Am Tage der Vereidigung der neuen österreichischen Regierung haben die Universitäten des Landes die schwarze Flagge gehisst. Der Protest galt der Abschaffung des Wissenschaftsministeriums und damit – schlimmer noch – dem Hinauswurf des parteilosen, von der ÖVP ‚geliehenen’ bisherigen Wissenschaftsministers Karlheinz Töchterle. Töchterle, Altphilologe und vor seinem Wechsel in die Regierung Rektor der Universität Innsbruck, war eine wohltuende Ausnahmeerscheinung unter den Wissenschaftsministern der letzten Jahre. Er war auf gutem Wege, dem Ministerium nach Jahren turbulentem Auf und Ab jene Stetigkeit zurückzugeben, welche für einen erfolgreichen Forschungsplatz, wie ihn Österreich in diesem Jahr in einem Bericht als Ziel umschrieben hat, Voraussetzung ist. Nun hat der ÖVP-Chef Spindelegger den unbequemen Fremdling rausgeworfen und den Wissenschaftsbericht zur Makulatur gemacht.
Wechselvolle Geschichte des Wissenschaftsministeriums
Das eigenständige Wissenschaftsministerium wurde 1970 durch die Regierung Kreisky geschaffen. Die erste Ministerin, Hertha Finberg, war engagiert und blieb 13 Jahre im Amt. Im Jahre 1987 ging das Ministerium an die ÖVP, also an jene Partei, welche damals unter Kreisky gegen dessen Bildung gestimmt hatte. Das ging ein paar Jahre einigermassen gut, doch mit Johannes Hahn, der mit Wissenschaft nicht viel am Hut hatte und vor allem deswegen in Erinnerung geblieben ist, weil er als eine seiner ersten Taten den Austritt Österreichs aus dem CERN angeordnet hatte, begann eine Periode der Unsicherheit. Hahn musste zwar den Austritt aus dem CERN nach einigen Wochen rückgängig machen. Er wurde kurz danach an die EU wegbefördert, wo er Kommissar für Regionalpolitik wurde. Erst mit der Ernennung von Töchterle wurde das Wissenschaftsministerium zu mehr als nur einem Warteplatz für Höheres.
Auch in der Schweiz ging die Forschung zur Wirtschaft
Nun ist die Wissenschaft dem Wirtschaftsministerium angegliedert und statt dessen ein neues Ministerium für Familie und Jugend geschaffen worden. – Wieso soll das denn so schlimm sein, wird man sich als Schweizer fragen; haben wir nicht auch vor einem Jahr – gegen den Protest der Hochschulen und wissenschaftlicher Institutionen – die Wissenschaft vom EDI ins Volkswirtschaftsdepartement verschoben und letzterem einen neuen Namen, Eidg. Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung, verpasst, ohne dass deswegen die Schweizer Forschung bisher Schaden genommen hätte?
Tatsächlich lassen sich aus den Parallelen und Unterschieden der beiden Vorgänge interessante Lehren ziehen. Beginnen wir mit der Schweiz: Wir sind mit unseren sieben Ministern ohnehin eine Ausnahmeerscheinung in Europa, sehen wir uns doch mit unserer im Wesentlichen aus dem das 19. Jahrhundert stammenden Verfassung gezwungen, die ständig wachsende Zahl relevanter Politikbereiche so auf die verfügbaren sieben Töpfe zu verteilen, dass ungefähr gleich grosse Bereiche entstehen. So stand hinter dem erwähnten Transfer von Wissenschaft und Forschung ins neue WBF nicht eine Vision, sondern lediglich die pragmatische Rechnung, dass der eigentlich logischere umgekehrte Vorgang, nämlich der Transfer der Berufsbildung vom damaligen EVD ins EDI, letzteres noch grösser gemacht hätte als es ohnehin schon war.
Der Wissenschaft geht es gar nicht so schlecht
Nicht allen Bundesräten gefiel damals dieses Vorgehen. Didier Burkhalter hatte noch vor seiner Wahl in den Bundesrat in der NZZ seine Vision einer völlig neuen Aufteilung der Bundesämter auf die sieben Departemente vorgestellt und sich daher lange gegen die simple Milchbüchleinrechnung gewehrt. Doch die Zeit war nicht reif für grosse Veränderungen (ist sie das überhaupt je in der Schweiz, ausser der Hebel werde von aussen angesetzt?), und es kam, wie es bei uns eben kommen muss.
