischen Unabhängigkeitsbewegung, gehörte zur privilegierten Bildungsschicht des Iran. Nach dem Sturz Reza Schahs im Jahr 1941 gab es eine politische Öffnung im Iran. Mossadegh gründete 1949 mit anderen demokratischen Politikern die Nationale Front als Initiative, die sich für die Unabhängigkeit des Landes von der englischen Grossmacht einsetzte. Als Parlamentsmitglied und ab 1951 als Ministerpräsident machte er sich dafür stark, die iranische Erdölindustrie, die sich bis dahin unter der Kontrolle der Briten befunden hatte, per Gesetz zu nationalisieren.
Das jedoch passte der Führung Grossbritanniens und der Vereinigten Staaten nicht. Sie legten dem Schah nahe, Mossadegh abzusetzen und Generalleutnant Fazlollah Zahedi an seiner Stelle zu berufen. Am 15. August 1953 gab Mossadegh bekannt, dass ein Putsch gegen die Regierung entdeckt und verhindert worden sei. In Teheran kam es zu Massendemonstrationen, in deren Folge der Schah den Iran verliess.
Drei Tage später, am 19. August 1953, brachen Anhänger des Schahs mit organisierten Rowdys und einer Schar von Sexarbeiterinnen aus Shahreno mit Privat- und Militärfahrzeugen auf, um den geflüchteten Schah in den Iran zurückzuholen. Maleke Etezadi und Sakine Ghasemi gehörten zu den Anführern des Mobs. Seit der nahezu kompletten Freigabe von CIA-Dokumenten im Jahr 2013 gilt die Rolle des US-amerikanischen Geheimdienstes bei dem Putsch von 1953 als bewiesen.
Shahreno in der Kunst
Zwischen 1966 und 1968 beschäftigten sich drei Männer mit dem Leben der Sexarbeiterinnen von Shahreno, darunter der Schriftsteller und Filmemacher Zakaria Hashemi in seinem Roman „Der Papagei“, der seither mehrfach aufgelegt wurde.
Zwei Jahre vor der Revolution verfilmte Hashemi selbst seinen Roman, doch das Ministerium für Kunst und Kultur unter dem Schah genehmigte keine öffentliche Aufführung des Films.
1966 drehte Kamran Shirdel im Auftrag der Iranischen Frauenorganisation den Dokumentarfilm „Ghaleh“ („Die Burg“) über das Leben der Frauen in Shahreno.
Der Kulturminister stoppte jedoch die Dreharbeiten. Shirdel beendete seinen Film später mithilfe von Kaveh Golestans Fotos aus Shahreno .
Der Fotograf und Bildjournalist Kaveh Golestan hatte von 1975 bis 1977 Frauen aus der „Burg“ porträtiert. 2003 kam er als Reporter für die BBC im Krieg der USA im Irak bei einer Minenexplosion ums Leben. Eine Auswahl seiner Bilder aus dem Getto der Sexarbeiterinnen werden heute als Dauerausstellung in der Tate Modern Gallery in London gezeigt.
Golestan selbst sagte über die Fotos: „Ich will Szenen zeigen, die wie eine Ohrfeige wachrütteln sollen.“
Mit freundlicher Genehmigung Iran Journal