Morgen Donnerstag werden – nach einem Amuse-bouche-Programm am Vortag – die Solothurner Filmtage eröffnet. Für das grössere Publikum werden «Les grandes ondes» (CH 2013), ein Spielfilm des Westschweizers Lionel Baier, geboten und die Uraufführung eines Dokumentarfilms über den Berner Maler, Bildhauer und Aktionskünstler Carlo Edoardo Lischetti («Der Gegenwart»).
Geladenen Gästen wird schon vorher, nach allerlei Begrüssungen und Ansprachen, der Spielfilm «Akte Grüninger» (CH 2013) von Alain Gsponer gezeigt. In einer Retrospektive kommt in Solothurn auch Richard Dindos Dokumentarfilm «Grüningers Fall» (CH 1997) wieder auf die Leinwand. Grüninger, 1940 wegen Amtspflichtverletzung verurteilt und 1993 dann rehabilitiert, hatte noch vor dem Krieg Einreisevisa für jüdische Menschen gefälscht.
Menschen am Rand
Die Wahl dieses Films zur Eröffnungsgala macht Sinn: sie lenkt die Aufmerksamkeit auf «die zahlreichen Filme über das Schicksal von Migrantinnen und Migranten» (Seraina Rohrer, Direktorin des Festivals), die in diesem Jahr in Solothurn zu sehen sind.
Zudem ist der Dokumentarfilm seit jeher eine besondere Stärke des Schweizer Filmschaffens. Es werden denn auch 2014 mehr neue Schweizer Dokumentar- als Spielfilme gezeigt (Verhältnis 35:19). «Millions Can Walk» (Christoph Schaub, CH 2013), die sehr berührende Erzählung über den friedlichen Protestmarsch der indischen Adivasis, die für ein würdiges Leben auch der Ärmsten antreten, wird in Solothurn in Anwesenheit des Regisseurs seine Weltpremiere feiern.
Dokumentiertes Filmschaffen
Andere bemerkenswerte Werke sind schon da und dort zu sehen gewesen: «L’expérience Blocher» von Jean-Stéphane Bron; «Watermarks – Three Letters From China» (Luc Schaedler, CH 2013), eindrückliche, eigentlich traurige Porträts aus dem trockenen und vertrocknenden Norden Chinas (An uncertain Present), aus einem Touristengebiet, das noch voller unverheilter historischer Wunden ist (An unresolved Past), und aus der Grossstadt Chongqing, wo der Fortschritt eine Familie bis an ihre Grenzen strapaziert (A tentative Future). Und nicht zu vergessen «Der Grosse Kanton» (CH 2013) mit Überlegungen schweizerischer und deutscher Persönlichkeiten zu Victor Giacobbos Vorschlag, Deutschland als 27. Kanton in die Schweiz aufzunehmen.
Sehr schön sind auch die erst kürzlich ins Kino gekommenen «Glückspilze» von Verena Endtner, eine Dokumentation über verwahrloste und verwahrte Kinder in Petersburg. Drei von ihnen machen im von Larissa Afanasyeva geleiteten Zirkus «Uppsala» mit, der gefährdeten Kindern eine Alternative zur Strasse bietet. Als Akrobaten und Clowns können sie jeweils drei Jahre lang das Leben in einer Gemeinschaft, das Arbeiten und die eigenen Kräfte kennen- und geniessen lernen.
Von manchen Filmen, die in Solothurn gezeigt werden, hat die Verfasserin hier und anderen Orts bereits berichtet, etwa über «Die Reise zum sichersten Ort der Erde» von Edgar Hagen (CH 2013) und «Zum Beispiel Suberg» von Simon Baumann (CH 2013). Unter den Spielfilmen sei der mittlerweile vielgerühmte Erstling Ramon Zürchers, «Das merkwürdige Kätzchen» hervorgehoben.
Ehrung für Peter Liechti
Peter Liechti, der letztes Jahr mit «Vaters Garten» (CH 2013) hervorgetreten ist, wird – wie schon am Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm – ein Ehrenplatz eingeräumt. Unter «Rencontre Peter Liechti» wird der Filmer über seine Arbeit sprechen. Zudem gibt es eine Retrospektive mit den meisten seiner älteren Arbeiten samt einem Konzert der Band, auf die er 2006 in «Hardcore Chambermusic» sein Objektiv gerichtet hat. Die ihm verliehene «Carte Blanche» hat er genützt, um «Petropolis: Aerial Perspectives on the Alberta Tar Sands» (Kanada 2009) von dem in Kanada lebenden Schweizer Filmer Peter Mettler vorführen zu lassen sowie Werner Herzogs «Auch Zwerge haben klein angefangen» (D 1970).
Im Rahmen des Programms «Panorama Schweiz», das der Festivalkatalog als «Herzstück des Festivals» bezeichnet, sind aktuelle Schweizer Produktionen aller Genres und Längen zu sehen: Spiel-, Dokumentar-, Experimental-, Kurz- und Animationsfilme. Im Programm «Fokus ‘Haltung’» werden internationale Filme älteren und aktuellen Datums mit einer klaren moralischen Haltung präsentiert. Das Spezialprogramm «Histoires du cinéma suisse» zeigt «vor kurzem restaurierte sowie aktuelle Filme, die Geschichte und Meilensteine des Schweizer Films beleuchten», dazu gehört etwa der Eröffnungsfilm «Grüningers Fall» oder «Ein Werkstattgespräch mit Alexander J. Seiler» von Samuel Flückiger (CH 2013), bei dessen Vorführung der Porträtierte offenbar selbst anwesend sein wird. Auch Familienfilme und Nocturnes werden geboten. Ausserdem wird täglich bei freiem Eintritt zu Gesprächen mit speziellen Gästen, einem Kulturstammtisch und anderem eingeladen. Und nebenbei: Solothurn ist eine schöne Stadt.
Karten (Einzeleintritte, Tageskarten, Wochenkarten) können per Internet oder am Ort erworben werden, eine App samt Stadtplan ist kostenlos verfügbar, ebenso das Tool MyFestival, mit dem man sich sein eigenes Festivalprogramm zusammenstellen und in die elektronische Agenda eintragen kann.