Alice Schwarzer, die Ikone der deutschen feministischen Bewegung, musste einräumen, dass auch sie Zinserträge auf in der Schweiz gebunkertes Geld erst nachträglich und per Selbstanzeige versteuert hat. Darüber regt sich vor allem der sogenannte Otto Normalverbraucher furchtbar auf. Dieser Heuchler.
Schwarzarbeit allerorten
Schätzungen sind naturgemäss schwierig, aber glaubhafte Untersuchungen gehen davon aus, dass in Deutschland jeder sechste Euro schwarz umgesetzt wird. Das wären dann immerhin so rund 350 Milliarden. Pro Jahr. Denn Kleinvieh macht auch Mist. Die Putzfrau: Acht Euro auf die Hand, oder mindestens 22 Euro, wenn ihr Einkommen ordentlich angemeldet und versteuert wird. Der Handwerker, der Dienstleister, der Kollege, der Nachbar, der Fachmann, der mal seine Expertenmeinung geben soll: Wer kann da widerstehen? 20 Euro oder weniger in Cash, oder mindestens 50 pro Stunde, wenn’s offiziell sein soll.
In erster Linie ist da Otto Normalverbraucher ohne jedes Unrechtsbewusstsein, dem als Lohnabhängigen gnadenlos rund 50 Prozent seines Gehalts per Vorkasse in Form von Steuer- und Sozialabgaben abgeknipst werden. Er empfindet es als legitime Notwehr und keineswegs vergleichbar mit den Taten von Prominenten oder sogenannten Vorbildern, wenn er seine Putzfrau schwarz beschäftigt oder sein Bad unter der Hand neu fliesen lässt. Zu dieser Heuchelei kommt aber noch ein gravierender Irrtum dazu.
Ein kleiner Irrtum mit grossen Folgen
Bereits bei einem Jahreseinkommen von 53'000 Euro beginnt in Deutschland der Spitzensteuersatz zu greifen, da bleibt dann nach allen Abgaben weniger als die Hälfte im Portemonnaie des Lohnempfängers. Dadurch entsteht ein zumindest verständlicher Leidensdruck, Erbschaften, Zusatzeinnahmen oder Gewinne bspw. in der Schweiz in Sicherheit zu bringen. In der enttäuschten Erwartungshaltung, dass die Schweizer doch wie mutig verkündet ihr Bankgeheimnis wie weiland bei Morgarten verteidigen werden.
Nachdem aber der Wehrwille der Eidgenossen doch entschieden zu wünschen übrig liess und sich der deutsche Fiskus am Bankgeheimnis keineswegs die Zähne ausbiss, schlägt die Meinung in Deutschland um. Jawoll, jeder, der via Schweiz seinen Steuerpflichten nicht nachkam, gehört bestraft. Nicht nur zehn Jahre rückwirkend, sondern am besten bis zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland zurück.
Und selbst wenn er, wie Alice Schwarzer, aus welchen Motiven auch immer freiwillig steuerlich ins Reine gekommen ist, gehört er an den medialen Pranger gestellt. Dass das nur möglich ist, wenn neben dem Bankgeheimnis auch das in Deutschland angeblich existierende Steuergeheimnis verletzt wird, was soll’s, Strafe muss sein, Rache muss sein.
Unerwartete Konsequenzen
Der Witz bei der Sache ist, dass es vor allem den deutschen Mittelstand treffen wird. Also alle Bundesbürger, die so ab 50'000 Euro bis vielleicht 5 Millionen in der Schweiz steuerneutral bunkerten. Wer mehr zu verbergen hat, ist entweder sträflich dumm oder hat schon längst völlig legale Strukturen in Form von Trusts und Holdings errichtet, wählt dazu zinsfreie Anlagen und ist selbst bei einer Inkraftsetzung des Allgemeinen Informationsaustauschs (AIA) fein raus.
Wem dafür kleine Inseln in der Karibik oder im Pazifik doch etwas zu unsicher erscheinen, kann das weiterhin und problemlos im EU-Raum über die Kanalinseln, Andorra, San Marino oder, mit Gottvertrauen, im Vatikanstaat installieren. Auch in Frankreich, England, Italien, Spanien und Deutschland gibt es interessante Möglichkeiten. Vorausgesetzt, man hat im jeweiligen Land keinen Steuersitz. In der Schweiz, wenn’s so weitergeht, eher nicht. Aber eben, die Herstellungs- und Unterhaltskosten machen das erst bei Beträgen von mindestens 10, besser 50 Millionen Euro aufwärts rentabel.
Cui bono?
Wie lässt es sich erklären, dass selbst eine juristisch und steuerlich im Moment des Hochschwappens des «Skandals» mit blütenweisser Weste dastehende Alice Schwarzer zur Zielscheibe einer medialen Hetzjagd wird? Natürlich, weil sie mit ihrer rhetorischen Brillanz, ihren mit Verve vorgetragenen und meistens unangenehmen Positionen eine ideale Zielscheibe abgibt. Trefflicher als Spitzenmanager aus der Wirtschaft oder der Welt des Sports.
Wem nutzt es aber, dass solche Fälle deutschen Finanzministern auf Ebene Bundesländer wie auch in Berlin einen willkommenen Anlass geben, sich staatstragend und auch moralisch überlegen in Szene zu setzen? Zumindest, bis es auch mal den ersten von ihnen erwischt. Ganz einfach: Es lenkt davon ab, dass wohl ein Sechstel des jährlichen deutschen Bruttosozialprodukts völlig steuerfrei hergestellt wird.
Aber da kann der Otto Normalverbraucher, der angeblich im Gegensatz zu den Mehrbesseren korrekt und ordentlich seinen Steuerpflichten nachkommt, seine Trumpfkarte ausspielen: Er ist Wähler. Und seine Entrüstung gegen steuerhinterziehende Schweinebacken bekäme schlagartig ein neues Ziel, wenn man ihm androhen würde, mit gleicher Vehemenz gegen die allgegenwärtige Schwarzarbeit in Deutschland vorzugehen.
Arme Alice
Nachdem nun auch ihre, nach eigenen Angaben nicht nur aus steuerlichen Gründen in die Schweiz transferierten und vorher in Deutschland ordentlich versteuerten Rücklagen aufgeflogen sind, kann sich Alice Schwarzer wie jeder EU-Bürger darauf freuen, dass sie möglicherweise in näherer Zukunft an einer Sondervermögensabgabe, also einer reinen Enteignung, beteiligt wird.
Natürlich nur im äussersten Notfall, eigentlich handelt es sich da mehr um reine Gedankenspiele, Meinungsäusserungen des Internationalen Währungsfonds oder der Deutschen Bundesbank. Also undenkbar. Genauso undenkbar wie eine vertragsbrüchige Griechenlandhilfe. Wie eine Sonderbehandlung des Zypern-Euro. Wie der Ankauf von Staatspapieren durch die Europäische Zentralbank.