Ein skeptisch besorgter Blick gen Himmel: ss ist zwar schwül und ein paar dunkle Wolken ziehen durch, aber weder Gewitter noch Platzregen sind an diesem Abend zu befürchten. Zumindest nicht in St. Gallen.
David Alden, der amerikanische Regisseur der Oper «Loreley» ist zuversichtlich. Es ist der Abend der Generalprobe. Eine gewisse Anspannung ist bei allen Beteiligten spürbar, nur David Alden scheint die Ruhe selbst zu sein. Eine Stunde vor Beginn sitzen wir auf einer Bank hinter den Kulissen der «Loreley» auf dem Klosterhof mit der grossartigen Fassade der Stiftskirche als Teil des Bühnenbildes.
Globalisierung im Theater
Ein Amerikaner bringt also in St. Gallen eine italienische Oper über die Geschichte der deutschen Loreley auf die Bühne … David Alden gefällt das Bild. «Ja, das ist doch Globalisierung», meint er. Alden, 68 Jahre alt, ist sozusagen auch selbst globalisiert: geboren in New York, lebt er heute in London und inszeniert an den verschiedensten Theatern, sehr oft gerade auch im deutschsprachigen Raum. St. Gallen kennt er von früheren Inszenierungen her, so etwa «Medea in Corinto». Als das Angebot kam, nun «Loreley» auf die Bühne zu bringen, zögerte er nicht allzu lange.
«Ich kannte das Stück allerdings absolut nicht. Ich kenne ‘La Wally’. Aber dann habe ich erst einmal ein paar Aufnahmen der ‘Loreley’ angehört und fand das Stück toll. Und ich dachte, ja, warum nicht? Ich finde, die Geschichte passt sehr gut hierher, ins Freie. Ich kann nicht wirklich erklären warum, aber ich hatte von Anfang an das Gefühl, man müsste diese Geschichte an diesem Schauplatz erzählen.»
Götter, Dämonen, Leidenschaft und Erotik
Für Alden ist die «Loreley» ein Märchen für Erwachsene. «Von Anfang an dachte ich, hier in St. Gallen ist alles so schön, so ordentlich, so bourgeois und elegant. Und diese Geschichte der Loreley ist die Geschichte über eine sehr ordentliche Welt, in der von unten diese Leidenschaft, Rache und Erotik herausbricht! Ich fand, es ist ein sehr guter Ort, um hier so etwas zu spielen. Es gibt zwei Ebenen: diese geplante, vorbereitete Heirat von Walter und der Prinzessin. Und dann die andere Seite: dieses Furchtbare und Mächtige … Götter und Dämonen und Leidenschaft und Erotik.»
Im Mittelpunkt stehen Walter und Loreley. Und wie es mitunter so geht im Leben: Walter verlässt Loreley, die sich daraufhin in eine Nymphe verwandelt und sich an Walter und allen anderen Männern rächt. «Es ist ein bisschen so wie im Film ’Fatal attraction’», meint Alden dazu. Also «sex and crime» im Klosterviertel? Hat die Kirche denn da keine Bedenken gehabt? «Naja, ein bisschen schon», räumt Alden ein. «Man hat mich gewarnt, nicht zu weit zu gehen. Aber ich denke, es ist immer noch sexy, und auch immer noch frech genug.»
Italienischer Wagnerismus
«Loreley» ist ein eher unbekanntes Werk. Seine Stärke, so Alden, ist die Musik. «Die ist wirklich sehr populär, italienisch und einfach», sagt Alden. Aber nur zu Beginn. «Dann wird die Geschichte immer komplizierter und die Musik verändert sich langsam. Ich denke, Catalani ist wirklich ein interessanter Komponist. Schade, dass er so früh gestorben ist. Und zwar in den Armen von Toscanini. Sie waren enge Freunde und Toscanini hat immer gesagt, wenn Catalani länger gelebt hätte, wäre er vielleicht noch besser geworden als Puccini. Nun ja … Catalani war übrigens sehr beeinflusst von Wagner und man spürt in diesem Stück eine Art italienischen Wagnerismus you know … das mag ein bisschen kitschig sein, aber es ist mehr als das.» Und überhaupt: ein bisschen Kitsch in der Oper lässt man sich doch hin und wieder ganz gern gefallen. Zumal an einem lauen Sommerabend unter freiem Himmel, wenn die Schwalben in ganzen Gruppen über das Festspielgelände hinwegsausen und wenn auf dem Klosterdach die Amsel, animiert von der Musik, auch ihre Arien flötet …
Diese Umgebung ist auch für David Alden verlockend gewesen. «Ach, das ganze Jahr sitzt man im Theater im Dunklen. Ich war in München, Berlin, Moskau, Trondheim, ich war in all diesen Städten und man ist immer drinnen. Es ist wirklich wundervoll, Luft zu haben und endlich etwas Sonne zu sehen.»
Und dann erzählt Alden auch noch von seinem Zwillingsbruder. Die beiden sind sich so ähnlich, dass sie auch gleich den selben Beruf ergriffen haben. «Christopher lebt in New York, ich in London. Wir sind total Konkurrenz …», meint er scherzhaft. «Aber die Welt ist gross genug für zwei. Wir sollten einmal die drei Mozart Da-Ponte-Opern mit Daniel Barenboim in Chicago machen, halbszenisch. Er sollte ‘Figaro’ inszenieren, ich ‘Don Giovanni’, und dann wollten wir zusammen ‘Cosi fan tutte’ machen. Wir haben einen Tag zusammengearbeitet, aber, you know, das war unmöglich … Ein Alden pro Inszenierung ist wirklich genug!»
«Loreley»
St. Galler Festspiele
23. Juni bis 7. Juli