Immerhin: Weil Suppen ohnehin nie so heiss gekocht werden, können sie auch nicht heiss gegessen werden. Tatsächlich geht es der Wissenschaft im neuen WBF bisher gar nicht so schlecht. Die vorangegangen Unkenrufe haben immerhin im neuen Departement zu einer gewissen Beisshemmung geführt, die Forschung einzig als Wissenslieferant für die Wirtschaft zu betrachten. Und Bundesrat Schneider-Ammann, dem früher die Kommission für Technologie und Innovation (KTI) wegen der direkten Praxisrelevanz ihrer Förderpolitik näher zu stehen schien als der für die Grundlagenforschung zuständige Schweizerische Nationalfonds (SNF), scheint unterdessen an den exotischen Vögeln der Grundlagenforschung Gefallen gefunden zu haben.
Verständnis für den Wert der Forschung in der Schweiz
Überhaupt darf man mit einer gewissen Erleichterung feststellen, dass in der Schweiz sowohl in der Politik als auch in der Gesellschaft das Verständnis für die durch reine Neugierde getriebene Grundlagenforschung weit besser entwickelt ist als in andern europäischen Ländern. Und damit sind wir wieder bei unseren östlichen Nachbarn. Obschon uns Österreich in Vielem gleicht, angefangen bei der Grösse und Topografie des Landes über die gesellschaftlichen Grundwerte, so gibt es auch unübersehbare Unterschiede, insbesondere was den Stellenwert der Forschung anbetrifft. Gerade die jüngsten Diskussionen über das Wissenschaftsministerium haben die irrige Vorstellung der Politik offenbart, Grundlagenforschung könne einfach zugesperrt und in besseren Zeiten wieder geöffnet werden wie ein Provinztheater. Der österreichische Wissenschaftsfonds, das Pendant des Schweizerischen Nationalfonds, muss mit einem dreimal kleineren Budget als der SNF auskommen. Umgekehrt wird die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG), die Schwesterorganisation der Schweizer KTI, mit der dreifachen Summe ausgestattet. Das hat seine klaren Folgen: Die Schweiz liegt in allen internationalen Rankings von Universitäten und Forschungsleistung an der Spitze, während sich Österreich mit dem Mittelfeld zufrieden geben muss.
Man kann auch von den Fehlern der andern lernen
An einer Tagung im September in Wien, welche dem Vergleich der Forschung zwischen Österreich und der Schweiz galt und von der Schweizer Botschaft in Wien mitorganisiert worden war, meinte ein Vertreter der Nestlé lakonisch, Schweizer Firmen seien in erster Linie an guten Universitäten, guten Hochschulabsolventen und günstigen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen interessiert, aber nicht an staatlichen Geldern für die Forschung. Da staunte das österreichische Publikum. Und als dann anhand von Zahlen gezeigt wurde, wie viel besser sowohl die Schweizer Grundlagenforschung als auch die Wirtschaft mit dieser Aufgabenteilung fahren, war das Staunen noch grösser.
Fazit: Erstens ist zu befürchten, dass die österreichische Wissenschaft bei der Wirtschaft eher unter die Räder kommt (tatsächlich zeichnet sich das erste Unheil in Form einer radikalen Budgetkürzung bei der Forschungsförderung schon ab) als die Schweizer Forschung im neuen WBF. Zweitens lässt sich – auch wenn das für unsere österreichischen Kollegen wenig Trost bedeutet – aus dem Systemvergleich lernen, dass die von Forschungskreisen immer wieder praktizierte Beschwörung der grossen Bedeutung der nicht durch die Politik gesteuerten Grundlagenforschung nicht ohne Berechtigung ist. Weil eine starke Lobby fehlt, bietet sich für die Politik die Forschung als Einsparobjekt geradezu an. Forschungsabbau geht zwar schnell, aber der Wiederaufbau eines schlecht gepflegten Wissenschaftssystems braucht Jahrzehnte. Kurz, man kann auch von den Fehlern der Nachbarn lernen, gerade wenn sie einem lieb sind.